Herzlich willkommen auf den Blogseiten einer Dolmetscherin. Was
Konferenzdolmetscher und Übersetzer machen, wie sie arbeiten, wie sie
leben, ist hier seit 2007 regelmäßig Thema. Außerdem denke ich über unsere Arbeitsbedingungen nach. Der Coronavirus hat aus dem Arbeitstagebuch ein
subjektives COVIDiary gemacht.
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Nächster Halt: Bibliothek
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Es ist kalt in der Stadt, nur das Licht ist frühlingshaft und das satte Grün überall. Heute habe ich schon wieder nicht gegen Honorar gearbeitet, sondern unsere künftigen Arbeitsbedingungen verbessert.
Neulich hatten wir eine Anfrage zu einer hybriden Konferenz. Bis zu zehn Menschen sollen sich bald in einem Konferenzsaal befinden, der Rest per Zoom zugeschaltet, bei insgesamt drei Sprachen arbeiten wir zu viert in vier Kabinen, zwei sind vor Ort fest verbaut, zwei werden hinzugestellt.
Jetzt also der Vor-Ort-Termin. Wie lösen wir das, wenn die Vortragenden sich an ein- und demselben Rednerpult abwechseln sollen, auf das eine Kamera gerichtet ist, außerdem gibt es eine Kamera, die den gesamten Raum aufnimmt, sowie eine weitere, vorzugsweise automatisierte Kamera, die drei antwortende Wissenschaftler*innen vor Ort filmen soll?
Und wie ändern wir für die Zukunft Dolmetscherkabinen, in denen wir künftig wohl wieder zu zweit sitzen dürfen, wenn ein Teil der Konferenzteilnehmer aber fortgesetzt über Zoom zugeschaltet werden wird? Einige bauliche Ideen hatte ich sofort, andere werden folgen, Ideen, über die sich alle Beteiligten im ersten Moment gefreut, im zweiten Moment indes gewundert haben.
Und jetzt wundere ich mich, dass sich alle darüber wundern, dass eine aktive Dolmetscherin gute Ideen zur Gestaltung des eigenen Arbeitsplatzes hat. Es ist ohnehin verwunderlich, dass das Heer von Architekten, deren gebaute Vorstellungskraft wir regelmäßig an Arbeitstagen inspizieren dürfen, so wenig ausreicht, um die eigenen Grenzen zu erkennen. Will sagen: 99 % der neugebauten, fest installierten Dolmetscherkabinen außerhalb der internationalen Institutionen zeugen von absolut totaler und kompletter Ignoranz dessen, was wir Dolmetscher*innen beruflich so machen. In dieser Architektur gewordenen Ahnungslosigkeit lässt sich nur bedingt professionell arbeiten, weshalb ich etliche dieser Orte im Regierungsviertel bereits als Stuhllager oder teurer Putzmittelschrank gesehen habe.
Hiermit präsentiere ich einen neuen Punkt in meinem Portfolio: Beraterin für die architektonische und technische Umsetzung von Konferenzorten und hybriden Konferenzsettings, ab jetzt auf Honorarbasis, die Höhe ist Verhandlungssache.
Auf der Rückfahrt dann Lesende in der Hochbahnstation, eingemummelt, als wäre noch Winter: Ich liebe den Anblick lesender, informationssüchtiger Menschen, ich kann nicht anders.
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Foto: C.E.