Montag, 23. Dezember 2024

Montagsschreibtisch (73)

Bien­ve­nue auf den Sei­ten ei­ner Sprach­ar­bei­te­rin. Was Über­set­ze­rin­nen, Über­set­zer, Dol­met­sche­rin­nen und Dol­met­scher um­treibt, wie sie bzw. wir ar­bei­ten, ist hier seit 2007 das Haupt­the­ma. Als Sprach­ar­bei­te­rin und Zeit­ge­nos­sin ha­be ich ei­nen meist­ens wa­chen Blick auf mei­ne Um­welt. Die po­li­tische La­ge ist mir zu stres­sig, die kom­men­tie­re ich hier nur sel­ten.

Noch ist der Ka­nal vor dem Haus nicht ver­eist, das Fo­to stammt von 2001. Aber es war ein zau­ber­haf­ter Mo­ment, den ich fo­to­gra­fisch fest­hal­ten muss­te. Die an­de­ren am We­ge ließ das Schau­spiel of­fen­bar kalt, die meis­ten gin­gen nur dar­an vor­bei.
Fassaden und Bäume spiegeln sich auf glatter Eisfläche
Licht­spiel im Eis

Heu­te auf dem Schreib­tisch: Nichts­tun. In an­de­ren Wor­ten kommt jetzt das be­rühm­te "Füße hoch und run­ter­kom­men"!

Mei­ne Wün­sche für das Jah­res­en­de und den Start ins Neue sind: we­niger so­zia­le Käl­te und mehr Ge­rech­tig­keit, we­niger krie­ge­ri­sche Aus­ein­an­der­set­zun­gen (hei­ße Krie­ge, kal­te Krie­ge, Fi­nanz- und Wirt­schafts­krie­ge), we­niger mensch­li­che Ein­grif­fe ins Kli­ma, in die Na­tur und die Bio­di­ver­si­tät, fried­li­che­re Zei­ten, mehr Kul­tur — und in Sum­me ein mög­lichst lang­wei­li­ges Jahr 2025!

Kei­ne Wün­sche oh­ne Be­nen­nung der ei­ge­nen Mög­lich­kei­ten. Hier kur­ze Hin­wei­se für per­sön­li­ches Wohl­be­fin­den, an die sich wir uns al­le in­ner­halb oder au­ßer­halb un­se­rer je­wei­li­gen Hams­ter­rä­der re­gel­mä­ßig er­in­nern dür­fen: Be­we­gung, Sport, Zeit mit den liebs­ten Men­schen ver­brin­gen, Na­tur, Kunst, Kul­tur, Bü­cher, Hob­bies und last but not least gu­tes, ge­sun­des Es­sen (und Fas­ten) sind die Schlüs­sel zur Kraft. Denn Kraft, Ge­las­sen­heit und mög­lichst aus­ge­gli­che­ne Stim­mun­gen brau­chen wir, um in die­ser cha­o­tischen Welt über­haupt et­was Gu­tes be­wir­ken zu kön­nen. Ge­nau da­zu sind wir da!

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Foto: C.E. (Archiv)

Sonntag, 22. Dezember 2024

Strickdesign aus Neukölln (LIM 1)

Bon­‍jour oder bon­soir auf den Sei­ten ei­‍ner Sprach­‍ar­bei­te­‍rin. In die­‍sem On­line­ta­‍ge­‍buch kön­‍nen Sie mit­‍le­‍sen, wie Dol­met­sche­rin­nen und Über­‍set­‍ze­‍rin­nen, Über­set­zer und Dol­met­scher ar­‍bei­‍ten. Sonn­‍tags wer­de ich pri­vat.

"Herstellung" (Pulswärmer und Fassaden in Spiegelung)
... in der Ma­nu­fak­tur vor Ort (mit Strick­ma­schi­ne)
Klei­ne Ge­schen­ke er­hal­ten die Freund­schaft oder er­freu­en die Mit­men­schen im Win­ter. Wer mich kennt, weiß, dass ich ver­ant­wor­tungs­be­wusst zu le­ben ver­su­che, was Um­welt- und Ar­beits­be­din­gun­gen an­geht. Da­her kau­fe ich re­gio­nal und ha­be auch ein klei­nes biss­chen da­zu bei­ge­tra­gen, dass es die­ses Jahr auch bei an­de­ren ei­ni­ge Ge­schen­ke aus zwei­ter Hand gibt.

