Es passiert auf jedem Festival mindestens ein Mal. Der Gast hat gesprochen, ich habe Notizen gemacht. Dann entsteht eine kurze Pause, ich sammle mich und lege los. Und merke es erst nach ein, zwei Sätzen: ich hab gar nicht übersetzt, sondern die Gedanken in der Ausgangssprache wiederholt, nur anders ausgedrückt! Zum Glück nimmt's das Publikum mit Humor, es ist eben live!
Mich hat in solchen Fällen eine oftmals winzige Kleinigkeit abgelenkt. Das kann eine anspringende Lüftung sein, oder jemand, den ich kenne, verlässt das Kino. Oder aber ich habe eine Äußerung von Cinéast oder einem Publikumsgast unterschwellig als Kritik aufgefasst. Ich bin verdammt verletzlich da vorne, auch noch nach Jahren.
Im Grunde gibt es nichts Peinlicheres, als auf der Bühne zu stehen und etwas zu sagen, das bereits gesagt worden ist. Daneben gilt es die sprachliche Hemmschwelle zu überwinden. Wie etliche Zweisprachige habe ich die Sprachen als ein jeweils eigenständiges System gelernt, in dem sich Erklärungen und Vergleiche immer nur auf Begriffe aus der jeweiligen Sprache bezogen. Beim Dolmetschen geht es aber nicht um Synonym oder Gegensatz, sondern um die möglichst exakte Entsprechung in der anderen Sprache. Als ich 1989 zu dolmetschen begonnen habe, war mir, als müsste ich die Vokabeln beider Sprachen noch einmal lernen. Nein, nicht beide Sprachen: Die Verbindungen zwischen ihnen.
Diese Verbindungen waren in meinem Bewusstsein untergründig schon da, aber eben nicht aktiviert, nicht bewusst. Den zweiten Sprachstrom als etwas Alltägliches zu erfahren und wie auf einem Videoband zwischen "Spur 1" und "Spur 2" hin- und herzuspringen, das ist im Grunde der ganze Aufwand. Bis heute notiere ich Worte. Manches wird in der einen Sprache nicht substantivisch, sondern als komplizierte verbale Konstruktion ausgedrückt. Oder aber es gibt diesen oder jenen Begriff in der anderen Sprache nicht - also muss ich übertragen, den Kontext anreißen. Aber nur kurz, sonst bremst diese Geste den Informationsfluss und das Publikum hätte zu Recht den Eindruck, Sachen zu hören, die gar nicht gesagt worden sind.
Dolmetschen bedeutet immer abzuwägen. Wie gehe ich damit um, wenn ein Sprecher sich x-fach wiederholt? Was mache ich mit den fünf Adjektiven, die er oder sie so schnell runterrattert, dass ich davon nur vier behalten habe? Ich kürze ein wenig, fasse zusammen. Und wenn mir unbekannte Namen fallen, darf ich nachfragen.
Auch das Jonglieren mit Mikro, Stift und Stenoblock kostet Aufmerksamkeit. Ich schreibe übrigens keine Steno, sondern zeichne in eigenen Kürzeln die wichtigsten Begriffe auf. Wobei ich Sie, geneigtes Publikum, manchmal auch kurz warten lasse: Wenn der ausländische Gast fertig gesprochen hat, notiere ich oft noch den letzten Gedanken. Denn auf die Pointe sollen Sie nicht verzichten.
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