Sonntag, 14. Februar 2010

Berlinalegeflüster: Julien Boisselier im Interview

Der Ort: ein Haus, das manche Journalisten "Luxusherberge" nennen würden. Wir befinden uns in einem Hotelzimmer, für das der Verleih für einen Tag soviel gezahlt hat, wie in Berlin eine Vierzimmerwohnung im Monat kostet. Das Bett wurde rausgeräumt, die Wände teilweise mit Stoff verhängt, die notwendigen Stangen und Stoffe hat das Kamerateam mitgebracht. Dann sitzen Schauspieler, Kameramann, Tonassistent und ich einen halben Nachmittag auf diesen wenigen Quadratmetern zusammen und ein Journalist nach dem anderen betritt den Raum, hat seine zehn Minuten oder auch mal 15 für ein Interview.

Der Rest ist Übung: Die Fragen ähneln sich, die Antworten manchmal auch, es gibt Versatzstücke, die immer wieder auftauchen, die für mich als Dolmetscherin aber auch gefährlich sind: Da ich das Gefühl habe, zu wissen, was jetzt kommt, muss ich doppelt so gut aufpassen, beim Hören ebenso wie beim Wiedergeben. Julien Boisselier, der den französischen König Henri IV im Film "Henri 4" von Jo Baier verkörpert, macht seine Sache super. Er erzählt spannend, komplex, lächelt, versucht, auch über die Sprachbarriere hinweg einen persönlichen Kontakt zum Interviewer aufzubauen, was ihm oft gelingt. Der Zeitverzug in der Kommunikation ist in der Vorabsprache und wenn die Fragen gestellt werden minimal, da dolmetsche ich simultan. Dann kommen die Antworten, die natürlich akustisch 'sauber', also ohne jede Parallelstimme, aufgezeichnet werden müssen. Hier mache ich mir Notizen und spreche anschließend allein ins Mikro.

Mit der Zeit wird im Raum die Luft knapp. In den kurzen Umbaupausen schütten wir Tee und Wasser nach, stellen Kataloge in die Tür, damit Luft über den Flur reinkommt, aber der Türheber ist zu stark. Die Pausen sind so kurz, dass wir es einmal für ein paar Minuten schaffen, die Vorhänge aufzuziehen und das Fenster zu öffnen, bevor sich der nächste Interviewer ankündigt. "Kurze Pause" ist übrigens eine der wenigen Dinge, die Julien auf Deutsch versteht ...

Zeitsprung: Weil jetzt Jo Beier vor der Kamera interviewt wird, tauschen wir die Räume. Julien und ich ziehen in ein etwas größeres Zimmer um, dort finden die Interviews für Printmedien statt. (Zuerst lüften aber wir den Raum mit Blick auf Scharouns Philharmonie, verbrauchte Luft auch hier.)

Spannend finde ich, wie Julien den Dreh mit deutschem Team in Deutschland, der tschechischen Republik und Frankreich beschreibt. Er hätte bei der Arbeit zum Film, der das Leben des Königs, der in Frankreich für eine frühe Phase der Aufklärung steht, in epischer Breite erzählt, wundervolle Schauspielerkollegen kennengelernt, berichtet er, die ihre Arbeit mit großer Ernsthaftigkeit betrieben hätten, ohne sich selbst zu ernst zu nehmen. "Le star système" sei hier nicht so ausgeprägt wie in Frankreich mit der schönen Folge, dass man am Set ruhiger und konzentrierter arbeite. Die deutschen Kollegen würden sich oft mehr als Handwerker verstehen denn als Künstler.

Auch vom Essen könne er nur Gutes berichten. Am ersten Drehtag zu "Henri 4" habe es ein phantastisches Buffet gegeben, wie er es bei französischen Drehs noch nicht erlebt habe. Überhaupt sei man in Essensdingen ihm als Franzosen gegenüber zunächst reserviert gewesen, habe seine Erwartungen überschätzt - und dann ganz wunderbare Mahlzeiten aufgetischt. Nur eines habe ihm in Deutschland beim Dreh gefehlt, sagt Julien: Das Glas Wein beim Mittagessen. In Frankreich dürften alle, Technik, Produktion und künstlerische Mitarbeiter, mittags ein Gläschen trinken, in Deutschland verbiete dies ein Gesetz. (Er habe sich aber mit ein, zwei Fläschchen in der Loge beholfen ...)