Doch ich fan­ge mit dem An­fang an. Die Kü­che auf­zu­räu­men hat eini­ges zu­ta­ge ge­bracht, was dop­pelt oder drei­fach vor­han­den war oder kaum ge­nutzt wur­de. So konn­te ich über Klein­an­zei­gen.de ei­nen zu schwe­ren Mör­ser, ei­nen Tee­wa­gen und ei­ne Kü­chen­waa­ge los­wer­den. Die Freu­de war beid­sei­tig.

Bü­cher be­stel­le ich bei der Buch­hand­lung um die Ecke, auch dann, wenn ich im In­ter­net auf span­nende Ti­tel ge­sto­ßen bin. Kei­ne Spon­tan­käu­fe lau­tet das Mot­to. Ich ha­be ei­ne Da­tei, in der ich le­sens­wer­te Ti­tel sam­me­le. Bei man­chen Wer­ken muss ich nur ein biss­chen ab­war­ten, dann ent­de­cke ich sie in den städ­ti­schen Bü­cher­schrän­ken oder zu in Buch­ver­schenk­or­ten um­ge­wid­me­ten Te­le­fon­zel­len.

Pullis, Mützen, Pulswärmer, Schals
ANY­ON­ION Strick­de­sign in Neu­kölln
Man­ches ha­be ich selbst­ge­macht, auf dem Weih­nachts­markt der Ver­ei­ne und In­itia­ti­ven ge­fun­den oder bei ei­ner Tex­til­de­si­gne­rin im Kiez ge­kauft. Ge­ra­de die re­gio­nal her­ge­stell­ten Tex­ti­lien aus eng­li­schen Gar­nen, in Ita­li­en mit un­gif­ti­gen Sub­stan­zen ge­färbt, ha­ben mich über­zeugt, von höchs­ter Qua­li­tät, halt­bar und oh­ne Al­ler­gie­ge­fahr (was bei Fast Fa­shion droht).

Hier ha­ben wir es mit Slow Fa­shion zu tun! Da ist auch der höhe­re Preis bei den Wa­ren Made in Ger­ma­ny kein The­ma mehr. Die Un­ter­neh­me­rin stellt die Sa­chen im Hin­ter­zim­mer ih­res Neu­köll­ner La­dens her. Le­gen­där ihr Aus­spruch vor einigen Jahren: "Pas­sen­de Sa­chen zu su­chen kos­tet doch auch Zeit, und nicht al­le möch­ten stän­dig rum­ren­nen, um Neu­es zu kau­fen, nur weil das Fast-Neue schon wie­der ver­schlis­sen ist." Das stimmt erst recht, wenn ich mir ver­ge­gen­wär­tige, was die­se Such­zeit in Geld um­ge­rech­net wert wä­re. Die Fo­kus­sie­rung auf we­ni­ge, hoch­wer­tige Stü­cke macht mei­nen All­tag auch nach­hal­ti­ger.

ANYONION, Ga­bri­e­le Prell­witz, Bürk­ner­stra­ße 10, 12047 Ber­lin, vor Ort (am bes­ten mit Ter­min).

Wei­‍te­‍re Links:
"So macht un­‍se­‍re Klei­‍dung die Um­‍welt ka­‍putt", Quarks, 2017, 2023 ak­tu­a­li­siert. Ver­‍ant­‍wor­‍tungs­‍vol­‍ler Klei­‍dungs­‍kauf hängt nicht vom Ein­‍kom­‍men ab, auch Se­‍cond hand ist ein Teil der Lö­‍sung, sie­‍he: "Im Trend: We­‍ni­‍ger ist mehr", Kir­‍chen­‍Zei­‍tung Aachen, 2020. "LIM" steht für Less is more, es wer­‍den wei­‍te­‍re Bei­‍trä­‍ge fol­‍gen.
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Fo­to­col­la­ge: C.E.

Montag, 16. Dezember 2024

Montagsschreibtisch (72)

Seit 2007 schrei­be ich hier als Dol­met­scher­in über mei­nen All­tag in der Bran­che. Was und wie Dol­met­scher und Dol­met­sche­rin­nen be­schäf­tigt, wie wir ar­bei­ten, ist kaum be­kannt. Heu­te Mor­gen wie­der­hole ich Vo­ka­bel­lis­ten und wid­me mich der Ter­min­pla­nung.

