Sonntag, 2. Juli 2017

Die Wochenlage

Hier bloggt eine Übersetzerin und Dolmetscherin. Französisch und Englisch sind meine Arbeitssprachen. Wohin steuert die Welt? Mir ist nicht nach einem Wort zum Sonntag zumute.

Nasse Blätter
Es war sehr feucht in Berlin
Als ich Hinter­grund­material für die nächste Kon­ferenz lese, muss abends um sechs damit auf­hö­ren, damit ich nachts schlafen kann.

Jean Zieglers Satz, dass die reichen Länder die Kinder der ärms­ten Länder töten, ist zwar hart, aber leider richtig. Er fordert im tagesschau.de-Interview: "Schafft die G20-Treffen ab!"

Die zentralen Probleme lassen sich auch per Textvorlagen und Unterschriften klä­ren, denn sie müssten unter Einsatz gesunden Menschenverstands unstrittig sein. Dringend beendet gehört der Börsenhandel mit und das Wetten auf die Preise von Lebensmitteln, zumal und besonders in Zeiten, in denen ganze Landstriche im­mer heißer und trockener werden. Auch andere Lebensgrundlagen dürfen nicht in pri­va­te Hand, und der Wohnungssektor braucht einen starken öffentlichen, ge­mein­nüt­zi­gen Counterpart. Solche Entscheidungen könnten, wenn sie erst gefällt sind, im Umlaufverfahren unterzeichnet werden.

Unsere Repräsentanten, also Menschen, die wir zur Führung der Amtsgeschäfte frei­ge­stellt haben, haben Angst vor uns und vor dem abstrakt (und manch­mal lei­der sehr konkret) Bösen. Daher mauert man sich hochgerüstet ein. "Wie Hamburg zur Rüstungsmesse wird" schreibt prompt das Manager Magazin. Jetzt hab' ich's ka­piert. Das Event ist eine Roadshow für die Waffen- und High-Tech-Schmie­den! Die Kosten des ganzen Spektakels sollen, Hamburger Quellen zufolge, bei um die 200 Mio. Euro liegen. Vergleich: Die Elbphilharmonie war für 800 Millionen Euro zu haben.

Das Geld wäre anderswo besser investiert. Ich plädiere europaweit für Mu­sik­schu­len mit großartigen Angeboten in allen Wohnvierteln, besonders in den Armen- und Mittelschichtquartieren, mit Einzel- und Gruppenunterrichten. Denn die einen kön­nen es sich nicht leisten und bei den anderen fällt das als erstes weg. DAS wäre sinnvoll! Denn Kinder und Jugendliche lernen hier, dass sie durch regelmäßiges, konzentriertes Arbeiten weiterkommen, sie lernen aber auch, sich zu vergleichen und Ansporn durch die Besten aufzugreifen, sie lernen Frustrationstoleranz und Selbstregulierung, Verantwortung und im Zusammenspiel das Eingehen auf andere ... und das brauchen alle.

Das brauchen jene Deklassierten, die großspurig tun um ihr Nichtwissen zu kom­pen­sie­ren, die das Gefühl haben, chancen- und wertlos zu sein, die aufgrund ihrer negativen Erfah­rungen der beste Nähr­boden für alle Formen von -ismen sind, die die perversen Rattenfänger für sie bereithalten. Das brauchen jene, denen die ei­ge­nen Übereltern jedes Problem aus dem Weg räumen, die über­behütet sind und grundlos verwöhnt, und zwar aus verdammt ähnlichen Gründen.

Ziegler fordert stattdessen, die UN zu stärken und Eilmaßnahme für die ärms­ten Staaten einzuleiten. Denn der Gedanke ist schon ein wenig absurd, dass genau jene Staaten, die für die zentralen Probleme der Natur, Gesell­schaften und Wirt­schaft verantwortlich sind, jetzt im gemein­samen Gespräch den Willen und die Wege für ihre Lösung finden sollen.

