Dienstag, 31. März 2020

COVIDiary (22)

Bonjour, gu­ten Tag & hel­lo auf den Sei­ten des ers­ten deut­schen Dol­met­scher­blogs aus dem Inneren der Dol­metscherkabine. Derzeit schreibe ich in­des vom Über­set­zerschreibtisch. Derzeit ist mal wieder alles im Umbruch. Der Blog aus dem Be­rufs­all­tag wird zum COVIDiary. (Die fehlenden Tage sind geschrieben, aber noch nicht editiert.)

Vorratsgläser: Hirse, Reis, Salz, Zucker, ,Getreide, Tomatenmark etc.
Speisekammer mit derzeit nur zwei Linsensorten
Eine Nachbarin ist ziemlich übel an Covid-19 erkrankt, wir wechseln uns mit Kochen ab, denn ihr Lebens­gefährte, der kaum Syptome zeigt, kann nicht kochen. Er macht sich jetzt aber dran­ und lernt mit You­Tube-Kanälen die ers­ten Schritte. Von ihm stammt der Filmtipp unten. Lecker! Er dürfte nicht der Ein­zige sein, der jetzt in Haushalts­fragen hin­zu­lernt.

Wie viele Menschen werden später sagen: "Damals war es, 2020, als ich kochen ge­lernt habe, weil ich es musste!" Mich freut es, denn je lieber die Men­schen kochen, je besser es ihnen schmeckt, desto weniger sind sie anfällig für Fertig­pro­dukte oder min­der­wer­tige Zutaten aus einer Land­wirt­schafts­in­dus­trie, die über Jahr­­zehn­te im­mer na­tur­feind­li­cher wur­de.

Ich kaufe meine Linsen nicht in der Dose, sondern hole sie im eigenen Vorratsglas aus dem Unverpacktladen ab, Biolinsen, ich habe meist drei unterschied­liche Sor­ten vorrätig. Und beim nächsten Kochen darf ich nun Mengen aufschreiben. Ich koche nämlich aus der "Lamäng" heraus, darin steckt das französische Wort la main, die Hand, oder aber, um bei Körperteilen zu bleiben, "frei Schnauze".

Linsensuppe, ebenso einfach wie lecker: Zwiebeln und Knoblauch anbraten, etwas Kurkuma, mildes und scharfes Paprika­pulver und Zimt dazu (diese Gewürze brau­chen das Fett, um ihre Aromen zu entfalten), später dann die über Nacht ein­ge­weich­ten grünen Linsen und die Kartof­fel­stück­chen hinzu, das Ganze 20 bis 25 Mi­nu­ten lang kochen. Abschmecken mit etwas Gemüsebrühe, gemörsertem Küm­mel und Himbeeressig, servieren mit einem Klacks gerührtem Joghurt in der Mit­te und frischem Pfeffer obendrauf.

OK, der Joghurt ist für Veganer schon wieder problematisch, die Milchwirtschaft ist auch ein Problem. Bei einer ökologischen Landwirtschaft gibt es aber Kü­he, nur eben weniger, der Butterpreis wird steigen, die Gefahr von Pandemien aus den Tierställen künftig sinken. (Und der Ein­satz von phar­ma­zeu­ti­schen Pro­duk­ten in der Tier­hal­tung hof­fent­lich auch!)

Da meldet sich eine Kollegin: Seidentofu, mit Zitrone abgeschmeckt, sei ein guter Joghurtersatz. Und was ist mit den Baktierenkulturen, die den Joghurt machen? Die sind doch sicher auch gut für den Organismus!

Grund­sätzlich gilt: Wer pflanzliche Proteine zu sich nimmt, hilft Tierleid zu min­­dern. Durch die Corona-Krise kommt es zu langen Staus an diversen polnischen Grenzübergängen, mancher Vieh­transporter stehe dort über acht Stunden lang, ohne dass die Tiere versorgt würden, schreibt Jost Maurin heute in der TAZ. Thomas Schröder, Präsident des Tierschutz­bundes, fordert die EU-Kommission auf, in der aktuellen Situation Tiertrans­porte zu verbieten. Die Orga­nisation "Provieh" regt an den Grenzen separate Spuren an, um die Fahrzeiten der Tiertransporter zu verkürzen.

