Freitag, 26. Juni 2020

COVIDiary (100)

Hello, bon­jour und gu­ten Tag! Hier be­rich­te ich aus mei­nem Berufsleben als frei­be­ruf­liche Konferenzdolmetscherin für die französische Sprache. Vor Monaten wurde aus dem Arbeitstagebuch das eher private COVIDiary. Derzeit schreibe ich mehr Einträge, als ich hochlade. Das liegt am "bisschen Haushalt", der mich ganz schön auf Trab hält.

Coronafrühstücke haben wir irgendwann aufgehört zu fotografieren. Aber seit wir beim Molkereiwagen ein Käseabo haben, vergrößert sich der Schalenvorrat, denn Saint-Marcellin bringt jedes Mal sein Terrakottatöpfchen mit. Der Brie aus der Ge­gend von Lyon riecht zwar etwas streng, schmeckt dafür aber himmlisch.
Made in France!
Eine Empfehlung!

Draufsicht: Frühstückstisch mit Brot, Käse, Ei, Oliven und Kaffee
Vegetarisch, aber nicht vegan

Der vierte Monat mit Pan­de­mie und ohne Konferenztätigkeiten neigt sich dem En­de zu. Die ersten Erfahrungen mit Onlinedolmetschen sind gemacht, nicht alle ge­tes­te­ten Tech­nik­an­bie­ter sind über­zeu­gend. Zwei Termine haben mich die­sen Mo­nat in eine Anwaltskanzlei ge­führt, dann gibt es ein wenig Arbeit im Rah­men ei­ner Filmproduktion. Aber nichts im Vergleich zum sonst diesen Mo­nat üb­li­chen Kon­fe­renz­ge­schehen und den damit verbundenen Umsätzen.

Meine Monatsbilanz: minus 80 Prozent. Immerhin besser als die Monate April und Mai mit minus 100 Prozent. Der nächste geplante Tageseinsatz auf einer Konferenz steht mit März 2021 im Kalender. Für Ende Oktober gibt es eine vorsichtige An­fra­ge für einen Abend. Ein Tag, einen Abend: Das ist sonst Arbeit für eine halbe Wo­che und nicht für ein halbes Jahr!

Ich schreibe viel, sortiere und repariere. Dabei lebe ich von der ersten Tranche der Solo-Selbständigenhilfe, die in Berlin am Anfang auch für den Eigenunterhalt war, und bin mit­ten in der Um­rüstung des Büros auf Seuchenzeiten, deren Beginn ich eben­falls dank Betriebs­kos­tenhilfe finanziere, den zweiten Teil mit verspätet ein­ge­hen­den Honoraren (die ebenfalls dank Solo-Selbständigenhilfe fließen). Durch diese Um­rüs­tung kann ich weiterarbeiten, wenn es nach der Sommerpause zaghaft wieder los­ge­hen wird.

Ich habe zwei linke Hände, bin keine Heimwerkerin. Also stoße ich mit den Ar­bei­ten, die im Dominoeffekt weitere Arbeiten nach sich ziehen, auch die re­gio­na­le Wirt­schaft mit an. Dieser Aspekt wird bei der Diskussion um die Le­bens­hal­tungs­kos­ten von Solo-Selbständigen sträflicherweise außer Acht gelassen.

Wir sind auch Kunden, die Lebensmittel kaufen, Miete zahlen und die auftragslose oder -arme Zeit zur Wohnungsrenovierung und zur Weiterbildung nutzen. Be­kannt­lich sta­bilisiert Nach­fra­ge die Wirtschaft. Wir sind doch kein Konzern, der das Ret­tungs­geld in Teilen an Aktionäre ausschüttet oder neue Personaler einstellt, die dann Entlassungen vornehmen! Über die Politik mit ihrer fas­sungs­lo­sen Haltung uns gegenüber (Tenor: "Betriebskosten ja, für den Rest geht zum Sozialamt!"), ha­be ich mich genug aufgeregt. Ich hoffe jetzt auf den Einfluss der Bundesländer. Die Finanzminister der Länder stehen auf der Seite von uns Selb­stän­di­gen.

Dieser Umbau ist für mich übrigens wichtiger als eine Urlaubsreise, denn nur damit habe ich wirtschaftlich eine Chance. Wir werden stattdessen mit den Rädern Ta­ges­aus­flü­ge machen, außerdem bin ich ohnehin stand by für die nicht mehr junge Elterngeneration, die gelegentlich unsere Hilfe braucht. Mehr Geld ist nicht da, Corona! Wir leben sparsam bzw. Käse wie der Saint-Marcellin und das Gärtnern sind der einzige Luxus.

Kürbiskerne trocknen auf einem Geschirrtuch
Küchenauszug in meinem 50-er-Jahre-Buffet

Alles ist derzeit ein wenig einfacher in den Abläufen als zuvor. Ich habe gelernt, Kürbiskerne zu rösten, und ich lasse mich von französischen Raumsparlösungen in Sachen Haushaltsaufbewahrung anregen. Und ich komme mir vor, als würde ich dieses Jahr einmal rund um meinen Haushalt verreisen: Das hat die olle Corona jetzt da­von! Dolmetscherin in der Zwangspause und auf exotischer Reise!

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Fotos: C.E.

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