Wir Dolmetscher und Übersetzer arbeiten mitunter, wenn andere feiern oder ruhen. Beispiel: Gestern, Sonntag, saß ich kurz nach sieben am Schreibtisch am Fenster, während im Hof alles schlief, nur die Vögelchen zwitscherten und die Sonne übte schon mal, solang keiner hinsah (sie behielt ihr Strahlen zum Glück auch noch später bei).
Freitagabend hatte Yildiz angerufen, Junior Producer bei einer bekannten deutschen Filmproduktionsfirma. Ein Darsteller hat einen bevorstehenden Dreh abgesagt, jetzt solle noch einmal gecastet werden. Und dazu brauche die Koproduktionsfirma in Frankreich eine neue Rollenbeschreibung, einen neuen Kurzpitch und ein Résumé des Films, so Yildiz, zu Montag; Sonntag Nachmittag kämen die letzten Elemente. Wie teuer denn das würde?
Ich fürchte, es kam bei der Kollegin nur der Preis für den Mindesauftrag an, der liegt bei dem Umfang einer Manuskriptseite, und damit je Schwierigkeitsgrad bei 30-40 Euro. Das mit dem Mindestauftrag macht immer alle stutzig: Viel Arbeit, viel Geld und wenig Arbeit, wenig Geld, das scheint logisch. Warum dann mehr Geld für wenig Arbeit? Nun, sich hinzusetzen und in ein Thema (wieder) einzulesen, braucht immer ein Minimum an Zeit, so dass bei kleinen Aufträgen diese Umschaltzeit berücksichtigt wird, auch innerhalb einer längerfristigen Zusammenarbeit, da die Umschaltzeit ja tatsächlich nicht produktiv genutzt werden kann. Auch nicht am Sonntag zur Erholung.
Dazu kam noch ein Eilzuschlag. Bei kurzfristigen Wochenendaufträgen wie diesem und wenn grundsätzlich weniger als zwei Werktage zwischen Vergabe und Abgabe liegen, wird der Endpreis um 25 % teurer. Der Grund ist der am Schreibtisch verbrachte Sonntag (ja, es sah schön aus durch die Scheibe!), wahlweise Ostermontag, Neujahrstag. Manche Tage sind aus Familiengründen nicht zu haben, und auch der Feiertag nur selten ganz. Der zweite Grund ist, dass wir unter der Woche Termine schieben müssen und nicht in den eingespielten Teams arbeiten können, weil nicht alle zugleich verfügbar sind, also werden neue Kräfte gesucht, wenn nötig geprüft und beauftragt. Und da es sich hier nicht um eingespielte Kontakte mit gegenseitiger regelmäßiger Nachfrage und Rabattierung handelt, werden zum Beispiel fürs Korrektorat die vollen Stundensätze fällig. Plus Sonntagszuschläge ...
Und irgendwo in Frankreich lasen heute französische Schauspieler Rollenprofil und Filmgeschreibung, zu denen in Berlin auch heute Morgen kurz nach sieben noch Worte gefunden wurden ...
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