Menschen am Sonntag, das kann auch bedeuten: Sommerpicknick auf einer Berliner Parkbank, auf der Badeanzug und Badehose vor sich hin tropfen. Ein leichter Wind kommt auf und kühlt die noch nassen Haare im Nacken. Vor uns, auf dem Wasser, prägen Kanuten und Freizeitkapitäne das Bild. Wie kleine Goldstücke glitzern späte Sonnenstrahlen auf dem Wasser.
Da promeniert eine Dame im Charlestonkleid und mit kleinem Stohhütchen mit feinem Lächeln an uns vorbei, wenig später folgt ein junger, schmaler Mann mit dunkelgrauer Schiebermütze, braunen Knickerbockerhosen und blaukariertem Hemd, am Ende schwebt ein dandyhaftes Etwas an uns vorüber — ist es ein Mann, ist es eine Frau? —, den zarten Leib in einen Seidenkimono gehüllt, dessen Blumenmuster farblich auf den buntbemalten Kegelhut abgestimmt ist. Von der anderen Seite nähert sich ein Herr im sommerlich hellen Anzug. Er trägt ein Grammophon zu einer dreistufigen Treppe, die auf eine ebene Rasenfläche führt, richtet den Lautsprecher aus, kurbelt und der Schlager “Ich glaub, Madame, Sie haben einen Schwips“ ist zu hören.
Tanzabend im Freien |
Der andere schiebt seine Dame gekonnt diagonal über die Tanzfläche, seine Hand ist mitten auf ihrem Hintern gelandet. Der improvisierte Tanzlehrer lässt ihm das durchgehen. Der Knickerbockerjüngling, der zwischendurch die Schellackplatten wechselt, folgt aufmerksam den Instruktionen des Meisters. Seine Tanzpartnerin, ein rotblonder Bubikopf, hat deutlich mehr Erfahrung. Sie ist mindestens einen Kopf kleiner als er. Ihre kräftige Figur sitzt recht stamm im weißen Sommerkleid, das wie eine Wurstschale kurz vor dem Aufplatzen wirkt. Es ist, als wären der lange Dürre und die kleine Dicke von einer Zille-Zeichnung zum Leben erweckt worden.
Auf der Bank packe ich die mitgebrachten Metalldosen aus: Linsensalat mit Chicorée, Champignons, Minze und Grapefruit, dazu Zitronenkuchen und Heidelbeeren, Wasser und kühles Radler vom Späti. Der Kopf schweift ab vom Schwimmen zur visuellen Zeitreise, die uns hier geschenkt wird. Aus der Erinnerung tauchen Schnittmuster von Sommerkleidchen und Bademoden aus den späten 1920-er Jahren auf, die meine Großmutter aus ihrer Jugendzeit aufbewahrt hatte. Am Tanzplatz wird ein weiterer Foxtrott dieser Zeit aufgelegt: „Es zieht das Glück vorbei.“ Ich denke an den weißen Hund mit den schwarzen Ohren, der sich auf dem Schellacketikett dreht, an den Terrier, der den Kopf schräg hält und in den Schalltrichter hineinsieht, als er die Stimme seines Herrchens vernimmt, his master‘s voice.
Und irgendwann sortiert der Kopf das Gesehene, interpretiert es um. Ich stehe in Westberlin in einem holländischen Zirkuszelt von 1900, an der „Ausspielung“, dem Monitor (auf Französisch le combo), hockt ein in den USA lebender Regisseur aus der Schweiz, der in Berlin Tucholsky verfilmt, „Schloss Gripsholm“, und gibt seine Regieanweisungen nur über seine Assistenten weiter. Mein Bubikopf mit Wasserwelle ergänzt das Charlestonkleidchen, das mir die Kostümbilderin herausgesucht hat, aufs Schönste. Jasmin Tabatabai singt, die Klezmer-Combo swingt, ich sammele Vokabeln der Filmherstellung und wollte auch mal Amerikaner bei der Arbeit sehen.
Promenade am See |
Die Kostümierten im Berliner Park des Sommers 2018 wirken auf mich wie bessere Komparsen ohne Filmteam: Sie sind einbestellt, die Kamera- und Toncrew hat sich im weitläufigen Park verirrt, die Kleindarsteller scheren sich einen feuchten Kehricht darum und haben ihren Spaß.
______________________________
Fotos: C.E. (Handyfotos am Abend, daher
unscharf, plus leichter Canvas-Effekt;
zum Vergrößern bitte anklicken)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen