Mittwoch, 22. Juni 2016

Auf dem Schreibtisch XXXIII

Bonjour, hello, guten Tag! Hier schreibt eine Sprach­ar­bei­te­rin über den Be­rufs­all­tag als Dol­met­sche­rin für Fran­zö­sisch (und Über­­­set­­ze­rin). Ich arbeite in Marseille, Paris, Berlin, Leipzig und fast immer dort, wo Sie mich brauchen!

Jetzt wird es heiß. Die Europapolitik, die sich immer mehr vom Menschen weg­be­wegt hat, steht in England auf dem Prüf­stand. Was ich mir wünsche, steht fest. Und zugleich denke ich, dass wir dieses Europa gründlich über­ar­bei­ten müssen, vom Kopf auf die Füße stellen, wenn der Eu­ro­pa­ge­dan­ke, der aus den Kriegs­er­fah­run­gen des 20. Jahrhunderts entstand, gerettet werden soll.

Viele von uns dürfen sich glücklich schätzen, keinen Krieg mehr erlebt zu haben. Dabei würde es ausreichen, den Geflüchteten zuzuhören. Wer nicht die Chance di­rek­ter Begegnungen hat, kann dies, Fern­se­hen sei Dank, vermittelt nachholen. Hier der Link zu einem WDR-Film, der mit gefilmtem Material der Kriegsopfer selbst entstand: "My escape/Meine Flucht" (Produzent: Stefan Pannen, Pro­jekt­lei­tung: Elke Sasse). Er lief schon vor Monaten nachts im Öffentlich-Rechtlichen. (Warum läuft solch ein Film derart spät?) Da ich immer wieder für syrische Frauen im Rahmen einer psychologischen Kri­sen­in­ter­ven­tion dolmetsche, kenne ich diese The­matik genau. (Ich habe es bis heu­te nicht ge­schafft, den Film ohne Un­ter­bre­chun­gen einmal ganz zu se­hen.)

"Eigentlich bin ich noch in Syrien", sagt an einer Stelle einer der jungen Männer, die ihren Weg mit den Mo­bil­te­le­fo­nen gefilmt haben. Das höre ich von allen Äl­te­ren in dem Um­feld regelmäßig.

Was liegt auf dem Schreibtisch? Der erste Punkt, aktuelle Politik, bleibt un­ver­än­dert, die Buchungen kommen immer kurzfristiger. Ich muss mich also ständig à jour halten und lese täg­lich mindestens eine Stunde lang Zeitungen in drei Spra­chen, Sprachübungen und Vokabelnotieren kommen hinzu, oft sind hier Ra­­dio­­sen­­dun­­gen der Aus­gangs­punkt. Bei mir sind das dann zwei Ar­beits­stun­den als Grund­la­ge. Das braucht ein aktuell tä­ti­ger Dol­met­scher min­des­tens am Tag, Zeit, die sich am Ende in den Ho­no­ra­ren wie­der­fin­den sollte. Hier meine Liste:

seasonal disches (sic!) | cakes | and surprises
Gesehen in Neukölln
⊗ Aktuelle Politik
⊗ Filmförderpolitik
⊗ Charly Chaplin
⊗ Büro­or­ga­ni­sa­tion
⊗ Energiesparende Haus­halts­ge­rä­te, z.B. Kühlschrank ohne Strom
⊗ Bioplastik und andere Plas­tik­sub­sti­tu­te, z.B. Teller aus Blättern
⊗ Kosten­vor­an­schlag für eine Buch­übersetzung
⊗ Religion und Ho­mo­sexu­ali­tät

Ich arbeite für institutionelle und private Kunden. Achtung: Ich übersetze keine Urkunden und Ver­wal­tungs­do­ku­men­te!

Endlich ist der Sommer mit seinen Überraschungen da. Dolmetscheralltag, das be­deu­tet, alles im Vorbeigehen lesen und derlei Trouvaillen fotografieren zu müssen, darin folge ich meiner Berufs(ver)bildung, meiner (dé)formation professionnelle. Ach so, mit Profis vermeiden Sie übrigens schlechte Überraschungen. Wir sind nicht billig, aber preiswert = unseren Preis wert.

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Foto: C.E.

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