Auf dem Schreib­tisch:
⊗ Buch­hal­tung
⊗ Raubkunst (mal wieder)
⊗ et­was zum Kurz­film­tag (even­tu­ell, An­ge­bot ist draußen, noch war­ten wir)

Schreibtische, Lampen, Unterlagen im Regal
Ein Mon­tag im Bü­ro
Was auf die­sem Sym­bol­bild zum The­ma Bü­ro­ar­beit gut dar­ge­stellt wur­de, sind die Ak­ten und Do­ku­men­te im Re­gal, die nicht nur vir­tu­ell auf dem "Desk­top" des Rech­ners ge­spei­chert sind. Ich nut­ze zum Ler­nen di­ver­se Un­ter­la­gen aus der Ar­beit, Zei­tungs­clip­pings, ei­ge­ne Lern­bil­der, er­folg­reich ge­nutz­te Vo­ka­bel­lis­ten und Ähn­li­ches.

Vie­le po­li­ti­sche Stif­tun­gen und For­schungs­ein­rich­tun­gen ver­öf­fent­li­chen auch Hin­ter­grund­infos, be­bil­dert, gut zum Ler­nen auf­be­rei­te­tes Ma­te­ri­al.

Ich strei­che an, un­ter­krin­ge­le, mar­kie­re far­big, set­ze Sym­bo­le oder No­ti­zen auf den Pa­pier­rand; nicht im­mer, aber mit je­dem neu­en oder sper­ri­gen Lern­stoff. Au­gen und Hän­de, al­so das Vi­suel­le, die Mo­to­rik und die Hap­tik, sind meis­tens beim Ler­nen be­tei­ligt. For­schun­gen ha­ben er­ge­ben, dass die Lern­er­geb­nis­se mit der Zu­hil­fe­nah­me von Pa­pier bes­ser sind.

Das gilt je­den­falls für die un­ter­such­ten Ge­ne­ra­tio­nen. Wie es mit den Al­ler­jüngs­ten sein wird, er­fah­ren wir spä­ter. Für mich und vie­le Zeit­ge­nos­sen gilt: Das rei­ne di­gi­ta­le Ler­nen ist nicht so er­folg­reich wie das Ler­nen mit al­len Sin­nen. (Mei­ne Pro­gno­se für die nach­ge­hol­te For­schung: Die­ser Satz wird auch für die Jüngs­ten gel­ten.)

Beim Ler­nen sind auch die Oh­ren wich­tig: Ich le­se vor und hö­re auch viel.

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Fo­to: Zu­falls­fund, pixlr.com (KI)

Sonntag, 15. Dezember 2024

Vorlesepause

Als Kon­fe­renz­dol­met­sche­rin ar­bei­te ich haupt­säch­lich mit Fran­zö­sisch und manch­mal auch mit Eng­lisch, wo­bei Deutsch mei­ne Mut­ter­spra­che ist. Der Be­ruf ist vol­ler Stress­mo­men­te. Ei­ne der gol­de­nen Re­geln da­bei: Stress­re­du­zie­rung durch ei­nen kla­ren Schnitt in der Frei­zeit und am Wo­chen­en­de, wo ich et­was an­de­res ma­che. Sonn­tags­bild!

Sonntags beim Vorlesen
An die­sem Jah­res­en­de ver­brin­ge ich nur kur­ze Wo­chen im Bü­ro.
Die Woh­nung ist zu kalt, ich ge­he in Mu­seen, ins Ki­no Ar­se­nal, das sei­ne letz­ten Ta­ge am Pots­da­mer Platz er­lebt, dar­ü­ber folgt ei­ne Rück­schau hier spä­ter in der Wo­che, ins Thea­ter ... oder aber ich küm­me­re mich um An­ge­hö­ri­ge, um ei­ne äl­te­re pfle­ge­be­dürf­ti­ge Per­son und um die nächs­te Ge­ne­ra­ti­on.

Ich bin jetzt zum vier­ten Mal in mei­nem Le­ben Teil­zeit­zweit­mut­ter — und ich lie­be es! (Das klei­ne Fräu­lein fing von sich aus pro­be­wei­se mit "Ma­ma" an ... und das Wort "Teil­zeit­zweit­mut­ter" ist fast ein Zun­gen­bre­cher!)

Wenn es hier zwi­schen­durch ru­hi­ger wird, bin ich in mei­ner zwei­ten Hei­mat, in Frank­reich, bzw. ein­fach nur en famille.

Vor­le­sen ist übri­gens ei­ner der zen­tra­len Tipps für die gu­te "Rei­se­lei­tung" für die Kleins­ten. Und zwar nicht nur vor dem Schlaf­en­ge­hen, son­dern oft auch zwi­schen­durch und so­gar dann noch, wenn sie längst selbst le­sen kön­nen. Im Ge­spräch wer­den Vo­ka­bel­fra­gen ge­klärt, Be­droh­li­ches ein­ge­ord­net und Wit­ze wei­ter­ge­spon­nen.

