Willkommen auf meinem Blog! Hier beschreibe ich die Berlinale (und andere Bereiche des Lebens) aus Dolmetschersicht. Ich arbeite und lebe in Paris, Berlin, Marseille, Köln und dort, wo ich gebraucht werde.
Film ist zuallererst Glanz und Glamour! Ganz bestimmt! Und dann kommt lange nichts, oder?
Film ist das Ergebnis von Teamarbeit. Dolmetschen übrigens auch, das wird oft übersehen. Es ist für uns Dolmetscher wichtig, im Vorfeld mehr als eine ungefähre Ahnung von dem zu haben, was kommen wird, am besten sprechen wir "unsere" Redner im Vorfeld persönlich. Wenn ich dieser Tage nicht auf der Berlinale in der Kabine oder beim Interview dolmetsche, treffe ich mich daher mit Leuten, gehe auf die kleinen Arbeitsempfänge oder chille auch mal im Kreis von Filmleuten. Das gehört alles dazu, um auf dem Laufenden zu sein, Themen und Tendenzen mitzubekommen, frisch geprägte Fachtermini schon mal aufzuschreiben oder neue Technologien des Filmmarketings und der Kommunikation zu diskutieren. Beim Dolmetschen "synchronisiere" ich die verschiedensten Menschen, Typen und Berufe. Deshalb nutze ich jede Gelegenheit, den Leuten "aufs Maul zu schauen".
Am Ende bedeutet Qualität im Dolmetscherberuf, dass die jeweiligen Sprecher nicht klingen wie "Madame XYZ, gefiltert durch Sprecher Soundso", sondern dass eben "Madame XYZ in der anderen Sprache" zu hören ist, nicht weniger und nicht mehr.
Manche Menschen auf mittleren Ebenen wissen das nicht, und sie wollen es offenbar auch nicht wissen. Legendär die Platzanweiserin vor einigen Jahren bei der Premiere von "Birkenau und Rosenfeld" in der Regie von Marceline Loridan-Ivens. Es war eine Sonderveranstaltung am Rande der Berlinale, niemand hatte einen Dolmetscher vorgesehen, Marceline würde aber bestimmt im Anschluss an den Film etwas sagen wollen, das war jedem klar, der sie ein wenig kennt. Also hatte ich ihr versprochen, einzuspringen. Da hatte ich aber meine Rechnung ohne die "Türpolitik" gemacht, es war noch vor meiner Streifenhörnchen-Zeit (inzwischen habe ich eine Sesam-öffne-dich-Akkreditierung). Das Kino war ausgebucht, ich kam nicht rein und durfte mir von der Platzanweiserin sagen lassen: "Wir lassen Sie gerne nach dem Film in den Raum. Sie müssen den Film ja gar nicht sehen, Sie müssen ja nur die Worte übersetzen, die danach gesagt werden!" Marceline musste sich an jenem Abend eine andere ehrenamtliche Dolmetscherin suchen ... (Merci beaucoup, Helma!)
Heute erlebe ich noch andere verschlossene Türen. Die schicken, schillernden Empfänge und Parties sehe ich wie Sie, liebe Leserin und lieber Leser, auch nur in der Zeitung. Wie drückte sich der einstige Botschafter eines frankophonen Landes noch einmal formvollendet aus? Der Satz scheint bis heute zu gelten: "On ne demande pas les laquais à sa table" — man bittet seine Lakaien nicht zu Tisch oder frei übersetzt: man lädt Lakaien nicht zu sich zum Essen ein,
ich schrieb bereits darüber. Und auch darüber, dass ich als Journalistin und Nachwuchsproduzentin vor etlichen Jahren natürlich noch nahezu überall eingeladen wurde — auch als Mitglied der deutsch-französischen Filmakademie, was ich heute noch bin. Diese Akademie, ein think tank der Branche, hat einst übrigens eine andere Dolmetscherin mitbegründet, die leider viel zu früh verstorbene Brigitte Sauzay. Tja, Fortschritt heißt eben Fortschritt, weil es in der Bewegung von einem Punkt weg geht, nicht unbedingt, weil es nach vorn geht, dann schriebe man das Wort ja mit "V" am Anfang — "Vortschritt" ;-)
Die Verachtung für die Dienstleister, die aus dem Schatten sprechen, teilen nicht alle, aber zu viele Veranstalter von Empfängen. Wenn mich nicht bekannte Produzenten zu diesen Abenden mitnehmen, trete ich erst gar nicht vor so manchen Zerberus an den verschiedenen Einlasskontrollen. Dort feist hingehen und mit der schicken Akkreditierung winken, wie es mir letztens einer der Veranstalter vorschlug, mag ich nicht, das schien mir Übertretung meiner Befugnisse zu sein, solange ich drinnen nicht ganz konkret für einen Einsatz bestellt bin. Verschärft wird die Sache dadurch, dass die Krise auch hier zuschlägt: die Festivitäten werden kleiner. Und ich zehre ja auch noch von der Erinnerung an glanzvolle Abende.