Sonstige Beobach­tungen: Die Stadt wird stiller. Tagsüber fährt endlich nicht mehr alle vier Sekunden ein Auto am Haus vorbei, sondern im Minutentakt. Die Luft ist besser. Die Ausflugs­dampfer fahren auch noch nicht wieder auf dem Kanal, das Ufer gehört den Spatzen und den Spaziergängern.


                    Kochen mit Händewaschen und Hintergrundinfos
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Film: ZDFbesseresser (OK, nicht ganz vegan)
Foto: C.E.

Montag, 30. März 2020

COVIDiary (21)

Bonjour, gu­ten Tag & hel­lo auf den Sei­ten des ers­ten deut­schen Dol­met­scher­blogs aus dem Inneren der Dol­metscherkabine. Derzeit schreibe ich vom Büro aus, das brachliegt (mehr dazu hier). Das Coronavirus macht aus meinem Blog aus dem Be­rufsall­tag das eher pri­vate COVIDiary. 

Die Läden sind geschlossen und ich könnte eine Lampe für die Kommode gut ge­brau­chen. Ich bin keine Bilder­buch­kon­su­mentin, aber jetzt wäre ich doch gerne aufge­brochen, um mir die passende Licht­quelle in einem Geschäft zu suchen.

Beim Spazierengehen fällt mir an der Brücke ein schwarz­glän­zen­des Viereck auf, nicht ganz qua­dr­atisch, ein Hohkörper, den jemand auf eine der Spitzen des Zau­nes am May­bachufer abgestellt hat. Er hat eine Art Plissé­röckchen an aus schmut­zi­gem Plastik. Ich habe für solche Fälle immer einen kleinen Müll­beutel dabei und nehme das Stück mit, bevor es in den Kanal fällt und sich ein En­ten­kü­ken darin ver­fängt.

Ich brauche die 200 Meter um zu begreifen, dass ich den Lampenschirm zu meiner neuen Lampe in Händen halte. Nach dem Einsatz von Schere, Seife und Wasser so­wie einiger Blätter Klopapier denke ich über den fehlenden Lampenfuß nach. Wie könnte ich den finden? Nun, es gibt die berühmte Ver­stei­ger­ungs­web­seite mit vier Buchstaben. Die Menge dessen, was ich dort finde, überfordert mich.

Der Lampenschirm "springt" über die Gefäße
Küchenanimation in Coronazeiten
Was ist die ideale die Ratio Lampenschirm vs. Lampenfuß? Welche Form ist für den Fuß die beste? Und aus welchem Material der Fuß, aus welchem der Schirm?

Ich finde Gefallen daran, mich in der Objektent­wicklung auszuprobieren. Und nach einigen Versuchen, alle fotografisch dokumentiert, habe ich zwei Favoriten. Jetzt muss ich noch Freundin­nen und Freunde fragen. Ich werde darüber berichten, wie es weitergeht.

A: Hyacinthenglas, B und C: Vase, D: Kombination aus A und B, E: Übertopf, F: Stein, G: Schwemmholz, H: Zylinder (Thermos)
Welches ist Ihr/Dein Favorit und warum?

Beobachtung in der Corona­quarantäne: Die Tage verfließen zu einem großen Gan­zen, Erin­nerungen suchen nach einem neuen Muster für de­ren Struk­tu­rie­rung. Fa­mi­lien- und Freun­des­te­le­fonate und Fortbildungen via Internet bringen Nähe.

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Fotos: C.E.

Sonntag, 29. März 2020

COVIDiary (20), Museum der Wörter (27)

Hallo, hier bloggt ei­ne Konferenzdolmetscherin, derzeit ohne Konferenzen, denn in unserem Beruf ist der Wechsel nicht so einfach. So wurde mein Blog durch das Coronavirus das eher private COVIDiary.  

Ein lustiges Gedankenspiel, dem ich immer dann nachgehe, wenn ich Neues etwas kaufe, esse oder aus­drücke: Hat mei­ne Omaus (*) das gekannt? Hätte sie es über­haupt er­kannt? So viele Be­grif­fe hän­gen von den Lebens­um­stän­den ab, und wir merken es gar nicht.

