Abwarten und Buch lesen |
Doch ist etwas heute anders: Wir haben
So etwas hat es noch nie gegeben. Auch das nicht: Anfang März mehr als eine Anfrage für den späten Herbst vorliegen zu haben. In diesen Tagen sind alle tief verunsichert. Derzeit versuchen die Länder, die Ausbreitung des Corona-Virus zu verlangsamen, was Fachleuten zufolge nur schwer möglich ist. Durch die Globalisierung sind wir alle einander nähergerückt, durch den Siegeszug neoliberaler Wirtschaftsgedanken wurden immer mehr Krankenhäuser privatisiert oder geschlossen, gilt die Bereitstellung von überzähligen Betten als Geldverschwendung. Die Kehrseite der Medaille erleben wir derzeit — beziehungsweise die Anfänge davon.
Außer in Sachsen-Anhalt treten in der ganzen Republik erste Fälle von Covid-19 auf. (Der Osten ist vermutlich länger sicheres Terrain, die Menschen dort sind ärmer, mal eben Woche für Ski oder Shopping eine Fernreise anzutreten nicht weit verbreitet.) Wer immer sich für Home office entscheiden kann, macht dies. Dienstreisen werden verboten, Euro-Betriebsratssitzungen abgesagt. Für uns Dolmetscher bedeutet die Annullierung von Konferenzen, Messen und anderen Events eine existenzielle Bedrohung, denn wir können absehen, wie viele Monate unsere Rücklagen reichen.
Mit der deutschen Einheit schien Lohnzurückhaltung in vielen Branchen lange das Gebot der Stunde, und der allgemeine Protest war gering, denn die Kosten für die Modernisierung von Infrastruktur im östlichen Teil und in Berlin mussten ja auch irgendwie gestemmt werden. Verglichen mit Kaufkraftverlust und dem parallel erfolgten Abbau von Sozialleistungen (nur zwei Beispiele: die 'Privatisierung' von Arbeitsunfähigkeitsversicherung sowie das Herausfallen von Schul- und Studienjahren von Akademikern nach dem 16. Lebensjahr aus der Rente), verglichen damit also liegen unsere Honorare bei etwa der Hälfte des Niveaus, auf dem sie sich im Grunde befinden müssten.
Schlechtwettergeld kennt unsere Branche nicht. Allein die Absage der Internationalen Tourismusbörse (ITB) soll Berlin ein Umsatzminus von Dutzenden Millionen Euro bescheren. Da Bundesministerien die Absage empfohlen hatten und das Coronavirus tatsächlich wie schlechtes Wetter plötzlich da ist, berufen sich die Auftraggeber bei der Annullierung von Terminen auf höhere Gewalt.
Ich muss immer an Herbst 1989 denken. Da sagte mir ein Leipziger Optiker diesen grandiosen Satz: "Wenn Du weißt, was die Zukunft bringt, hast Du schlechte Informanten!"
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Foto: Eigenes Archiv (Foto ca. 1900)
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