Im Zweit­spra­cher­werb ist es wich­tig, ei­ne star­ke ers­te Spra­che zu ha­ben, denn wir brau­chen an ers­ter Stel­le Wör­ter für Ide­en, Kon­zep­te, The­men und ei­nen Tief­gang in im Be­grei­fen der Welt (das gilt auch für die 3., 4. Spra­che ...).

Al­so, wer sprach­lich ge­wand­te, so­zi­al star­ke und fan­ta­sie­vol­le Mensch­lein in sei­nem Um­feld ha­ben möch­te, der/die le­se vor, je­den Tag, man­che Bü­cher vie­le Dutz­end­mal, er­fin­de mit ih­nen zu­sam­men neue Ge­schich­ten, ge­nie­ße die Nä­he. Kratz­bürs­tig sind die Fräu­leins jetzt schon manch­mal, in deut­lich we­ni­ger als zehn Jah­ren wird es erst rich­tig dol­le. Um­so wich­ti­ger ist ein gu­tes Fun­da­ment.

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Foto: Charlotte Elias

Montag, 9. Dezember 2024

Montagsschreibtisch (71)

Wie wir Dol­met­scher und Dol­met­sche­rin­nen ar­bei­ten, ist seit 2007 Ge­gen­stand die­ses Web­logs. Mei­ne Mut­ter­spra­che ist Deutsch, ich ar­bei­te über­wie­gend mit Fran­zö­sisch und Eng­lisch, und die Bü­ro­kol­le­gin über­setzt in die eng­li­sche Spra­che. Hier folgt der Blick auf den Schreib­tisch.

Das Jahr rast auf sein En­de zu. Der­zeit bin ich ziem­lich sau­er. Un­se­re glor­rei­che Haus­ver­wal­tung be­kommt seit vielen Wo­chen die Re­pa­ra­tur un­se­rer Gas­ther­me nicht in den Griff, die hier die Heiz­kör­per und das Was­ser wärmt.

Hände greifen nach Keksen
Keks­bag­gern

Nun stel­le ich mir vor, wie sie in der Ver­wal­tung mit­ten in der Som­mer­hit­ze dar­über nach­ge­dacht ha­ben, ob's doch eher 'nen mil­den Win­ter gibt, ob Sub­ven­tio­nen für zeit­ge­mä­ße Heiz­tech­nik ab­ge­grif­fen werden können oder ein Wun­der pas­sie­rt. Bei der Ther­me ist das Aus­deh­nungs­ge­fäß de­fekt, das die Her­stel­lerfir­ma Jun­ker an­schei­nend nicht nach­lie­fern kann.

Was hilft: In der Kü­che sit­zen, ko­chen und ba­cken. Noch nie in mei­nem Le­ben war ich so ei­ne Kü­chen­fee. Das kal­te Ar­beits­zim­mer, das ich ger­ne auf­räu­men wür­de, muss war­ten. Al­so lie­gen auf dem Schreib­tisch ge­ra­de: Buch­hal­tung, Vor­be­rei­tung ei­nes Ein­sat­zes An­fang Ja­nu­ar und viel­leicht noch ei­nes zwei­ten vor Weih­nach­ten, Kos­ten­vor­an­schlä­ge Ber­li­na­le. Es geht um all­ge­mei­ne Po­li­tik, den Kurz­film­tag am 21.12. und di­ver­se Film­sa­chen, die noch auf Pa­pier sind.

Aber mein biss­chen Fröst­eln ist nichts ge­gen die Welt­la­ge. Ich den­ke an die Men­schen in der Uk­rai­ne, in Is­ra­el und den Pa­lä­sti­nen­sers­ied­lun­gen oder in Flücht­lings­la­gern, in Sy­ri­en und den Hun­ger­ge­bie­ten Af­ri­kas.

Ges­tern war mit As­sads Sturz und Flucht wie­der ein his­to­ri­scher Tag, nur ist bis­lang kom­plett un­klar, wo­hin die Rei­se geht: Wel­ches Re­gime wird dort die Macht über­neh­men? Dro­hen nicht an­de­re krie­ge­ri­sche Zu­stän­de oder ei­ne is­la­mis­ti­sche Re­gie­rung, die Mäd­chen- und Frau­en­rech­te, ja grund­sätz­lich Men­schen­rech­te ein­schränkt?