Die kleinen Empfänge sind anders. Die sind vorrangig Arbeitstreffen, hier brauche ich oft weder Pass noch Einladungskarte, denn bei den Frühstücken zum Beispiel steht von den Veranstaltern meist selbst jemand mit an der Tür, da komme ich ausweislich meines Gesichts rein und kann selbst ausländischen Produzenten oder Regisseure mitbringen und ihnen ihre deutschen Kollegen vorstellen.
Das klingt jetzt verdammt nach Anti-Glamour-Programm. Die Berlinale ist in der Tat für über tausend Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter harte Arbeit, nicht nur für Nora, die ich heute, später am Abend, in der Urania kennengelernt habe und die seit Anfang Januar die Berlinale-Pässe aller gedruckt hatte. Sie hat noch immer ganz kleine Augen!
Geglitzert und gestrahlt hat heute etwas ganz anderes. Nach einem Frühstücksempfang bin ich mit einem Produzenten und einem Anwalt — anders ausgedrückt: mit Jacques aus Montréal und Peter aus Stuttgart — zur nächsten Vorführung geeilt. Davor hatten wir noch vierzig Minuten Zeit — und wanderten durch den zauberhaft verschneiten Tiergarten, philosophierten über das echte Schillernde im Kino, die optischen Fehler der Silberbeschichtung bei echtem Filmmaterial, die dazu führen, dass der gute alte Film unserem Blick vertrauter ist als die übersauberen digitalen Bilder.
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Foto: C.E.
3 Kommentare:
Wer Lakai ist und wer nicht, ist eine Frage des Standpunktes. Warum soll man sich als Spitzendolmetscher seinen Denkapparat beim glamourösen Schaulaufen der oberflächlichen Sinnfreien kaputtmachen?
JRS
Ja, schon richtig, nur ist es eben leider dieses Mittelmaß, das sich immer mehr die zentralen Entscheidungspositionen aneignet, das aus dieser Stellung heraus unsereinen gelegentlich mit Jobs versorgt. Irgendwas ist da gründlich schiefgelaufen: Warum ließen wir diese Leute so weit kommen, die uns nicht zeigen, ob und was sie können und die sich stattdessen im Glanz der Berühmtheiten sonnen wollen?
Sorry für die grobe Vereinfachung, aber wie soll ich diese Häufung von last-minute-Anfragen zu Mondpreisen eigentlich sonst verstehen, die zugleich mit einem kompletten Unverständnis unserer Arbeitsabläufe einhergeht? (Vorab Infomaterial? Denkste! Oder wie letztens auf einem Kongress: Kaum Pausen, kein Catering für die Dolmetscher ...)
Wer uns für derlei dann auch noch zum Freundschaftspreis buchen will, soll sich erstmal um unsere Freundschaft bemühen, basta.
Mensch, hat sich da Wut angestaut!!
Gruß, Caroline
Das ist ja schon Mobbing! Es gibt leider in unserer Branche immer mehr Leute, die weniger als Mittelmaß sind und auf Teufel komm raus Karriere machen wollen! Wie kann man da was tun?
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