Die Co­ro­na­zeit bringt neue Vo­ka­beln mit sich oder alte aufs Tapet. Da­mit zeich­net sich eine ne­ue Vokabel­liste ab, hier der Anfang:

Auf dem Boden markierte Wartepositionen / QUEUE TO ORDER
Gesehen in Kreuzberg
— Abstandsmarken
— Aerosol
— Atemschutzmaske
— Bestellfenster
— Corona|früh|jahr
— Hilfspaket
Home schooling
Homeoffice
— Mundschutz
— Rettungsbeihilfe
— Social distancing
— Spritzschutz
— zoomen

Zu den Begriffen: Der Trend fällt auf, dass diese sie häufig auf dem Englischen kom­men. Auf Englisch ist das home office im ersten Wortsinn übrigens das In­nen­­mi­nis­te­rium. Auf Deutsch wird es inzwischen zusammen­geschrieben. Phy­si­cal dis­tan­cing finde ich als Wort besser als dieses kalt wirkende social dis­tan­cing. Und "zoomen" bezeich­net die Visiokon­ferenz mit mehreren Teil­nehmern. Dieses Verb wird sich nicht lange halten, denn Zoom, der amerikanische Anbieter der Funktion, ist in die Kritik geraten, was sein Umgang mit Daten angeht.

Und ja, nicht alle Wörter sind neu, nur in der Häufigkeit, mit der sie jetzt ver­wen­det werden. Im Fran­zösischen gibt es les gestes barrière, wörtlich: "Sperrgeste", wir könnten auch "Distanz­­geste" sagen, was für die phy­si­sche Distanz genauso steht wie fürs Hände­­waschen und das Aufset­zen ei­nes Mund­­schut­zes. Hier müs­sen wir Lingu­isten noch nach­legen, ich schlage erstmal "Schutzgesten" vor oder noch ein­fa­cher: "Selbstschutz", was der All­tags­be­griff wäre. EDIT: In einem wissen­schaft­li­chen Artikel habe ich "Hy­gie­ne­ver­hal­ten" gefunden.

Dieser Eintrag ist nicht nur unter Tage­buch, sondern auch unter "Museum der Wör­ter" eingetra­gen, weil ich sehr viele dieser Begriffe so schnell wie möglich ins Mu­se­um schicken möchte!

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Foto: C.E.
(*) Omaus: meine kleine Oma

Samstag, 7. März 2020

COVIDiary (3)

Bonjour, gu­ten Tag & hel­lo auf den Sei­ten des ers­ten deut­schen Dol­met­scher­blogs aus dem Inneren der Dol­metscherkabine. Derzeit schreibe ich in­des vom Büro aus. Durch den Coronavirus ist alles im Umbruch. Die Umstände machen aus meinem Blog aus dem Be­rufsall­tag das eher private COVIDiary.  

Intarsien in einem Berliner Theater
Ernstes Gefecht
 "Ich dachte, Du wärst ins Kran­ken­haus ge­kom­men", sagt mein Nach­bar, als ich ihn Mit­te Feb­ruar im Trep­pen­haus tref­fe. Ja, ich war kurz da­vor, mich selbst dort ein­zu­lie­fern, so sehr habe ich in den letzten Wo­chen ge­hus­tet. Die einen Nachbarn muss­ten es durch die Wand mit­hö­ren, die anderen Nach­barn haben mich mit Essen mitversorgt.

In der letzten De­zem­ber­wo­che wurde ich krank, eine üble Grip­pe, dachte ich. HNO-Sachen kenne ich gut.

Als Kind hatte ich oft Bronchitis. Als ich Teenager war, ist ein Pflegepferd von mir an TBC gestorben, ich wurde lange beobachtet. Nun also meine zweite echte Grip­pe. Gegen Ende der dritten Krank­heits­wo­che bzw. der zweiten Hustenwoche wur­de es besser.

Die Krankenhausbemerkung meines Nachbarn hat eine andere As­so­zia­tions­ket­te ausgelöst: Menschen mit Atemnot im Hospital, Italien und China, Corona. Habe ich mich auf einer Konferenz Ende Dezember, der letzten des Jahres, vielleicht damit angesteckt?

Das hochansteckende Virus Sars-Cov-2 führt zur Lungenkrankheit Covid 19, so kam ich zu meinem Titel des COVIDiary. Eigentlich stimmt es nicht, denn ich habe in meinen mutmaßlichen Krankheitstagen nichts geschrieben. Behandelt wurde ich als Grip­pe­pa­tien­tin, eine weiter­gehende Abklärung fand nicht statt.

Und so war mein Verlauf:
— sehr rascher Krankheitsbeginn (binnen Stunden)
— hohes Fieber, acht bis zehn Tage über 38 Grad, ca. vier Tage 39 Grad Celsius
— Ruhepuls deutlich aktiviert
— nur zwei, drei Tage lang (ca. 3. bis 5./6. Tag) leichter Schnupfen
— Anfangs kein Niesen, keine Atemnot, aber Lymphknotenschwellung
— Kopf- und Halsschmerzen, große Mattigkeit, wiederholt leichte Übelkeit
— fünf Tage nach Beginn setzte unproduktiver Husten ein
— drei Tage später: Krampfhusten mit Atemnot, was ca. zehn Tage anhielt
— Appetitlosigkeit (ohne Eintrübung des Geruchssinns)
— Durchfall mit starker Gewichtsabnahme
— nach 2,5 Wochen erste, nach 3,5 Wochen deutliche Besserungsanzeichen
— langsame Rekonvaleszenz (Kraftlosigkeit und morgendlicher bzw. abendlicher Husten noch über viele Wochen)

Göttin mit Lungenkrankheitsrisiko
Fieber und Schmerzen waren so intensiv, dass ich mich vier Tage (oder länger) wie ein Quirl im Bett gedreht habe; ich wusste nicht, wie ich liegen sollte. Gegen Ende kam noch eine (bakterielle) Stimm­band­ent­zün­dung hinzu.

2008, bei der ersten Grippe, konnte ich das Ganze besser "weg­schla­fen" als dieses Mal. Als alles über­stan­den war, habe ich spontan ge­sagt, dass ich derlei nicht einmal mei­nem ärgsten Feind wün­schen würde.

Bei allem, was ich bislang darüber gelesen und gehört habe, könnte das durchaus ein mittlerer Krankheitsverlauf von Covid 19 gewesen sein. Ich warte auf die An­ti­kör­per­tests, weil man bei einem Abstrich heute wohl nicht mehr so viel finden würde. Sollte ich es nicht ge­habt haben, ist auch richtig, was ich derzeit mache: alles, was gesund ist. Das ist heute zum Bei­spiel Kä­se­spätz­le es­sen.

P.S.: Ja, ich weiß, China hat die WHO erst Ende De­zem­ber über den Co­rnoavirus informiert. Das wird geschehen sein, nachdem der Virus einige Wochen lang auf­ge­tre­ten war.
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Fotos: C.E. (im Renaissance-Theater)

Freitag, 6. März 2020

COVIDiary (2)

Aus dem Büro komme ich gerade nicht raus. Nein, keine Quarantäne, sondern das Schreiben von Angeboten. Normalerweise würde ich heute in der Dol­met­scher­kabine sitzen, der Einsatz wurde abgesagt. Unsere Branche ist dieses Frühjahr schon wieder in Unordnung geraten, was nicht wie 2018 an der lang­sa­men Re­gie­rungs­bil­dung und auch nicht wie 2019 an der Focussierung aller auf den Brexit liegt.

Altes Foto: Schreibtisch, Bücherschrank, Sessel und Hermesstatue
Home office mit dem Götterboten Hermes (ca. 1900)
Im Büro ist es zu ruhig, unsere Kunden warten mit der Planung oder sagen ab. In allen deut­schen und französischen Un­ter­neh­men stehen die Zeichen auf zurückgehende Mobilität. Ar­bei­ten von zuhause ist ge­nau­so en vogue wie pri­va­te Vor­­­rats­käu­fe.

Die Coronakrise mit der Ri­si­ko­stufe "erhöht" ist sicher nicht ohne, zeigt aber auch komplett irrationale Züge.

