Dienstag, 24. Juli 2007

Tempo

Mit Tempo kommt Jean-Pierre zu uns in den Gang am Saalende, um sich vorzustellen: Hallo, ich bin Ihr Moderator der nächsten Session. Der Mittfünfziger hat ein freundliches Wesen, schüttelt die Hände und scheint überhaupt sehr konferenzerfahren zu sein. Dass sich jemand vorstellen kommt, ohne uns im letzten Moment sein mit Mäuschenschriftrandnotizen 'leicht überarbeitetes' Redemanuskript zu bringen (wo wir uns dann später wie die Pfadfinder auf Fußnoten-, Pfeil- und Kreuzchenspuren durchs Buchstabendickicht kämpfen), dass jemand einfach so mal 'Hallo!' sagen kommt, ist selten.

Dann beginnt die Sitzung und Jean-Pierre legt los, stellt die fünf Redner des Pannels auf der internationalen Konferenz vor, die jetzt sprechen sollen. Und tut dies mit einer Geschwindigkeit, in der kein normaler Mensch denken würde. Kein Wunder, er muss auch nicht viel denken, er liest einfach ab: hoch komplexe Karrierewege und Aufgaben mit der Nennung von Institutionen und Jahren. Hoppla! Noch dazu spricht Jean-Pierre ziemlich leise.

Wie viel beim Publikum ankommt? So viel, wie wir Dolmetscher da an Sinnvollem erkennen können. Etwa die Hälfte, schätze ich. Als die Vorstellungsrunde zuende ist, mutiert Jean-Pierre wieder in den netten und freundlichen Gesprächsleiter der weiß, dass es am Saalende Dolmetscherinnen gibt. (Heute sind wir alle Frauen.)

Nach der Veranstaltung kommt der Moderator noch einmal zu uns, verabschiedet sich äußerst liebenswürdig und wirkt sehr entspannt. Ich nutze die Gelegenheit und weise ihn vorsichtig auf sein Lesetempo hin und dass ... Jean-Pierre schaut verlegen drein. "Ja, das hat man mir schon so oft gesagt!", gesteht er. "Und warum haben Sie daran nichts geändert?" frage ich ebenso offen. "Ja, wissen Sie, der Stress. Ich moderiere jetzt seit 30 Jahren mindestens fünf, sechs Konferenzen jährlich und immer gehen die Pferde mit mir durch. Am Anfang bin ich noch langsam, dann überkommt mich die Angst. Es ist einfach eine komische Situation, da so öffentlich zu sprechen, finden sie nicht auch?"

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Hallo,
ich bin eine sehr junge Übersetzerin, und habe öfter nachgedacht, ob ich mal auch Simultandolmetscherin werden möchte. Ich glaube, dieser Blog wird mir helfen dies zu entscheiden, ich werde ihn mal ein paar Monate lesen...Ich habe auch mit Übersetzen hobbymässig angefangen, und wurde immer besser. Aber Simultandolmetschen...muss sehr ermüdend sein, und ich habe auch wahnsinnig viel Ehrfurcht davor.

André hat gesagt…

Um ehrlich zu sein: Mir fällt Simultan deutlich leichter als Konsekutiv, keine Ahnung warum, aber Ersteres kann ich fast schon im Schlaf, wobei Konsekutiv mich eher ermüdet.