Montag, 16. August 2010

Arbeitsmarktpolitik

Dolmetschen ist ganz einfach und überhaupt nicht anstrengend, außerdem kann das jeder einigermaßen sprachbegabte Student. - Das scheinen manche Menschen ernsthaft zu denken, obwohl sie mit uns indirekt zu tun haben.


Was unseren Beruf manchmal mühsam macht, sind die Anfragen, die uns aus einigen Vorzimmern erreichen. Ich will hier niemanden herabwürdigen, aber ich beobachte, dass es in den Vorzimmern ebenfalls viele gestresste Menschen gibt, für die aber - anders als für ihre Chefs - selten bis nie gedolmetscht wurde. Sie erleben uns also nicht bei Verhandlungen oder Delegationsreisen hautnah, was bei jenen, die uns über Stunden hochkonzentriert bei der Arbeit zusehen, oft Auslöser ist für Nachfragen was das werte Befinden angeht, für solidarische Bekundungen oder einfach nur für das Glas Wasser im richtigen Augenblick.

Neulich klingelt das Handy, wir sind gerade im fettesten Urlaubseinkaufstrubel. Eine Dame, die sich als Projektbeauftragte vorstellt, erkundigt sich nach meiner Verfügbarkeit Anfang Oktober sowie nach dem Preis für 3,5 Tage Begleitdolmetschen für eine staatliche Institution, die in Frankreich in Sachen Arbeitsmarktpolitik forscht, ausbildet und die Spitzen der Regierung berät.

Ich lasse mir das Programm zusenden. Zwischen Wäscheabhängen und Besuch beim Schuster schreibe ich einen Kostenvoranschlag. Laut Programmentwurf drohen es lange Tage zu werden, von morgens um neun bis ein Uhr mittags, dann wieder ab zwei Uhr bis vier oder fünf Uhr nachmittags. Außerdem noch zwei Abende mit Tischgesprächen, Toasts und Tanz, kurz: viele Inhalte für die kleine Gruppe sehr wichtiger Menschen, die von Ministerium zu Ministerium und dort von Abteilung zu Abteilung gereicht werden sollen, alles im Regierungsviertel, die Wegezeiten (gleichbedeutend mit Pausen für den Dolmetscherkopf) sind nicht sehr lang.

Ich kalkuliere zwei Kolleginnen und Sätze im oberen Preissegment sowie eine mobile Dolmetschanlage für einen simultanen Einsatz.

Die Dame aus dem Bürovorzimmer ruft nicht zurück. Am übernächsten Tag hake ich nach. Da erfahre ich, dass man die Einsätze bitte konsekutiv wünsche, "denn dann können Sie ja allein kommen!" Und nach einer Pause, die ich ihr ließ, weil ich mich tüchtig erschrocken habe, kommt ein: "Eigentlich hätten wir das hausintern gelöst, wir haben da einen begabten, deutschen Forschungsstudenten im Institut, der schreibt in der Berlin-Woche allerdings eine Prüfung."

Ich gebe vorsichtig zu bedenken, dass Dolmetschen ein Beruf ist, der zunächst gelernt werden müsse und dass die geforderte tägliche Arbeitszeit doch recht viele Stunden betrage. Und fahre, weil es nun die Dame ist, die schweigt, mit der Information fort, dass auf Dauer das konsekutive Dolmetschen ebenso anstrenge wie Simultandolmetschen. Und schließe meine Worte mit der Information, dass, wer es in unserem Beruf überspanne, seine Gesundheit riskiere.

Worauf die Dame mich streng belehrt: Man sei neulich in China gewesen, da hätte ein Dolmetscher alleine augenscheinlich problemlos sieben Tage die Woche durchgehalten - über 14 Tage hindurch.

Die Steilvorlage ist zu schön. Ich beiße mir auf die Zunge. Jaaa, die Volksrepublik China ist für Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz berühmt!, will ich sagen und schwurbele feige etwas in genau diesem Sinne, nur fünfmal zahmer. Dann sage ich, dass ich nach meinem letzten derartigen Einsatz zehn Tage lang heftige Wortfindungsstörungen gehabt hätte - es war das Dardenne-Seminar an der dffb vom letzten Herbst, das ich hier bei Gelegenheit nachtragen werde. Und dass wir ja beide nicht wüssten, ob der Kollege in China übers Jahr viele Aufträge habe, so dass er möglicherweise riskiere, die Wochen danach nicht arbeitsfähig zu sein und deshalb alleine arbeite, dafür aber mit einem größeren Gewinn ...

Ich schlage ihr vor, für die Berlinfahrt zwei Dolmetscherinnen zu engagieren, eine für die ganzen, die zweite nur für die langen halben Tage, mit halber Tagesgage also, und unterbreite ihr zugleich ein Angebot, in dem ich als Stammdolmetscherin auf einen erklecklichen Honorarprozentsatz verzichte. Im Kostenvoranschlag schreibe ich freundlich etwas über unser Engagement für optimale Arbeitsergebnisse und gedeihlichen Ablauf der langen Tage oder so, um nur ja nicht in die Was-ihr-wollt-ist-unzumutbar-Falle zu tappen.

Telefonisch ergänze ich mein Verständnis für ihre wirtschaftliche Situation, Oktober sei praktisch Jahresende und die Verwaltungen hätten überall immer weniger Geld zur Verfügung. Die Dame aus dem Vorzimmer ist plötzlich sehr freundlich, verbindlich sogar. Ich lege nach, sage, dass mir Forschung und Lehre in Sachen Arbeitsmarktpolitik sehr am Herzen lägen. Dann schalte ich wieder auf Urlaub.

Von Madame habe ich nie wieder etwas gehört.

Jetzt arbeiten wohl Chinesen als Dolmetscher in Berlin. Und ich würde gerne bei Fortbildungen mitwirken in Sachen Projektplanungsmanagement sowie Mitarbeitergewinnung und -bindung.

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Wie immer sind die Fakten hier aufgrund meiner Loyalität
auch Nichtkunden gegenüber leicht verfremdet.

2 Kommentare:

Liudmila hat gesagt…

Caroline, super blog post!

Ich lache.

"Eigentlich hätten wir das hausintern gelöst, wir haben da einen begabten, deutschen Forschungsstudenten . . ."

Ich habe gedacht, dass es so was nur bei uns (in Osteuropa) gibt. Jetzt sehe ich, es ist eine allgemein verbreitete Auffassung.

Helga hat gesagt…

Traurig, traurig, dass sie es immer wieder versuchen. Da gibt's nur eins: hart bleiben und warten, bis wieder Qualität nachgefragt wird.

Grüßle aus Schwaben! Kommst Du hier auf der Rückfahrt vorbei? Gute Besserung!!
Bis bald, H.