Ich bin er­schüt­tert und fin­de es ver­werf­lich, dass der ers­te Ge­dan­ke der so­ge­nann­ten christ­li­chen Par­teien die­ses Lan­des im Wahl­k(r)­ampf die laut me­di­al ver­brei­te­te Idee zu sein scheint, die in den letz­ten Jah­ren zu uns Ge­flüch­te­ten mög­lichst su­bi­to in ihr Her­kunfts­land zu­rück­zu­schi­cken, in Ge­gen­den, die zum Teil Kriegs­wüs­ten sind, mit­ten im Win­ter, in ein Land mit ver­min­ten Fel­dern und vie­ler­orts zer­stör­ten Häu­sern, in ei­ne al­te Hei­mat, die in man­chen Ge­gen­den leicht ato­mar ver­strahlt ist, die Rus­sen ha­ben pan­zer­bre­chen­de Ura­nmu­ni­tion ge­nutzt.

Das Grund­recht auf Asyl muss un­ver­rück­bar da­ste­hen, auch und ge­ra­de in Zei­ten, in de­nen die A*Dep­pen den Stamm­tisch be­herr­schen. Wir soll­ten eher da­ran ar­bei­ten, den Stamm­tisch wie­der von der Wahl­ur­ne zu tren­nen, das sind un­ter­schied­li­che Sphä­ren, wir al­le dür­fen mo­sern, me­ckern, mau­len und ha­ben da­ne­ben die zi­vi­le Ver­ant­wor­tung des Wäh­lens ... und ei­gent­lich auch an­de­rer ak­ti­ver Teil­nah­me am Ge­mein­we­sen!

Heute bin ich froh, dass die Fa­mi­lie, die ich nach 2015 als In­te­gra­ti­ons­hel­fe­rin be­glei­tet ha­be, die fran­zö­sisch­spra­chi­gen Sy­rer, sich hier so gut ein­ge­lebt ha­ben.

Die­se Fa­mi­lie wird hier­blei­ben. Ihr Haus in Alep­po ist zer­stört, von den ent­fern­te­ren Ver­wand­ten fehlt zum Teil je­de Nach­richt, an­de­re leben in der Tür­kei. Sa­mi­ra, die Mut­ter, wird als Kin­der­ärz­tin jeden Tag im Kran­ken­haus ge­braucht. Sie hat damals ih­re Zwil­lings­töch­ter mitgebracht, die eine stu­diert Ju­ra, die an­de­re ist im Lehr­amts­re­fe­ren­da­ri­at, der Ne­ffe der Mäd­chen hat von Me­cha­tro­ni­ker auf me­di­zi­ni­scher Mas­seur um­ge­schwenkt (und ist in­zwi­schen Pa­pa ei­ner klei­nen Ber­li­ne­rin), die Tan­te bzw. Schwes­ter ar­bei­tet wei­ter­hin in ei­ner Än­de­rungs­schnei­de­rei. Die Fa­mi­lie hat in­zwi­schen deut­sche Päs­se, und die Oma liegt in deut­scher Er­de be­gra­ben.

P.S.: Fast 5800 Ärz­tin­nen und Ärz­te aus Sy­rien prak­ti­zie­ren der­zeit in Deutsch­land, und Kran­ken­häu­ser war­nen da­vor, dass sie zu­rück­keh­ren könn­ten. Er­gän­zung: Die­se Zahl trifft auf Fach­leu­te wie Sa­mi­ra zu, al­so mit deut­scher Staats­bür­ger­schaft. Es wird da­von aus­ge­gan­gen, dass es wei­te­re 15.000 bis 20.000 sy­ri­sche Ärztin­nen und Ärz­te in Deutsch­land gibt, die kei­nen deut­schen Pass ha­ben.
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Foto: Cla­ra from AUS­TRIA (Wi­ki­com­mons)

Dienstag, 3. Dezember 2024

Zeitreise (1)

Aus dem Ar­beits­all­tag der Dol­met­scher und Dol­met­sche­rin­nen be­rich­te ich hier, ge­nau­er: Hier schreibt ei­ne Dol­met­sche­rin mit Mut­ter­spra­che Deutsch. Ich ar­bei­te über­wie­gend mit Fran­zö­sisch und Eng­lisch, die Bü­ro­kol­le­gin über­setzt in die eng­li­sche Spra­che. Heute noch ein­ige Sonn­tags­bil­der.

Ges­tern vor ei­ner Woche hat­te ich in der Vor­aus­schau ein Fo­to aus den 1920-er Jah­ren ge­bracht. Der Hin­ter­grund, ge­nau­er: Ein Ka­len­der an der Wand, hat mich neu­gie­rig ge­macht. Im haus­ei­ge­nen Zei­tungs­ar­chiv und im Netz wur­de ich fün­dig.

