Dienstbotenkammer (Berlin), noch so eine Vokabel |
Das war in den 1980-er Jahren, als der ungebändigte Zwang zur ökonomischen Maximalverwertung in der französischen Hauptstadt anfing, sein Unwesen zu treiben.
Mir erschien das höchst wunderlich bis verwerflich. Es fühlte sich irgendwie an wie 19. Jahrhundert. Ich bin ein Kind der Siebziger und damit einer Zeit, in der das Bekämpfen sozialer Missstände ein von fast allen geteiltes politisches Ziel zu sein schien. Mein Wundern hört seither nicht auf. Inzwischen geht die ganze Welt vor Geschichtsvergessenheit auf Zeitreise. Während, wie Oxfam dieser Tage berichtet, acht Menschen auf diesem Globus mehr Besitz zusammengerafft haben, als den ärmsten 50 Prozent zusammen gehört, werden deutsche Gesetze ähnlich merkwürdig interpretiert.
Da empfiehlt ein Berliner Gericht einem gerade volljährig gewordenen Schüler, der eine Wohnung von 28,25 Quadratmetern bewohnt und dem damit zu wenig Geld von seinem Bafög bleibt, er möge doch bitte die Couch untervermieten oder ein Zelt zu diesem Behufe auf dem Balkon aufstellen. Eigentlich klingt das beim durchschnittlichen Temperaturmaximum von 12,2 Grad Celsius wie eine gute Idee. Aber abgesehen davon, dass sich das Zelt bei Außengraden wie den aktuellen sowie den Minusgraden im Winter selbst verbietet, ist nicht abschließend geklärt, ob die Wohnung überhaupt über einen solchen Austritt mit ausreichend Fläche verfügt. Ebenso unklar ist, ob der junge Mieter auf seinen allzu üppigen fast 30 Quadratmetern für nur einen Menschen eine Couch untergebracht hat, die als Bettstatt taugt.
Im Ernst, der Richterspruch scheint formal durchaus korrekt zu sein, auch wenn er den Beklagten möglicherweise zu illegaler Untervermietung auffordert. Die Vorgabe für Wohnraum liege, so lässt sich im Netz lesen, bei Einzelperson laut „Ausführungsvorschrift Wohnen“ bei 50 Quadratmeter und für jede weitere Person bei acht bis zehn Quadratmeter. Das Berliner Wohnungsaufsichtsgesetz zur Beseitigung von Wohnungsmissständen (WoAufG) schreibt in Paragraf 7 Absatz 1 eine Wohnfläche von mindestens neun Quadratmeter pro Person vor, bei Kindern bis sechs Jahre sind es mindenstens sechs Quadratmeter). Zum Glück kommt es hier nicht zur Anwendung, sonst könnte man ihm sicher noch einen weiteren Erwachsenen und 1/4 Kind zuweisen.
In diesem Zusammenhang möchte ich hier das Wort „Schlafbursche“ aus dem Wörterbuch des Sozialelends alter Zeiten wiederbeleben. Das Wort bezeichnet(e) eine Person, die lediglich für die Nutzung einer Bettstatt bezahlt (hat), sei diese auf einer Empore über der Küche gelegen, in einer Kammer oder auf einem Schrank — oder aber die Mitnutzung des Bettes des/der Mieter(s) zu Zeiten, in denen es nicht genutzt wird. Schlafburschen gehören zu der Gruppe der Arbeitenden, die zu arm für eine Wohnung sind, also Arbeiter aus Fabrik, Bergbau oder Hotelwesen ... heute bieten sich da Hotelpagen, Zimmermädchen, Essens- und Paketlieferanten sowie alle anderen modernen Variationen einst rechtloser Hausangestellter oder Sklaven an.
... mit Hochbett |
Im Ernst, als Studentin habe ich jahrelang in einer Dienstbotenkammer mit Waschbecken gelebt, das Schwimmbad lag in Uninähe, die Jahreskarte dort hat nur einen symbolischen Betrag gekostet. Lieber Dienstbotenkammer als Schlafbursche! Es war nur wichtig, dass ich ein Zimmer für mich hatte und immer dann lernen oder schlafen konnte, wann ich wollte, also von keiner Mitbewohnerin oder keinem Mitbewohner abhängig war. Das zählt!
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Fotos: C.E.
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