Dienstag, 23. Juli 2013

Berufsprägung

Bon­jour ! Be­wusst oder zu­fäl­lig ha­ben Sie ein di­gi­ta­les Arbeits­ta­ge­buch aus der Welt der Spra­chen an­ge­klickt (oder abon­niert). Hier be­richte ich fast täg­lich da­rü­ber, was den Be­ruf Dol­met­scher und Über­setzer aus­macht ... berichte aber auch, was er mit uns macht.

The medium is the message
DolmetscherpultMittagessen mit Kunden. Nach langen Tagen, in denen wir um ein Fachthema ge­kreist sind, ist plötzlich die Dol­met­scherin und ihre Arbeit Gegenstand des Ge­sprächs. Also werde ich befragt, wie wir arbeiten, uns vorbereiten und warum ich mir ständig so viel auf­schrei­be. (Ich muss alleine antworten, die Kollegin ist schon zuhause beim kran­ken Kinde.)

Dolmetschtermine bereiten wir nicht nur aufwändig vor, wir bereiten sie auch nach. Denn nach dem Einsatz ist immer auch vor dem Einsatz. Und manches, das in Zeitungsartikeln auf eine bestimmte Art zu lesen steht, wird in Fachgesprächen ganz anders ausgedrückt. Daher studieren wir unsere "Kunden" auch immer ein wenig. Am Ende sollen ja die Kunden und ihre Gesprächspartner "aus dem Dol­met­scher sprechen". So bekommt das berühmte Zitat von Marshall McLuhan über "das Medium" (siehe oben) eine ganz andere Bedeutung.

Gestatten, Wortjongleuse!
Wer beruflich mit Wörtern zu tun hat, muss sie gut kennen. Auch das Jonglieren muss uns leicht von der Hand gehen. Eine gewisse Akrobatik ist immer mit dabei, das gebe ich zu, wenn wir Inhalte so schnell wie möglich in die andere Sprache und oft auch in den anderen Kulturkreis rüberwuppen.
 
Beispiel Neukölln: Stadtteilmütter aus dem Kiez treffen sich mit Müttern aus fran­zö­sischen Vororten und diskutieren die Themen Schule, Erziehung, Rolle der Re­li­gion. Bei meinen Verdolmetschungen lasse ich immer auch Hintergrundwissen mit einfließen, kleine einordnende Nebensätze, um Unterschiede zu ver­deut­lichen. Zum Glück sitze ich mittendrin und meine Rednerinnen machen immer wieder mal wieder kurze Pausen.

Täglich Yoga, zweitägig Sprachkontakt, wöchentlich Sport
Wie ich das denn aushalten würde, fragen mich die Kunden bei Tisch. Nichts ein­facher als das: In der Regel arbeiten wir zu zweit, wechseln uns spätestens alle halbe Stunde ab. Ansonsten ordne ich meinen Lebensstil dem Beruf unter. Ich habe einige Entspannungstechniken erlernt, übe täglich, muss spätestens alle zwei Tage Kontakt mit meinen jeweils anderen Sprachen haben und treibe mindestens einmal in der Woche Sport (wenn nicht gerade ein Bänderriss oder derlei ...).

Selbstdisziplin und Selbstorganisation erfordert dieser Beruf, der kein "Job" ist, in hohem Maße. Was ich beruflich an den Tag lege, fehlt mir dann leider auch mal privat in diesen Bereichen, die Energie ist halt begrenzt.

Regelmäßig Gesundes, selten Alkohol, nie Tabak
Dolmetschen gilt als eine der stressigsten Berufsaufgaben der Welt. Dass sich das in einer bewussten Lebensführung niederschlägt, wird einleuchten. Eines meiner Hobbies: schlafen. Ansonsten geht es darum, mit den eigenen Kräften zu haus­hal­ten, sich gesund zu ernähren und von Drogen fernzuhalten.

Das heißt jetzt nicht automatisch, dass alle Dolmetscher automatisch Nichtraucher wären, aber meinen unmaßgeblichen Beobachtungen zufolge sicher ein höherer Pro­zentsatz als in anderen Berufen. Würde ich rauchen, meine ohnehin schon tiefe Stimme ginge wohl noch mehr auf Tauchkurs. Das kann ich allerdings meinen Zu­hö­rern nicht zumuten.

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Foto: C.E.

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