Es han­delt sich um den Wer­be­ka­len­der der Fir­ma Rahn, die heu­te lei­der ver­schwun­den ist. Bei "Fr. Rahn" (Fried­rich?) han­delt es sich um ei­nen Her­stel­ler von "Con­tor- und Bu­reau-Mö­bel", auch von Sa­fes, da­mals "ei­ser­ner Geld­schrank" ge­nannt, und von kom­plet­ten Ge­schäfts­aus­stat­tun­gen von Lä­den und Bank­häu­sern. Laut Ber­li­ner Ak­ten be­stand das Un­ter­neh­men ab dem Jahr 1812, und es wird am Ende, 2007 im Be­sitz ei­ner ge­wis­sen Ida Bruns geb. Gau im Han­dels­re­gis­ter Char­lot­ten­burg als "Rahn & Co." ge­führt; an­de­ren Quellen zu­fol­ge gab es mit glei­cher Fir­mie­rung im Ber­li­ner Um­land von 1906 bis 1927 ei­ne Mö­bel­fab­rik, ge­nau­er in Ber­nau.

Nach 1900 und min­des­tens bis 1940 war der Haupt­sitz in der Nä­he des heu­ti­gen Ro­sen­tha­ler Plat­zes. Das Ge­bäu­de steht noch, er­kenn­bar an sei­nem hö­he­ren Dach, aber „Fr. Rahn“ ist längst ver­schwun­den. Die An­schrift Brun­nen­straße 196 ist un­ver­än­dert. Das Ge­bäu­de zeich­net sich durch eine "Beletage" mit Bü­ro- und Aus­stel­lungs­räu­men aus, was das be­son­ders gro­ße, schau­fens­ter­ar­ti­ge Fens­ter­band im ers­ten Stock zeigt, ver­mut­lich die Aus­stel­lungs­räu­me. (Der Blick un­ten geht vom Ro­sen­tha­ler Platz aus.)

Die be­wor­be­nen "schall­si­che­ren Te­le­phon­zel­len" wer­den heu­te üb­ri­gens in mo­der­nen Groß­raum­bü­ros wie­der auf­ge­stellt. Mit wel­cher Tech­nik die "Co­pi­er­pres­sen" be­trie­ben wur­den, wä­re si­cher in­te­res­sant zu er­fah­ren. [EDIT: Die Jah­res­zah­len auf dem Fo­to sind leider ver­rutscht.]

Fotos vom Platz aus: Wikimedia Commons, Collage: CE









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Fo­tos: Bild 2024 von Trak­tor­min­ze, um Jah­res­zahl
+ Pfeil ergänzt; Aus­schnit­te nach 1900, Pri­vat­ar­chiv.
Bild in ei­nen 2. Tab la­den, so lässt es sich ver­grö­ßern!

Montag, 2. Dezember 2024

Montagsschreibtisch (70)

Bon­jour & hel­lo! Sie sind auf den Sei­ten eines di­gi­talen Ta­ge­buchs aus der Welt der Spra­chen ge­lan­det, das es seit 2007 gibt. Wir sind ein Team. Die­sen Herbst wa­ren et­li­che von uns im Auf­trag von Kund:in­nen un­ter­wegs, das Ar­beits­le­ben war hek­tisch. Heu­te ist ein ru­hi­ger Mon­tag­mor­gen in Ber­lin.

Stehpult für die Rückengesundheit
Die letz­ten Ter­mine ste­hen an. Drau­ßen riecht es be­reits nach Schnee.

Auf dem Schreib­tisch:
⊗ Buch­hal­tung
⊗ Mikro­plas­tik
⊗ Kurz­ter­min Woh­nungs­re­no­vie­rung in der Nach­bar­schaft
⊗ Nach­be­rei­tung di­ver­ser Land­bau­the­men
⊗ Kos­ten­vor­an­schlä­ge und Ter­min­pla­nung 2. Quar­tal 25

Das Prob­lem Mi­kro­plas­tik ist schlicht un­fass­bar für ei­ne Dol­metsche­rin wie mich, die am Puls der Zeit zu ak­tu­el­len The­men ar­bei­tet. Wir dol­met­schen dazu, ken­nen den For­schungs­stand und ha­ben nach ge­ta­ner, an­stren­gen­der Ar­beit das Ge­fühl, das The­ma müss­te da­mit fast schon er­le­digt sein. Die Er­nüch­te­rung tut je­des Mal weh. Für ei­ne frü­he Ver­an­stal­tung zum Thema Bio­plas­tik wa­ren wir schon 2008 tätig.