Mir kommt die Stimmung vor wie das Ergebnis der gesammelten Unsicherheiten, in denen immer mehr Menschen leben: an­ge­fan­gen bei der ei­ge­nen wirt­schaft­li­chen Un­si­her­heit bis hin zu Globalisierung, Kriegs- und Flucht­be­we­gun­gen um uns herum sowie, last but not least, die Klimakatastrophe. Die daraus entstandenen Ängste wer­den jetzt auf das Virus projiziert. Hysterische Hams­ter­käu­fe, Frem­­den­feind­lich­keit und Gleichgültigkeit darüber, dass mancherorts in den EU-Staaten Ele­men­te der De­mo­kra­tie und Menschenrechte außer Kraft gesetzt werden, sind die Fol­gen.

Wir Dolmetscher lesen regelmäßig Statistiken und wissenschaftliche Texte, dort geht es besonnen, aber sorgenvoll zu. Zynische Bemerkung: Mit Zunahme des Bil­dungs­grads sinkt der Aufregungsgrad. Leergekauft sind die Discounter, nicht die Bioläden.

Im Büro ist es trotzdem ungemütlich. Fachtagungen und Delegationsreisen sind in der Schwe­be. Der südfranzösische Markt für audiovisuelle Medien, die Messe MipTV in Can­nes, geplant für ab Ende März, ist ab­gesagt, die Messe für Serien soll im Sommer nachgeholt werden. Von Verschiebung (in den Juli) ist auch bei der Han­no­ver-Messe die Rede.

Wenn sich das Virus so verhält wie andere Viren, mag es weder Som­mer noch Son­ne, dann dürften die Fallzahlen mit steigenden Temperaturen signifikant zu­rück­ge­hen. Aber von welchen Ausgangszahlen her betrachtet wäre dieser Rück­gang? Ver­mut­lich von hohen bis sehr hohen.

Wirtschaft, Wissenschaft und Politik haben ihre Vorgaben und Fristen. Ich ahne, dass wenn jetzt für etliche gesetzlich oder vertraglich vorgeschriebene Ver­samm­lun­gen (Betriebsräte, Aktionäre, Wissenschaftler mit ihren Ver­öf­fent­li­chungs­pflich­ten) nur Absagen kommen, auch diese Termine nur ver­schoben sind, denn Pub­li­ka­tio­nen, Entlas­tungen von Vorständen und Aufsichts­rä­ten und Infor­ma­tions­fris­ten müssen nachgeholt bzw. gehalten werden.

Beine hoch und runterkommen
Das kann heit­er wer­den. Dass die ers­ten Herbst­bu­chun­gen schon vor­lie­gen, be­­deu­­tet, dass auch die ent­spre­chen­den Ta­gungs­ho­tels schon ge­bucht sein dürf­ten. Wenn es gut läuft, be­kom­men wir die­ses Jahr nur eine kurze Som­mer­pau­se und dür­­fen im Hoch­som­mer dol­­met­schen, der uns mög­li­cher­weise wieder Re­­kord­­tem­­pe­­ra­­tu­­ren be­sche­ren wird.
Aber unter dem Strich wird nur ein klei­ne­rer Teil der Einsätze von uns als Team nach­ge­holt werden könnnen. Wissenschaftlicher Austausch, Ko­or­di­nierung unter Politikern, allgemeines Handels­ge­schehen werden zu­rück­­ge­hen. Wenn das kom­­plet­te Kon­fe­renz­ge­sche­hen im Frühjahr wegbricht, ist es für immer weg.

Das ist wie bei einem Weih­nachts­baum­verkäufer, der sich in der Ad­vents­zeit einen kom­pli­zierten Beinbruch zu­zieht, er wird auch im Au­gust sein Geschäft nicht nach­holen kön­nen.

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Foto: Eigenes Archiv (1. Foto ca. 1900,
2. Foto von Otto-Heinrich Elias, ca. 1967)

Donnerstag, 5. März 2020

COVIDiary (1)

Bonjour, gu­ten Tag & hel­lo auf den Sei­ten des ers­ten deut­schen Dol­met­scher­blogs aus dem Inneren der Dol­metscherkabine. Derzeit schreibe ich in­des vom Über­set­zerschreibtisch. Hier denke ich über unseren Ar­beits­all­tag nach. Derzeit ist mal wieder alles im Umbruch. Der Blog aus dem Berufsalltag wird zum COVIDiary.

