Montag, 22. Februar 2010

Berlinalegeflüster: Meine private Rückschau

Im Vordergrund Stars und Sternchen auf dem roten Teppich, von Publikum, Fo­to­gra­fen und TV-Teams in Erwartung des Films beobachtet, im Hintergrund Platz­an­weiser, Programmmacher, Kartenbüromitarbeiter und wir Dolmetscher - das ist für mich die Berlinale. Von den 60 Jahren, die es dieses Filmfestival jetzt gibt, bin ich seit knapp einem Drittel dabei, zunächst als Publikumsgast, dann als Journalistin. Seit dem Ende der 90-er Jahre arbeite ich auch fürs Festival, fing wie die meisten mit kleinen Jobs zum Kennenlernen und Reinwachsen an. Dieser Tage feierte ich mein 10-jähriges Bühnenjubiläum. So nahm ich mir einige Momente, um meine persönliche Bilanz zu ziehen - und um mit Kollegen darauf anzustoßen!

Die Berlinale, das sind neben den Filmen vor allem die Menschen, die da­hin­ter­ste­hen. Ich erinnere mich mit Dankbarkeit an einen schlacksigen, freundlichen Mann, der in der Presseabteilung tätig war, Wolf Donner, einst Leiter der Berlinale. Er hörte sich mit freundlicher Neugierde geduldig die Meinung dieses Grünschnabels an, der ich war - und schanzte mir eine bessere Akkreditierung zu, als sie mir als nicht aktuell arbeitender ORB-Redakteurin zugestanden hätte. Ob daran auch die Kopie meines ersten Artikels in den Cahiers du Cinéma ihren Anteil hatte, die ich ihm eines Tages mitbrachte? Es ist nicht zu klären. (Sein früher Tod 1994 hat mich damals sehr erschüttert.) Danach möchte ich Daniel Toscan du Plantier erwähnen, den langjährigen Direktor des französischen Film­mar­ke­ting­un­ter­neh­mens "Uni­fran­ce" - Mer­ci beau­coup !, Mon­sieur - der mich ebenso freundlich wie kurz­an­ge­bun­den Produktionsfirmen für Marktassistenzen und erste Dol­metsch­auf­trä­ge em­pfahl, und der 2003 mitten auf der Berlinale verstorben ist. (Noch ein Tod, der mich sprachlos zurückließ.)

Auch meine Verbundenheit zur Familie Gregor möchte ich hier zum Ausdruck bringen. Zunächst war da Milena Gregor, die mich etwa um 1996 nach einem spontanen Dolmetscheinsatz im Kino Arsenal in die Mitarbeiterkartei aufnahm, was mir unzählige schöne Aufträge bescherte; daher betrachte ich das Arsenal noch heute als meinen "Dolmetsch-Ausbildungbetrieb". Danach haben sich ihre Eltern, Ulrich und Erika Gregor, um meinen Berufsweg verdient gemacht, als sie 2000 zeitgleich mit dem Festivalumzug an den Potsdamer Platz ein neues Kinoleiterteam anheuerten - und ich war mit von der Partie. Vielen Dank! (Und hallo ans damalige Team, Nathalie Arnegger, Clarisse Cossais, Anna Faroqhi, Anke Rauthmann, Kon­stan­ze Binder und last but not leas Karin Meßlinger als Leiterin!) Stellvertretend für alle Berlinale-Mitarbeiter, mit denen ich heute zu tun habe, möchte ich mich bei Peter B. Schumann bedanken, der neben seiner Arbeit als Journalist viele Jahre uns Moderatoren und Dolmetscher beim Internationalen Forum des Jungen Films betreut hat und seit einiger Zeit im wohlverdienten Ruhestand ist!

Was ich an meinen Berlinalejahren liebe: Die Momente des Wiedersehens. Catherine Breillat, die ich letztes Jahr nur begrüßte, nachdem ich sie vor langer Zeit fürs Arsenal und Jahre später für die Berlinale dolmetschte, als sie Mitglied einer Jury war. Nicolas Philibert, den ich schon um 1995 im noch fast neuen Kino in den Hackeschen Höfen gedolmetscht habe sowie bevor sein Millionenerfolg "Etre et avoir" herauskam (wir haben auch dieses Mal wieder über das Essen im Restaurant gelacht, als ich ihn gleichzeitig über das Marketingkonzept befragt, dieses für deutsche Journalisten gedolmetscht und für Filmstudenten aus der Hand gefilmt habe) ... Nicolas traf ich dieses Mal unter anderem beim kältesten Interview meiner bisherigen Laufbahn: Wir saßen bei deutlichen Minusgraden draußen vor der Tür, des (bewegten) Bildes wegen ...

Film ist meistens nicht Glamour, Film ist harte Arbeit:
Das kälteste Interview des Jahres
Was ich auch noch liebe: Die Intensität des Filmesehens, wenn Film mein Ar­beits­ge­gen­stand ist. Vor langen Presseinterviewtagen oder der Si­mul­tan­ver­dol­met­schung lese ich alles an Hintergrund, was mir über das Projekt zugänglich gemacht wird bzw. ich im Netz finde. Oft blättere ich zurück im Lebenswerk des/der Filmschaffenden, um die Intentionen voll zu erfassen. Ich werde ja aus der Perspektive der Filmemacher bzw. des Films sprechen - und da ist es die halbe Miete, bestmöglich informiert zu sein. Oft sehe ich die Filme mehrfach, zum Beispiel vor und während des Ein­spre­chens, wie die simultane "Ein-Personen-Synchronisation" von Filmen genannt wird. Jahre später noch kann ich ganze Textpassagen auswendig, weiß ich (so es welche gibt) jeden Anschlussfehler im Voraus.

Was ich mag: Mit einer DVD des einen Berlinalefilms und dem Skript eines anderen in der Tasche von Termin A zu Termin B eilen, freundlich und entspannt so ar­bei­ten, dass am Ende alle das Gefühl hatten, in ein- und derselben Sprache ge­spro­chen zu haben, und dann noch kurz auf einem Empfang auf eine Premiere oder eine (vielleicht von mir selbst mit) angebahnte Koproduktion anstoßen. Den Tag anschließend bei Knut Elstermanns Filmsendung in der MaxX-Bar ausklingen lassen, dabei noch ein wenig dolmetschen, und wenn mich dann Freunde im Autoradio hören, noch auf einen Drink vorbeischauen und mich noch später vielleicht sogar auf dem Heimweg bei mir absetzen ... Ach, und dass ich etliche meiner Lieblingsstudentinnen inzwischen als Mitarbeiterinnen der Berlinale begrüßen darf, auch das mag ich!

Was ich hasse: Schlange stehen! Vor allem morgens - no way! Deshalb bin ich auch Berlinale-Dolmetscherin geworden, denn als langjährige Mitarbeiterin darf ich se­hen, was immer ich sehen muss (auch, was vielleicht erst in ein oder zwei Jah­ren für die Ar­beit relevant wird). Zur Not stehe ich eben, wenn die Vorführung aus­ver­kauft ist, ganz hinten, an der Rückwand zur Projektionskabine, aus der leise das vertraute Surren der Projektoren dringt. Das wiederum ist schön. Was ich noch hasse: Verrauchte Empfänge und arrogante Leute, die einen als niedere Dienst­leis­te­rin abkanzeln und mit gespielter Überraschung fragen: "Wieso möchten Sie denn als Dolmetscherin auf den Berlinale-Empfang gehen?" Derlei hört man am häu­figsten von Men­schen, die auf der mittleren Vermittlungsebene tätig sind, sich noch nie beim Dreh den A...llerwertesten abgefroren haben (Pardon!) und die gern mal ihre Arbeit mit dem Pflegen privater Kontakte für die eigene Karriere ver­wech­seln, Zeit genug haben sie ja.

Wozu ich mich neutral äußern muss: Die Qualität der Filme. Ich habe oft auch gar keine eigene Meinung mitten im Arbeitsprozess, denn ich spreche dabei ja immer in der ersten Person Singular über die Filme, helfe mir das "Ich" der Macher über. Allerdings merke ich Tendenzen oder wenn ein Film bei mir negative Gefühle aus­löst, z.B. durch zu viel direkt gezeigte Gewalt. Ebenfalls neutral und ver­schwie­gen bin ich, was die Stars angeht ... da, wo's problematisch wird. Die größte Zickerei erlebte ich bei Pseudo-Stars; echte Größen haben derlei nicht nötig. Noch ein Grund, weshalb mir die langjährigen Arbeitspartnerschaften mit den echten Ta­len­ten am liebsten sind!

Kein Rückblick ohne Ausblick. Was ich mir für die Zukunft wünsche: Nach Jour­na­lis­mus, Marktassistenz, Kinoleitung, Moderieren und Dolmetschen für nahezu alle Sektionen mit Abstechern zu kleinen Festivals, für die ich Programm aus­ge­wählt ha­be (*), wäre der nächste Schritt für mich wohl, in ein Pro­gramm­aus­wahl­gre­mium der Berlinale berufen zu werden. Auch kann ich mir vor­stel­len, wie­der häufiger zu moderieren, das liegt mir schon sehr. Und wenn sich im Bereich Management einiger Abteilungen etwas tut, besonders da, wo es um Kommunikation und Nach­wuchs geht, würde ich gerne um meine Gedanken, besser noch: um eine Be­wer­bung gebeten werden.

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(*) über mein Mandat als Auslandsmarketingfrau der AG DOK (2000 bis 2007) sowie für die Französischen Filmtage Tübingen (2005 und 06), das Djerba TV-Festival (2006) etc.

Photo
de Caroline Aymar (merci beaucoup !)

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