Ak­tu­ell warnt die OECD
, dass sich bis zum Jahr 2060 (und auf der Ba­sis des Ver­brauchs von 2019) der welt­wei­te Kunst­stoff­ver­brauch ver­drei­fa­chen könn­te, soll­ten keine weit­rei­chen­den Maß­nah­men da­ge­gen er­grif­fen wer­den.

Plas­tik wird zu Plas­tik­müll. Makro- und Mikro­plas­tik sind ge­fähr­lich für Ozea­ne, Ar­ten­viel­falt, Bö­den und die mensch­li­che Ge­sund­heit, denn ge­ra­de die klei­nen und kleins­ten Plas­tik­tei­le, die in­zwi­schen schon durch die Luft wir­beln und in der Na­bel­schnur von Neu­ge­bo­re­nen nach­ge­wie­sen wur­den, füh­ren zu Krebs, Herz-/Kreis­lauf­er­kran­kun­gen, Dia­be­tes, auch durch Fein­staub vom Rei­fen­ab­rieb.

Da­zu ein Hör­funk­tipp (2. Teil, 3. Teil, 4. Teil ...), denn wäh­rend ich pa­uke, mer­ke ich in der Kü­che in der Tee­pau­se, dass im Ra­dio eine Sen­dung zum glei­chen The­ma läuft.

Ich dol­met­sche mich al­so mal wie­der mit Rund­funk­stim­men warm.

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Fo­to: C.E. (Archiv)

Sonntag, 1. Dezember 2024

Veranstaltungshinweis

Bien­ve­nue auf den Sei­ten ei­ner Sprach­ar­bei­te­rin. Wie Über­set­ze­rin­nen, Über­set­zer, Dol­met­sche­rin­nen und Dol­met­scher ar­bei­ten, kön­nen Sie hier mit­le­sen. Mei­ne Spra­chen sind Fran­zö­sisch und Eng­lisch (das Idi­om Shakes­peares nur als Aus­gangs­spra­che), und das Ar­beits­ma­te­ri­al be­schäf­tigt mich so­gar sonn­tags.

Be­grif­fe­auf­drö­seln und bei der ers­ten Be­geg­nung gleich ler­nen ist ein Hob­by von uns Lin­guist:­in­nen. Das ha­be ich von mei­nem Pa­pa ge­lernt, ei­nem His­to­ri­ker, dem die­ser Be­griff ge­fal­len hät­te: "Habs­burg­syndrom". Dieses Ge­schlecht zeich­ne­te sich der­mal­einst durch sei­ne be­rühm­te, mar­kan­te "Habs­bur­ger Un­ter­lip­pe" aus. Hier im Text zwei Links zu Bil­dern, die zei­gen, wie das her­vor­ra­gen­de Kör­per­teil aus­sah. Auf Fran­zö­sisch heißt das pro­man­di­bu­lie habs­bour­geoise, pro wie "vor", und zwar räum­lich, nicht zeit­lich, be­kannt von der "Pro­tu­ber­anz", mandibule heißt schlicht "Un­ter­kie­fer", die Nach­sil­be -ie wie (krank­haf­ter) "Zu­stand".

Die­se Lip­pe war ein Zucht­merk­mal, ähem, na­tür­lich un­be­ab­sich­tigt, die Fol­ge von In­zucht, der aus dy­nas­ti­schem Den­ken und Macht­an­spruch künst­lich ver­knapp­ten DNA-Aus­wahl. (So­fort stellt sich mein Kopf die Fra­ge, wo­ran heut­zu­ta­ge ein Macht­an­spruch auf den ers­ten Blick er­kannt wer­den kann und ob das auch auf die Ge­ne durch­schlägt.)

Ähn­lich wie einst die Fa­mi­lie Habs­burg de­ge­ne­riert die KI der­zeit vor sich hin. Das Habs­burg­syndrom sind dem­nach häss­li­che Ver­zeich­nun­gen und Ver­for­mun­gen, die so­gar, huch!, vom Durch­schnitts­krem­pel ab­wei­chen, den uns die KI mit ih­rem Aus­wurf sonst um die Oh­ren knallt. In der Klang­welt heißt so et­was in der Art üb­ri­gens "Rück­kopp­lung" und kann ver­dammt weh tun.

Ziem­lich kör­per­lich bin ich heu­te und laun­isch. Es ist Sonn­tag, ich darf das, wir sind un­ter uns.