Die Liste mit Interviewwünschen des Presseagenten haben wir irgendwann abgearbeitet. Mir dröhnt der Schädel. Es war wieder ein kleiner Marathon, nur durch die kurzen Wechselphasen unterbrochen und erleichtert dadurch, dass ich für zwei Journalisten nur die Fragen ins Französische dolmetschen musste bzw. am Ende vielleicht noch einen Satz oder Begriff klären.

Mit der Zeit wird mir klar: Julien hat das Zeug zum Superstar. Ich sag' das mal so ungeschützt, aber als Dolmetscherin beobachte ich, dass es grob sortiert zwei Arten von Filmschaffenden gibt. Da sind auf der einen Seite jene, die sich enorm wichtig nehmen, ihre Selbstinszenierung die ganze Zeit kontrollieren und es unsereinem, ganz vorsichtig ausgedrückt, nicht immer leicht machen. Und dann sind auf der anderen Seite jene, die direkt, menschlich und achtsam sind, die ihr Gegenüber und seine Arbeit wahrnehmen, die auch den Tonmann begrüßen, sich anschließend bedanken und auf die Zwischentöne hören. Die historische Großproduktion der Ziegler Film, der um die 19 Millionen Euro gekostet haben soll, ist Julien Boisselier offenbar nicht zu Kopf gestiegen.

Vielleicht hat auch der Dreh in Deutschland dazu beigetragen, dass Julien sich der anderen so bewusst ist. Wie es denn gewesen sei am Set, wo doch jeder in seiner Muttersprache gespielt habe, wird er gefragt. Am Anfang sicher irritierend, war die Antwort, vor allem dann, wenn vierzig Leute um einen herum um einen Witz lachten und man selbst nichts verstünde. Da könne man schon paranoid werden! Ab und zu habe eine Assistentin für ihn gedolmetscht, aber nicht so Schlag auf Schlag wie hier. Und dann wisse man natürlich, was der Schauspielerkollege zu sagen habe, das stünde ja schließlich im Drehbuch ... alles weitere sei nach einer Zeit des Kennenlernens nonverbal verlaufen: Blicke, die körperliche Präsenz, das Erleben der professionellen Arbeitsweise der anderen und vor allem Gefühle, die man teile - das sei doch der Kern jeder Kommunikation.

Letzte Minuten: Bevor wir auseinandergehen, haben wir noch einen kurzen gemeinsamen Moment des Durchatmens. Julien bedankt sich und entschuldigt sich für drei lange Passagen, wo er einfach vergessen habe, dass er gedolmetscht wird. Und er fügt hinzu, er spüre, dass ich manches schöner ausgedrückt hätte als er und hier und da ein wenig gerafft. Offengestanden überrascht mich diese Bemerkung nicht. Julien hat mit seinem siebten Sinn mitbekommen, dass ich — nicht bei den TV-Interviews, da sind Ablauf und jeder Take wichtig — am Ende einige Redundanzen ausgelassen habe, die sich nach stundenlangen Interviews in ein- und derselben Gesprächssituation schon mal einstellen können.

Fazit: Ich bin sicher, wir werden uns wiedersehen - Au revoir, Julien, et merde pour vos prochains films !

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Foto vom Dreh: René Karich - Danke nach Leipzig!

Filminfo: Henri IV (2009), D/F 2009, Regie/Buch: Jo Baier, Drehbuch-Koautorin: Cooky Ziesche. Ein Film (bzw. TV-Zweiteiler) nach den Romanen "Die Jugend des Königs Henri Quatre" und "Die Vollendung des Königs Henri Quatre" von Heinrich Mann, deutscher Kinostart im März

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