Rote Gummistiefel, blaue Jacke, gelb(-grüne) Fassade
Who’s Afraid of Red, Yellow and Blue
Wobei die Analyse der Probleme und ihre Diskussionen ohnehin oft schon auf Wis­sen­schaft­ler- und Staatssekretärsebene zusammen mit den Be­trof­fe­nen statt­fin­den. Als Dolmetscherin weiß ich etwas davon. Warum habe ich nur so oft das Gefühl, in den Vorlagen der Re­prä­sen­tan­ten an der Spitze davon fast nichts wie­der­zu­fin­den?

Was war noch diese Woche? Griechenland wird von der Ex-"Troika" dazu genötigt, seine Wasser- und Gasversorgung zu pri­va­ti­sie­ren. Ich muss daran denken, dass die überwiegende Mehr­heit der Be­völ­ke­rung Europas dagegen ist, Institutionen der Daseinsfürsorge Ak­tio­nä­ren zu verkaufen.

(Paris und Berlin waren diesen Weg im Bereich Wasser schon gegangen und haben mit großen Verlusten für die Bürger rekommunalisiert.) Und ich denke daran, dass die Vertreter der "Troika" überwiegend nicht aus Wahlen hervorgegangen sind, also nicht de­mo­kra­tisch legitimiert sind.

Und waren es nicht Vorläufertreffen des G20, zum Beispiel das Treffen der Fin­anz­mi­nis­ter 1999, das (auch) zur Deregulierung der Finanzmärkte und zu den letzten Crashs geführt hat? Langsam schwant jedenfalls der Frau und dem Mann von der Straße, was es mit Zockerbörsen, Vergiftung unserer Lebensgrundlagen und Kli­ma­wan­del auf sich hat. Starkregen wie diese Woche in Berlin, wo die Menge eines Vierteljahrs binnen 24 Stunden runterkommt, kann niemand mehr übersehen.

Und nein, hier helfen keine Ideologien und politischen Lager, es ist das Gebot der Menschlichkeit, hier genau hinzusehen. Doch ein Wort zum Sonntag geworden.

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Fotos: C.E.

4 Kommentare:

Th. hat gesagt…

Hi Caro!

Keine Autos im Kiez? Wie das? Sind die etwa alle schon im Urlaub? Haben die keine Kinder?

Gruß in die Ferne,
Th.

caro_berlin hat gesagt…

Nee, lieber Tom, die hat der Starkregen weggespült. Im Ernst, das war die Friedelstraße nach der Räumung des Nachbarschaftsladens mit enormem Polizeiaufgebot. Der daraufhin einsetzende Dauerregen war sogleich die Strafe G*ttes ;-)

Rückgruß
C

OHE hat gesagt…

Diese Politik des "Organisierten Kapitalismus" führte 1896 zu einer Börsenreform und zur Abschaffung des Warenterminhandels mit Getreide und der Produktbörsen.
Thomas Nipperdey: Deutsche Geschichte 1866–1918, Bd. 2: Machtstaat vor der Demokratie, 1992, S. 473, 585; Wolfgang Schulz: Das deutsche Börsengesetz. Die Entstehungsgeschichte und wirtschaftliche Auswirkungen des Börsengesetzes von 1896 (Rechtshistorische Reihe 124), 1994.

Das Kaiserreich nach Bismarck unter dem Kanzler Caprivi hat viele Fehler gemacht, aber innenpolitisch auch manches Gute, das uns heute als Beispiel dienen könnte.

caro_berlin hat gesagt…

Danke für diese Ergänzung, lieber H., dann waren wir tatsächlich schon mal weiter.
Es rufen viele nach mehr Regeln, es gab ja auch Bretton Woods, jetzt fordern viele derlei. Warum müssen die Menschen die Fehler immer wiederholen und scheinen so wenig lernfähig zu sein?