Mittwoch, 18. März 2015

Stille-Post-Effekt

Hallo und guten Tag auf den Sei­ten des ersten Blogs Deutsch­lands aus dem In­ne­ren der Dol­met­scher­ka­bi­ne. Wenn ich nicht in Paris, Berlin oder sonstwo meine Stim­me verleihe, sitze ich am Übersetzerschreibtisch. Heute durfte ich mich wundern.

Couper les cheveux en quatre nennen Franzosen das, was wir Haarspalterei nen­nen. Auf Deutsch sind wir ausnahmsweise etwas weniger genau als die Fran­zo­sen, die das Haar vierteilen.

Anruf eines entsetzten Kunden mit der Frage, was es denn kosten würde, Un­ter­ti­tel gegenzulesen. Dazu müsste ich erstmal die Ausmaße des Schadens be­gut­ach­ten, sage ich im Scherz.

Immeuble de rapport (Grundriss)
La maison de rapport — das Zinshaus
Das Lachen bleibt mir im Hals stecken, als ich kurz darauf auf einer mit einem Pass­wort  ge­schützten Seite fünf Mi­nu­ten des Films se­he. Drei Un­ter­ti­tel sind OK, das Tempo ist aber immer falsch (das ist noch das un­ver­än­der­te Spot­ting der englischen Fas­sung), oft sind die Titel ultrakurz, an anderen Stellen fällt die Ti­tel­ei wortreich und kurz­at­mig aus.

Ich frage nach und erfahre, dass diese deutschen Untertitel auf einer Ver­dol­met­schung aus dem Französischen ins Englische basieren. Zwei unterschiedliche Dol­met­scher­in­nen hatten im Wechsel übertragen, zwei unterschiedliche Untertitler daraus versucht, deut­sche Titel zu machen. By the way: Keiner der beteiligten Titelsetzer ist des Fran­zö­si­schen wirklich kundig.

Zudem handelt es sich um ein sozialpolitisch hochkomplexes Thema. Es geht um Paris, die Segregation der Armen in Richtung Vorstädte, urbanistische Probleme, auch Architekturbegriffe wie das seit dem Baron Haussmann bekannte immeuble de rapport kommen vor, auf Deutsch geht das in Richtung (schickerer) Miets­ka­ser­ne, wörtlich übersetzt ein "Ertragsgebäude" oder "Zinshaus" von le rapport — der Ertrag.

Pariser Mietshaus
Großzügiges Wohnen Ende des 19. Jh.
Da im Plural les rap­ports in der Verkürzung je nach Kontext auch les rapports se­xu­els be­zeich­nen können, also sexuelle Kon­tak­te, und das Wort im Singular und Plural gleich klingt, interpretierte eine der Dol­met­scher­innen mutig maison de rap­ports als einen "Puff". (Der Kontext mag das ein­ge­flüs­tert haben.) Dem Untertitler war aber nicht ganz geheuer bei der Sache, so wur­de eine "Begegnungsstätte" daraus, denn le rapport kann auch "die Be­zie­hung" hei­ßen.
An einer anderen Stelle wird das Synonym für das englische brothel ge­nannt, the whorehouse, aber so französisch aus­ge­spro­chen, dass das Gebäude auf Deutsch prompt zum "Warenhaus" avan­cier­te.

Well, well. Ich will ja hier keinen verbalen Haarspliss bekommen, aber seit ich die finanziellen Hintergründe der Katastrophe kenne, denke ich nur: Wer keine Profis anheuert, braucht sich nicht zu wundern.

Wir haben dem Kunden empfohlen, die Untertitelung komplett neu machen zu lassen. Das wird billiger als eine Flickschusterei.

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Illustration: Archiv
rez-de-chaussée — das Erdgeschoss

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