Wenn die Large Language Models (LLMs) gröb­lich ir­gend­wel­chen Ko­lo­lo­res er­fin­den, weil sie nichts mehr fin­den, und die­se "Hal­lu­zi­na­tio­nen" dann spä­ter wie­der als "ech­tes" Aus­gangs­ma­te­ri­al nut­zen, kommt "Wis­sens­in­zucht" zu­stan­de, Feh­ler ver­stär­ken ein­an­der, ver­zer­ren den Aus­wurf, lie­fern manch­mal kom­plett ab­ar­tige "Er­geb­nis­se". Das Phä­no­men wird mit der Zeit im­mer schlim­mer.

Das wa­ren jetzt ein­deu­tig zu vie­le Zei­len für ei­ne Ver­an­stal­tungs­an­kün­di­gung! Die Habs­bur­ger­sa­che kann auch hier zum The­ma wer­den:

Mor­gen, am 2. De­zem­ber 2024, fin­det in Düs­sel­dorf (Link) ei­ne span­nen­de Dis­kus­sion über den Ein­fluss der Künst­li­chen In­tel­li­genz (KI) auf die Spra­che statt, denn das ist die nächs­te gro­ße Sor­ge: Dass die Ein­flüs­se, de­nen je­de le­ben­de Spra­che un­ter­liegt, künf­tig nicht mehr die von Nach­bar­län­dern oder do­mi­nan­ten Kul­tu­ren von Staa­ten sein könn­ten, son­dern je­ne von tref­fen­den und un­zu­treff­en­den Be­grif­fen, die wir im Kon­takt mit der KI auf­schnap­pen. Und dass die Leu­te plötz­lich an­fan­gen, im All­tag ver­schlich­tet zu schrei­ben, zu spre­chen, zu den­ken, da­mit die KI "mit­kommt". Was ge­nau ist die KI und was be­deu­tet sie für die Zu­kunft?

02. Dezember 2024, 19:00 - 20:30, Eintritt frei, Institut français, Düsseldorf im zakk (Zentrum für Aktion, Kultur und Kommunikation) Fichtenstraße 40, 40233 Düsseldorf 
Ei­ne Ver­an­stal­tung mit: Ka­tha­ri­na West­phal von #Di­gi­tal­chan­ge­ma­ker, Cy­ril Ca­tel von iAd­vi­ze, im Be­reich "Con­ver­sa­tio­nal Com­mer­ce" tä­tig, Lau­ra Hu­rot, ei­ner Über­set­zer­kol­le­gin und Fran­zö­sisch­leh­re­rin, die für das Kon­zept der slow trans­la­ti­on be­kannt ist, gu­te al­te Hand­ar­beit, und die als Teil der Grup­pe En Chair et En Os zum Nach­den­ken über die lang­fris­ti­gen Aus­wir­kun­gen von ma­schi­nel­ler Über­set­zung an­regt, last but not least In­go Klei­ber, Lin­gu­ist und Ex­per­te für Bil­dungs­tech­no­lo­gie.

Ein­tritt: gra­tis, An­mel­dung: info.düsseldorf@institutfrancais.de; spon­ta­nes Er­schei­nen ist zu­lässig; Ge­spräch auf Deutsch.

Was die Ma­schi­ne nicht kann, da­für wir Men­schen umso besser, ist Kör­per­spra­che zu le­sen. Me­di­en­kon­sum ist der­zeit für Dol­met­scher­in­nen mit kör­per­li­chem Un­wohl­sein ver­bun­den. War­um? Weil wir so oft sehr mie­se Ge­füh­le da­bei be­kom­men. 

Es ist ein­fach so, dass Kör­per­spra­che sehr viel über die Hal­tung der Spre­chen­den aus­sagt, wie glaub­wür­dig sie sind, wie au­then­tisch. Auch die Stim­me lügt nicht, und Mi­mik ... na­ja, ein star­rer Blick in die TV-Ka­me­ra oder als zwei­te Blick­rich­tung un­ter sich, star­rer Ober­kör­per, der erst bei ei­ner Nach­fra­ge sicht­lich in Be­we­gung ge­rät, ei­ne kno­ti­ge Stim­me — was ich die­se Wo­che ge­se­hen ha­be, ist Ma­te­ri­al, das in Lehr­fil­me ein­ge­hen wird. Ich wer­de mir dem­nächst die Stich­punk­te da­raus trans­kri­bie­ren und ei­ne Über­set­zung da­zu über­le­gen.

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Grafik: IF Düsseldorf