Letzten Februar, parallel zu den Berliner Filmfestspielen, wurde dieses Arbeitstagebuch sechs Jahre alt. In der schnelllebigen Netzwelt ist das schon verdammt lang. Wie kann es sein, dass hier neben dem fordernden Dolmetscher- und Übersetzerberuf so ein umfangreiches Blog entsteht?
Und wer spricht hier eigentlich?
Eines meiner Geheimnisse: Meine Notizen sind nur selten aktuell. Das mag verwundern, denn es ist ein Vorteil des digitalen Zeitalters, schnell zu sein. Schnell muss ich aber schon in der Kabine sein, das geht im Blog nicht auch noch.
In Zeiten, in denen Hochfrequenzmärkte im Nano-Sekundentakt arbeiten und sich an manchen Tagen die Nachrichten nur so überschlagen, ist es zudem mein Glück, Privileg und Luxus, nicht alles sofort umsetzen zu müssen. Ich kann Themen abhängen lassen oder, um ein anderes Bild zu bemühen: sie eindampfen. Drittes Bild: Aus der Nähe sehe ich Details gut, habe Eindrücke; das ganze Tableau lässt sich oft nur mit Abstand gut erkennen.
Und noch einen Grund gibt's fürs Nicht-Aktuelle. Oft dolmetsche ich in vertraulichen Situationen. Mein Fokus beim Bloggen liegt ohnehin vor allem auf den Dingen, die sich hinter den Kulissen abspielen. Und weil ich meine Redner und "Zielohren" nicht erschrecken will und darf, fasse ich Episoden zusammen, verlagere sie an andere Orte, verschiebe sie in der Zeit, greife zu Fotos von anderen Einsätzen, die ich dann auch noch verändere — und schon bin ich da angelangt, wo ich hinwill: Ich kann vom Allgemeingültigen unseres Berufsalltags berichten.
Trotzdem wird mir oft die Zeit knapp, mancher Eintrag gerät mir zu lang. Ich lade die Texte dann mit schlechtem Gewissen hoch und denke dabei an Plinius den Älteren, der an Plinius den Jüngeren geschrieben haben soll (oder war es andersherum?): "Entschuldige bitte meinen langen Brief, ich hatte zu wenig Zeit."
Und warum der ganze Aufwand? Jedes Jahr zum girls day bekommen wir Anfragen, ob uns eine Schülerin begleiten kann. Außerdem erhalten wir viele Praktikumsbewerbungen. Das ist alles leider nicht praktikabel. Während wir sprechen, können wir nicht gleichzeitig in die Meta-Ebene gehen und erklären, was wir tun. Menschen beim Nachdenken zuzusehen macht nicht klüger. Also schreibe ich hier.
Last but not least: Die Nachfrage nach Sprachdienstleistungen nimmt zu, das Wissen um unsere Arbeitsweise nimmt eher ab. Ich möchte mithelfen, dass (potentielle) Kunden besser ihren Teil zu gelingenden Projekten beitragen können.
Bei so vielen hehren Zielen wird es nicht verwundern, dass manches hier berichtete Moment nicht von mir stammt, sondern von den vertrauenswürdigen Ko-Kabinen beigesteuert wird. Wer spricht hier? Das berichtende "Ich" ist ähnlich virtuell wie das Kabinenlogbuch an sich.
Das Ganze ist Autobiofiktion.
Sonntagsbilder: Leser im öffentlichen Raum, mein derzeitiges Sammelprojekt zur Gestaltung eines Plakats in Mosaiktechnik. Mehr darüber hier.
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Foto: C.E. (Archiv)
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