Berlin als Rückzugsraum für Bienen |
Was liegt gerade auf dem Schreibtisch? Große Vielfalt: Verkehrslogistik in Europa, Deradikalisierung, urbanes Landwirtschaften, artengerechte Schweinezucht, Afrikapolitik des G20, Burkina Faso; in weiter Ferne winkt ein Drehbuch.
Ich lese mal ein wenig meine Presseclippings mit den Händen auf der Tastatur.
Coralie Schaub macht sich heute in Libération Sorgen um die Bienen. Auch der (anstehende? wie weit sind die?) Deal mit Bayer und Monsanto treibt sie um. Den anderen großen Riese der Branche, die Schweizer Syngenta, hat ChemChina gerade aufgekauft. Diese Konzentrationen sind keine guten Vorzeichen.
Einschub: Denn Firmen, die sich der „Verbesserung der Nahrungssicherheit“ verschreiben (Syngenta-Eigenwerbung), trachten immer mehr danach, die Märkte zu dominieren. Sie ignorieren aus Gewinnerzielungsabsichten die biologischen Grundlagen, die uns in der 5. Klasse beigebracht wurden: Pflanzen reagieren auf ihren Standort. Bodenbeschaffenheit, Licht, Wärme, Nachbarschaft, Dünger, Häufigkeit der Wässerung sind die wesentlichen Faktoren. Hybridsaatgut widerspricht grundlegend dem Gedanken, dass sich Pflanzen über Generationen an ihren Standort anpassen. Dabei sind wir Menschen selbst doch der Beweis für die Funktionsweise der Natur. Außerdem ignoriert diese Chemie zuverlässig so ziemlich alles andere, was zum Aufrechterhalten einer gesunden Umwelt und der Sicherstellung der Ernährung der Menschheit wichtig ist: Pflanzen- und Artenvielfalt. Ende des Einschubs.
In Libération fordert die Journalistin, dass die Menschheit endlich auf die Wissenschaft hören solle und Neonikotinoide genauso verbieten wie Glyphosat (die aktive Substanz in Mosantos RoundUp). Die Behörde für europäische Nahrungsmittelsicherheit (EFSA) habe längst neue Verfahrensprozesse der Risikofolgenabschätzung eingebracht, die allerdings noch nicht in die Politik eingegangen seien. Am wichtigsten sei es aber, sich von der industriellen Landwirtschaft wegzuentwickeln. Agroökologie werde von immer mehr Fachleuten, darunter auch der frühere Minister Stéphane Le Foll, als der einzige Ausweg aus dem Dilemma von Arten- und Bienensterben, Grundwasserverschmutzung, sterbenden Böden und Erosion gesehen.
In Frankreich habe sich dieser Tage die Umweltverschmutzung in Verbindung mit der ersten großen Hitzewelle des sommers als „tödlicher Cocktail für die Bienen“ erwiesen, so Henri Clément, Sprecher des französischen Bienenzüchterverbands Union nationale de l’apiculture française (Unaf). Der durchschnittliche Verlust der Bienenvölker liege derzeit bei 30 Prozent, es gebe in einigen Regionen Zahlen von 50 bis 80 Prozent. Das Phänomen Bienensterben dauere bereits einige Jahre an. Noch nie zuvor seien die Honig"ernten" in Frankreich so gering ausgefallen wie im vergangenen Jahr mit 9.000 Tonnen. Zum Vergleich: Frankreich war bis 1995 das wichtigste Bienenland Europas und lag bei einer Jahersproduktion von 32 bis 33.000 Tonnen.
Der Klimawandel bringe nicht nur neue Feinde ins Land wie die Hornissenart Vespa velutina (frelon asiatique), sondern verkürze signifikant den Winter. Darauf spät einsetzende Frosttage bis Wochen (dieses Jahr bis April/Mai) gefährdeten dann die Bienen. Zunehmender Nordwind würde die Blumen austrocknen, die große Hitze die Blüten verbrennen, was schlimme Folgen zeitigte. Insgesamt sei seit 2003/04 die Phase der Blumenblüte stark verkürzt. Die anderen südlichen Anrainerstaaten des Mittelmeeres stünden vor den gleichen Problemen.
Soviel zum Thema aus der französischen Tageszeitung Libération. Das Bundesamt für Naturschutz (BfN) schlägt in eine ähnliche Kerbe. "Auf Feldern stirbt die Natur aus" titelt Teresa Dapp auf der SVZ.de-Seite am 20. Juni. Das Bundesamt beobachte, dass ganze Biotope verschwinden und die Populationen der Insekten und Vögel rapide abnehmen würden, die industrielle Landwirtschaft mit ihren bis auf die letzte Ecke ausgereizten Monokulturen nähme ihnen Lebensraum und Futter. Nur ein Beispiel: Von den beobachteten 560 Wildbienenarten seien mehr als 40 Prozent gefährdet. Auch die EU-Förderungen stünden derzeit nicht für Diversität. Fazit: Eine Agrarwende müsse Tiere und Umwelt retten. Die Präsidentin des Bundesamts, Beate Jessel: "Statt weiter auf die exportorientierte Landwirtschaft zu setzen, brauchen wir eine bäuerlich-ökologische Agrarwende — weg vom Weltmarkt, wieder hin zum Wochenmarkt.“
Die Dolmetscherin kommentiert: Bei den Vorbereitungstreffen zum G20, Sektion Afrika, Bevölkerungszuwachs, Lebensmittelsicherheit und die Schaffung regionaler Arbeitsplätze, war das nahezu wortgleich das Résumé der Tagungsteilnehmerinnen und -teilnehmer.
In meinem Übersetzer-/Dolmetscherbüro informiert mich wenig später eine Mail, dass eine Million Unterschriften in Europa für das Verbot von Glyphosat zusammengekommen sind. Zitat: "Noch nie hat eine Europäische Bürgerinitiative (EBI) innerhalb von vier Monaten die Million geknackt!" Das klingt gut!
In Berlin gibt es viele Rückzugsgebiete für Arten, aber auch hier sind die Veränderungen augenfällig. Als wir vor 20 Jahren hier hergezogen waren, hatten wir mal vergessen, die Balkontür zu schließen und dann Licht angemacht. Nach zehn Minuten war der Raum voller Getier (nee, die frisch gemalerten Wände). Damals gab es noch wunderliche Riesenlibellen in der Stadt. Heute kann ich stundenlang bei offener Balkontür sitzen und nichts passiert. Nichts. Diesen Sommer gibt's sogar kaum Mücken. (Dass ich darüber mal klagen würde!)
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Foto: C.E.
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