Freitag, 7. Januar 2011

Film lesen

Heute weiche ich von meinem Wochenprogramm ab. Der Link der Woche entfällt, denn ...


Gestern Abend konnte ich mal wieder einen Film lesen. Das ist jetzt kein Vertipper, ich meine wirklich "lesen". Ein von uns übersetzter Film lief im Fernsehen. Ich habe über diese Arbeit hier schon (mit veränderten Namen) geschrieben, es ging um die Frage, wie am Tisch der französischen Familie das Brot gegessen werden soll und wie lange der Hase braucht, um gar zu sein.

Letztes Jahr sah ich ihn schon im Kino, gestern Abend brachte ihn also Arte, ich spreche vom Film "Es kommt die Zeit" von Susanne Schneider, im Arbeitskürzel produktions- und übersetzerintern immer "EskoT". Dieses Mal kann ich im Wohnzimmer meiner besten Freundin, was im Kino nicht möglich war: die Übersetzung nachlesen (wir archivieren für unsere Kunden die Originale und die neuen Fassungen, sofern sie nichts anderes wünschen.)

Und wieder habe ich diese schöne Erfahrung wie neulich bei "Small World": ich kann endlich etwas, das uns im Team wochenlang beschäftigt hat, mit anderen teilen. Ich sehe, was eben noch auf dem Papier war, jetzt sogar außerhalb der "Kirche" Kino.

Von der ersten Sequenz an habe ich den Tonfall des Drehbuchs wieder im Kopf. Ich lese die Szenenbeschreibungen mit, beobachte die Abweichungen bei den Dialogen. Die eine Person ist schweigsamer geworden, jene Nebenhandlung ist gekürzt worden und dort hat ein deutscher Schauspieler mit dem französischen Idiom gekämpft.

Zur Story: Eine junge Frau (Katharina Schöttler) aus Deutschland taucht im Elsass auf und mietet sich bei einer Winzerfamilie ein. Sie beobachtet die Familie, besonders die Mutter (Iris Berben) und ihre Teenagerkinder (Sebastian Urzendowsky und Sophie-Charlotte Kaissling-Dopff).

Erst langsam wird das Geheimnis der Mutter und des Gasts aus Deutschland klar: Sie kennen sich aus einem früheren Leben. Dann kommt es zum psychologischen show down. Die Spannung hält bis zum überraschenden Ende.

Die Arbeit der Schauspieler ist von großer Intensität, Weingut und Umgebung kommen sehr plastisch und recht französisch 'rüber' (auch, wenn der Film aus Filmfördergründen auf der deutschen Seite der Grenze gedreht worden ist).

Ein Filmkritiker des Spiegel schrieb: "Wie Regisseurin Susanne Schneider in “Es kommt der Tag” die Ex-Terroristin und ihre Tochter zwischen Milchkaffee, Hasenfrikassee und anderen Selbsterzeugerköstlichkeiten bis zur Zerfleischung um historische Wahrheiten ringen lässt, das ist die zugespitzte Situation eines Familienstreits zwischen arrivierten 68ern und ihrem Nachwuchs."

Für mich ist dieses aktive Betrachten eines mir durchaus ... bekannten Films eine Art "Fortbildung". Ich freue mich, wenn die (in Frankreich lebenden) deutsch-französischen Kinder in der Wut auf Französisch reagieren, ich höre aufs Sprachcoaching, ich frage mich, wie mit Wiederholungen entspannter umgegangen werden kann, wenn sich an einer Stelle fürs deutsche Publikum eine Doppelung durch deutsche Worte und deutschen Untertitel (zum französischen Dialogteil) ergibt, kurz: ob und wie sich derlei dramaturgisch nutzen lässt.

Und ich überlege, warum heutzutage in der Filmherstellung so viel aufgeteilt wird. Gerne hätte ich das Projekt weiter begleitet: Untertitel gemacht, die Szenenbeschreibungen gekürzt und zugeschnitten für eine Audiodeskription. Für die Zukunft wünsche ich mir mehr Projekte wie das, an dem ich ab Montag arbeite: Ich bin bereits an der Stoffentwicklung beteiligt - und kann hoffentlich auch wieder mit drehen gehen.

Mehr zum Film "Es kommt der Tag": Die exzellente Kritik von Sascha Keilholz auf critic.de. Den Film wiederholt der baden-württembergische SWR, leider spät in der Nacht (Mittwoch, 10.11.10, 23.00 - 00.40 Uhr), ein Fall für die Recorder!

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Fotos: Screenshots der Koproduktion
von Wüste Film Ost/filmtank Hamburg/Wüste
Film West/Unlimited/SWR/WDR/ARTE

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