Donnerstag, 26. Juli 2012

Nicht nur zu kurzfristig

Willkommen auf den Seiten des digitalen Logbuchs einer Sprachmittlerin. Meine Arbeitssprachen sind Französisch, Deutsch ... und Film. An dieser Stelle schreibe ich regelmäßig und so, dass man nicht die Betreffenden, dafür aber durchaus die Situationen erkennen kann, über meinen vielfältigen Berufsalltag, heute: Arbeitsvermittlung und negative Folgen.

Über manches Agenturgebaren habe ich hier bereits geschrieben. Gestern hatte ich ein neues Erlebnis mit dem, was diese Situation an Schlamassel den Kunden und uns bescheren kann.

Gestern klingelt viertel nach vier das Telefon, an der Strippe eine recht verzweifelt klingende Disponentin einer solchen selbstberufenen Vermittlungsstelle für Sprachdienstleistungen. Sie bot mir einen Job an — für heute, zehn Uhr. Gegenstand: Eine Verkaufsverhandlung im Endstadium, zwei, drei Stündchen, keine große Sache.

Ja, vielleicht sei noch das Mittagessen im Anschluss zu dolmetschen, wo der Abschluss zu feiern sein werde und ob denn 250 Euro Honorar OK seien?

Eigentlich ganz und gar nicht, ich sage erstmal nichts und denke kurz ans Sommerloch und dass ich heute Abend bei Freunden zum Essen eingeladen bin, das müsste ich dann wohl absagen. Dann frage ich nach Branche und Dokumenten oder Vokabelliste von früheren Terminen. (Implizit will ich wissen, warum der/die die Verhandlungen bislang betreuende Kollege/Kollegin nicht verfügbar ist.) Prompt bekomme ich die (reichlich naive) Antwort: "Die Dolmetscherin, die den Job davor gemacht hat, war überfordert, aber Sie mit Ihrer Erfahrung ..."

Nein, ich wollte keinen Honig um den Mund geschmiert bekommen, ich hatte nach (offenbar nicht für alle) selbstverständlichen Arbeitsgsgrundlagen gefragt. Also versuche ich es nochmal: "Um was für eine Firma handelt es sich denn?" Ich erfahre (reichlich zögerlich), dass es ein französisches Architekturbüro sei und dass der deutsche Bauherr ... naja, da gebe es vor allem baurechtliche und einige technische Probleme. (Die Dame am anderen Ende der Strippe druckst rum, hat offensichtlich Bauchschmerzen.)

"Da müssen Sie doch aber Unterlagen bekommen haben?", wende ich ein. Ja, schon, es hätte da wohl ein oder zwei Dokumente gegeben, die habe aber die andere Dolmetscherin direkt erhalten und sie melde sich nicht mehr. — Wie die Kommunikation zwischen Architekten und Bauherr seit dem letzten Termin verlaufen ist, darüber hat die Anruferin leider auch keine Informationen.

Das Szenarium lässt sich mit wenig Phantasie ausmalen. Ich belasse es bei meinen Rückfragen, verweise auf eine als Dolmetscherin bei Berliner Gerichten anerkannte Anwältin ... aber ob die sich ausgerechnet mit Baurecht auskennt? Und die technischen Aspekte? Und ob sie überhaupt in Berlin ist? "Und by the way, das Honorar ist nicht nur für sie indiskutabel."

Ich fürchte, der Kunde von der Superagentur wird sich zur Stunde mit Englisch behelfen müssen. Egal, soll meine Sorge nicht sein.

Normal wäre hier gewesen:
— voller Tagessatz (ab 750 Euro, je nach Schwierigkeitsgrad und Umfang des Projekts mehr)
— Buchung fünf bis zehn Tage im Voraus (Zeit fürs Einarbeiten)
— Korrespondenz, Dokumente, Vorbereitungsmaterial jeder Art
— direkter Ansprechpartner für ein Vorgespräch

Wie ist so ein Schlamassel möglich? Viele Betreiber von Übersetzer- und Dolmetscherportalen sind nicht vom Fach, stellen also nicht rechtzeitig die richtigen Fragen ... und warnen nicht vor zu kurzen Buchungsfristen. Außerdem schneiden sie sich nicht selten derart hohe "Vermittlungsprovisionen" ab, dass die unterbezahlten Sprachmittler kein treues Stammteam werden. Und last but not least kennen sie die angefragten Übersetzer und Dolmetscher zumeist nicht persönlich, wissen also nichts über die jeweiligen Stärken und Grenzen.

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Foto: C.E. (aus einer Berliner Akademie
für Berufsvorbereitung)

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