Altes Foto mit lesender junger Dame
Abwarten und Buch lesen
Ein ru­hi­ger Mittwoch­mor­gen im Büro, al­les ist eigent­lich wie immer. Auch die Straß­en sind und die Bahn gestern war durchaus belebt.
Doch ist etwas heute an­ders: Wir ha­ben |drei| vier un­be­stä­tig­te Kostenangebote drau­ßen, dazu vier Ab­sa­gen in Fol­ge für März. Nor­ma­ler­wei­se müssen wir keine 24 Stunden auf die Be­stä­ti­gung unserer Kos­ten­vor­an­schlä­ge warten.

So etwas hat es noch nie gegeben. Auch das nicht: Anfang März mehr als eine Anfrage für den späten Herbst vorliegen zu haben. In diesen Tagen sind alle tief verunsichert. Derzeit ver­su­chen die Länder, die Ausbreitung des Corona-Virus zu verlangsamen, was Fach­leu­ten zufolge nur schwer möglich ist. Durch die Glo­ba­li­sie­rung sind wir alle einander nähergerückt, durch den Siegeszug neo­li­be­ra­ler Wirt­schafts­ge­dan­ken wurden immer mehr Krankenhäuser pri­va­ti­siert oder ge­schlos­sen, gilt die Be­rei­tstel­lung von über­­zäh­­li­gen Betten als Geldver­schwendung. Die Kehrseite der Medaille erleben wir derzeit — beziehungsweise die Anfänge davon.

Außer in Sachsen-Anhalt treten in der ganzen Republik erste Fälle von Covid-19 auf. (Der Osten ist vermutlich länger sicheres Terrain, die Menschen dort sind är­mer, mal eben Woche für Ski oder Shopping eine Fernreise an­zu­treten nicht weit ver­brei­tet.) Wer immer sich für Home office ent­schei­den kann, macht dies. Dienst­rei­sen wer­den verboten, Eu­ro­-Be­­triebs­rats­­sit­zun­­gen abgesagt. Für uns Dol­met­scher be­deu­tet die Annul­lierung von Konferenzen, Messen und anderen Events eine existen­zielle Be­dro­hung, denn wir können ab­sehen, wie viele Monate unsere Rück­lagen reichen.

Mit der deutschen Einheit schien Lohnzurückhaltung in vielen Branchen lange das Gebot der Stunde, und der allgemeine Protest war gering, denn die Kosten für die Mo­der­ni­sie­rung von Infrastruktur im östlichen Teil und in Berlin mussten ja auch ir­gend­wie ge­stemmt werden. Verglichen mit Kaufkraftverlust und dem parallel er­folg­ten Abbau von Sozial­leis­tun­gen (nur zwei Beispiele: die 'Privati­sierung' von Ar­beits­unfähigkeits­versicherung sowie das Heraus­fallen von Schul- und Studien­jahren von Aka­de­mi­kern nach dem 16. Lebensjahr aus der Rente), verglichen da­mit also liegen unsere Honorare bei etwa der Hälfte des Niveaus, auf dem sie sich im Grun­de befinden müssten.

Schlechtwettergeld kennt unsere Branche nicht. Allein die Absage der In­ter­na­tio­na­len Tou­ris­mus­bör­se (ITB) soll Berlin ein Umsatzminus von Dutzenden Mil­lio­nen Euro bescheren. Da Bundes­mi­nis­terien die Absage em­pfoh­len hatten und das Co­ro­na­virus tatsächlich wie schlech­tes Wetter plötzlich da ist, berufen sich die Auf­trag­geber bei der An­nu­llie­rung von Terminen auf höhere Gewalt.

Ich muss immer an Herbst 1989 denken. Da sagte mir ein Leipziger Optiker diesen grandiosen Satz: "Wenn Du weißt, was die Zukunft bringt, hast Du schlechte In­for­manten!"

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Foto: Eigenes Archiv (Foto ca. 1900)