Mittwoch, 7. Dezember 2011

Im Hotel

Willkommen auf den Seiten des Arbeitstagebuchs einer Übersetzerin und Dolmetscherin. Meine Arbeitssprachen sind Deutsch, Französisch und Film, mein Spezialgebiet, denn Film ist eine Sprache für sich. Hier denke ich öffentlich über unsere Arbeit nach. Was in den Kabinen oder auf dem Übersetzerschreibtisch geschieht, ist für das Publikum meist geheim, daher verfremde ich das eine oder andere. Ebenso geheim wie die nächtlichen Qualen, die unsereiner als Vielreisender zu erleiden hat. Einblicke in intimste Momente im Alltag einer Sprachmittlerin mit Hauptwohnsitz Berlin.

1. Schlafen ist eine prekäre Angelegenheit. 2. Dolmetscher sind "Reisekader" und müssen oft mit der Stadt auch die Bettstatt wechseln. 3. Auf der Basis meiner diversen Einsätze beobachte ich, dass die Qualität der Hotelzimmer in dem Maße zu wünschen übrig lässt, wie das zu verdolmetschende Tagesgeschehen Spannung und interessanten Inhalt zu bieten hat.

Das sind drei Sätze, die leider zusammengehören.

Schlafstellen sind intim, ihre Ruhe ist oft von außen bedroht. Ich denke mit Grausen an den Einsatz, wo ich aufgrund akustischen Ungemachs eine Woche lang kaum schlafen konnte. Grundsätzlich bin ich so empfindsam, dass ich mit dem eigenen Kopfkissen reise, um nicht beim nächtlichen Atmen mit |dem Gesabber| den feinstofflichen Überbleibseln wildfremder Menschen konfrontiert zu werden. Zudem hab ich keine Lust auf nächtliche Boxkämpfe mit diversen Varianten von Knickhalskissen über harte |Bettwürste| Rollen bis hin zu mondartigen Wattelandschaften mit Klumpvulkanen und Kratern und was es da an alptraum- und nackenstarreförderndem Marterwerkzeug mehr gibt. Dann ist da noch die Decke, die in Deutschland gerne sogar im Sommer mit Federn gefüllt ist. Dabei bringt mich allein das Wort "Sommerdaune" bereits zum Schwitzen!

Im Schlaf bin ich sehr französisch, am liebsten habe ich nur eine Wolldecke, im Winter dürfen's auch zwei sein oder eine wirklich dünne Daunen- zur Wolldecke. Beim nächtlichen Atmen setzt sich der deutsche Erbteil durch: Ich liebe es, den Großteil des Jahres bei offenem Fenster zu schlafen. Diese Schizophrenie des Schlafens nach deutsch-französischem Muster — eine andere Abhandlung zum Thema hier — hat mich aber noch nicht zum Mitführen der eigenen Decke veranlasst.

Manchmal müsste ich mein eigenes Zimmer bei mir haben. Wir (in der Regel) akustisch empfindliche Dolmetscher bauen schlechten Nächten gern vor und erbitten vor Anreise ruhige, abgelegene Räume in den Obergeschossen. Indes, es klappt nicht immer mit dem Einschlafen, manchmal ist die Enttäuschung groß, wenn der zugewiesene Raum wieder im ersten Stock neben dem Treppenhaus mit den Steinstufen liegt oder neben dem Aufzug oder, um die Sache zu toppen, neben dem Fahrstuhl und direkt über der hell erleuchteten Einfahrt (mit valet parking und vielen Spätheimkehrern).

Fürs Durchschlafen gibt's Hilfsmittel: das doppelte Piratenauge vulgo Schlafbrille, dem Ohr erleichtert Ohropax das Abschalten. Aber es gibt Geräusche, die dringen auch hier durch. Einmal sollte ich in einem Kaff über der Bar des schicksten Hotels am Platze nächtigen, in der am Wochenende nächtens ein Clubbetrieb für die "Dorfjugend" stieg mit wummernden Bässen, die mein Zwerchfell überaus deutlich registriert hat. Ein andermal versuchte ich mir lange im Voraus eine ruhige Nacht zu sichern und erbat ein Quartier "im Obergeschoss". "Tut uns leid", war die Antwort, "bei uns geht's nur bis zum 1. Stock, und unten ist die Bundeskegelbahn."

Bei Hotelzimmermatratzen gibt es folgende Regel: Sind zwei Betten im Zimmer, ist die Matratze, die dem Klo näher ist, stärker abgenutzt. Und wenn das Zimmer nicht nur so aussieht wie 70-er Jahre, sondern sich auch so anfühlt, hilft nur eins: Matratze raus und auf dem Boden weiterschlafen. Träume, in denen keine Hängematten vorkommen, sind dann garantiert! Das geht allerdings in Paris oft nicht, wo das normale Hotelzimmer bereits voll ist, wenn der Koffer reingetragen wurde, und bei dem Schrank- und Badezimmertür nie gleichzeitig geöffnet werden können, auch im kofferlosen Zustand nicht.

Mich als Dolmetscherin würde nur eins aus der Not befreien: Nicht mehr für die armen Schlucker dolmetschen, denn die anderen bringen uns in mehrsternigen Quartieren unter, an denen nichts auszusetzen ist (außer einer brummenden Lüftung vielleicht). Aber dann wäre das Berufsleben nur noch halb so spannend! Und das wäre dann doch irgendwie unpraktisch.


P.S.: Lesetipp: Georges Perec, der ein literarisches Verzeichnis der Orte, an denen er schlief, angefertigt hat.
______________________________
Fotos: C.E.

Keine Kommentare: