Sonntag, 25. Juni 2017

Babüs

Was eine Französischdolmetscherin so alles erlebt, können Sie hier mitlesen. Ich arbeite mit den Sprachen Französisch und Englisch. Meine Fachgebiete sind Politik und Wirtschaft, Medien/Kino, Kultur, Soziales, Ökologie und Architektur mit dem Schwerpunkt Innenarchitektur. Sonntage sind manchmal Arbeitstage: Sonn­tags­fo­to!
 
Gerade komme ich vom "Nowköllner Flowmarkt" zurück, das war mein kleiner Aus­flug vor die Haustür an einem Arbeitssonntag.

Kette, Buch, Armbanduhr
Die Anker-Armbanduhr stammt wahrscheinlich aus der DDR
Ich weiß nicht, was die Briten (und andere Englisch-Mut­ter­sprachler) eigentlich davon hal­ten, dass wir Globish-Spre­che­rin­nen und Sprecher ihr schönes Idiom so oft ver­hun­zen. Oder ergänzen und ver­schlimm­bes­sern. Mail­in­halt von letzter Woche: "Bitte bringen Sie ­ei­ne Arm­band­uhr mit. Han­dies müssen am Ein­gang des Sit­zungsraums ab­ge­ge­ben wer­den."

OK, falsches englisches Wort, richtig ins englische Plural gesetzt. Seit der Recht­schreib­"reform" wird ja der Plural von Baby "auf Deutsch" so gebüldet: "Babys". Ein mir sehr lieber Mensch sagte mal, dass man das jetzt "Babüs" aus­spre­chen soll­te als Zeichen des Protests.

Ich hatte keine funktionierende Armbanduhr mehr. Dortselbst fand ich eine. Und noch eine Bernsteinkette. Und ein Pflanzengeschenk für einen Freund. Und das Buch "Berlin '77 — Das Jahr im Rückspiegel" aus der verschwunden Stadt West­ber­lin. Ihr dürft mich jetzt Konsumistin schimpfen.

Und weiter geht's mit dem Pauken. Nein, es geht nicht an den See, nicht mit dem Holzfahrrad meines Kissenlieferanten Cocomat ins Berliner Umland und auch nicht aufs wunderbare Galerienwochenende "48 Stunden Neukölln". Dieses Mal nicht. Die Tage der offenen Tür im Humboldtforum verpasse ich ebenso wie die Führung (auf Französisch) durchs Hansa-Viertel.

Soviel zum Thema "Freiberuflichkeit". Keine Klagen, nur eine Feststellung. Weiter mit "Ultra-modernité et fondamentalismes : un cercle vicieux ?" aus dem Collège des Bernardins. Ultra-Modernität und Fundamentalismen: ein Teufelskreis?" Und die nächsten Englischstunden folgen in acht Tagen.

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Foto: C.E.

Freitag, 23. Juni 2017

Papierstau im Kopf (alias Schreibtisch XXXXII)

Hallo, herzlich willkommen auf den Seiten des ersten Blogs Deutschlands aus dem Inneren der Dolmetscherkabine. Heute: Blick auf den Schreibtisch.

Berlin als Rückzugsraum für Bienen
Aus einer Mail an einen Film­pro­du­zenten: "An der Politik bin ich manchmal zu nah dran. Da geht es nicht immer erkennbar voran. Deshalb freue ich mich über jeden Filmjob: Kunst! Und erwäge manchmal, zum Schreiben zu­rück­zu­keh­ren (nicht nur von Kinderbüchern). Ich bin der­ma­ßen up to date … und täglich droht der Pa­pier­stau im Kopf."

Was liegt gerade auf dem Schreibtisch? Große Vielfalt: Ver­kehrs­lo­gis­tik in Europa, Deradikalisierung, urbanes Landwirtschaften, artengerechte Schwein­ezucht, Af­ri­ka­po­li­tik des G20, Burkina Faso; in weiter Ferne winkt ein Dreh­buch.

Ich lese mal ein wenig meine Presseclippings mit den Händen auf der Tastatur.

Coralie Schaub macht sich heute in Libération Sorgen um die Bienen. Auch der (an­ste­hende? wie weit sind die?) Deal mit Bayer und Monsanto treibt sie um. Den an­de­ren großen Riese der Branche, die Schweizer Syngenta, hat ChemChi­na gerade aufgekauft. Diese Konzentrationen sind keine guten Vorzeichen.

Einschub: Denn Firmen, die sich der „Verbesserung der Nahrungssicherheit“ ver­schrei­ben (Syngenta-Eigenwerbung), trachten immer mehr danach, die Märkte zu do­mi­nie­ren. Sie ignorieren aus Gewinnerzielungsabsichten die biologischen Grund­la­gen, die uns in der 5. Klasse beigebracht wurden: Pflanzen reagieren auf ihren Standort. Bodenbeschaffenheit, Licht, Wärme, Nachbarschaft, Dünger, Häufigkeit der Wässerung sind die wesentlichen Faktoren. Hybridsaatgut widerspricht grund­le­gend dem Ge­dan­ken, dass sich Pflanzen über Generationen an ihren Stand­ort an­pas­sen. Dabei sind wir Menschen selbst doch der Beweis für die Funktionsweise der Natur. Außerdem ignoriert diese Chemie zuverlässig so ziemlich alles andere, was zum Aufrechterhalten einer gesunden Umwelt und der Si­cher­stel­lung der Er­näh­rung der Menschheit wichtig ist: Pflanzen- und Artenvielfalt. Ende des Einschubs.

In Libération fordert die Journalistin, dass die Menschheit endlich auf die Wis­sen­schaft hören solle und Neonikotinoide genauso verbieten wie Glyphosat (die ak­ti­ve Substanz in Mosantos RoundUp). Die Behörde für europäische Nah­rungs­mit­tel­si­cher­heit (EFSA) habe längst neue Verfahrensprozesse der Risikofolgenabschätzung eingebracht, die allerdings noch nicht in die Politik eingegangen seien. Am wich­tigs­ten sei es aber, sich von der industriellen Landwirtschaft wegzuentwickeln. Agroökologie werde von immer mehr Fachleuten, darunter auch der frühere Mi­nis­ter Stéphane Le Foll, als der einzige Ausweg aus dem Dilemma von Arten- und Bie­nen­ster­ben, Grundwasserverschmutzung, sterbenden Böden und Erosion gesehen.

In Frankreich habe sich dieser Tage die Umweltverschmutzung in Verbindung mit der ersten großen Hitzewelle des sommers als „tödlicher Cocktail für die Bienen“ erwiesen, so Henri Clément, Sprecher des französischen Bienenzüchterverbands Union nationale de l’apiculture française (Unaf). Der durchschnittliche Verlust der Bienenvölker liege derzeit bei 30 Prozent, es gebe in einigen Regionen Zahlen von 50 bis 80 Prozent. Das Phänomen Bienensterben dauere bereits einige Jahre an. Noch nie zuvor seien die Honig­"ern­ten" in Frankreich so ge­ring aus­ge­fal­len wie im vergangenen Jahr mit 9.000 Tonnen. Zum Vergleich: Frankreich war bis 1995 das wichtigste Bie­nen­land Europas und lag bei einer Jahersproduktion von 32 bis 33.000 Tonnen.

Der Klimawandel bringe nicht nur neue Feinde ins Land wie die Hornissenart Vespa velutina (frelon asiatique), sondern verkürze signifikant den Winter. Darauf spät einsetzende Frosttage bis Wochen (dieses Jahr bis April/Mai) gefährdeten dann die Bienen. Zunehmender Nordwind würde die Blumen austrocknen, die große Hitze die Blüten verbrennen, was schlimme Folgen zeitigte. Insgesamt sei seit 2003/04 die Phase der Blumenblüte stark verkürzt. Die anderen südlichen An­rai­ner­staaten des Mittelmeeres stünden vor den gleichen Problemen.

Soviel zum Thema aus der französischen Tageszeitung Libération. Das Bundesamt für Naturschutz (BfN) schlägt in eine ähnliche Kerbe. "Auf Feldern stirbt die Natur aus" titelt Teresa Dapp auf der SVZ.de-Seite am 20. Juni. Das Bundesamt be­ob­ach­te, dass ganze Biotope verschwinden und die Populationen der Insekten und Vögel ra­pi­de abnehmen würden, die industrielle Landwirtschaft mit ihren bis auf die letzte Ecke ausgereizten Monokulturen nähme ihnen Lebensraum und Futter. Nur ein Beispiel: Von den beobachteten 560 Wildbienenarten seien mehr als 40 Prozent gefährdet. Auch die EU-Förderungen stünden derzeit nicht für Di­ver­si­tät. Fazit: Eine Agrarwende müsse Tiere und Umwelt retten. Die Präsidentin des Bundesamts, Beate Jessel: "Statt weiter auf die ex­port­orien­tie­rte Land­wirt­schaft zu setzen, brau­chen wir eine bäuerlich-ökologische Agrarwende — weg vom Welt­markt, wie­der hin zum Wochenmarkt.“

Die Dolmetscherin kommentiert: Bei den Vorbereitungstreffen zum G20, Sektion Afrika, Bevölkerungszuwachs, Lebensmittelsicherheit und die Schaffung regionaler Arbeitsplätze, war das nahezu wortgleich das Résumé der Tagungsteilnehmerinnen und -teilnehmer.

In meinem Übersetzer-/Dolmetscherbüro informiert mich wenig später eine Mail, dass eine Million Unterschriften in Europa für das Verbot von Glyphosat zu­sam­men­ge­kom­men sind. Zitat: "Noch nie hat eine Europäische Bürgerinitiative (EBI) in­ner­halb von vier Monaten die Million geknackt!" Das klingt gut! 

In Berlin gibt es viele Rückzugsgebiete für Arten, aber auch hier sind die Ver­än­de­run­gen augenfällig. Als wir vor 20 Jahren hier hergezogen waren, hatten wir mal vergessen, die Balkontür zu schließen und dann Licht angemacht. Nach zehn Mi­nu­ten war der Raum voller Getier (nee, die frisch gemalerten Wände). Damals gab es noch wunderliche Riesenlibellen in der Stadt. Heute kann ich stundenlang bei of­fe­ner Balkontür sitzen und nichts passiert. Nichts. Diesen Sommer gibt's sogar kaum Mücken. (Dass ich darüber mal klagen würde!)

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Foto: C.E.

Donnerstag, 22. Juni 2017

Der Eisberg

Ob geplant oder zufällig: Sie sind mit­ten in ein Ar­beits­ta­ge­buch hinein­ge­ra­ten, in dem sich al­les um Spra­che, Dol­met­schen, Über­setzen und Kult­uren dreht. Als frei­be­ruf­li­che Sprach­mitt­lerin ar­bei­te ich in Pa­ris, Berlin, Marseille, Heidelberg und dort, wo man mich braucht.

Mit Eisbergen kann man sich vertun. Vom Wasser aus können manche wie Eis­schol­len mit Spitze drauf wirken. Das Zentral­bild des Scheiterns unserer in­dus­triel­len Ge­sell­schaf­ten ist untrenn­bar mit einem Eisberg ver­bunden: die Titanic. Während ich den Namen des Schif­fes schreibe, kom­men die Buchstaben ins Rut­schen, merke ich, dass ich einen untergehenden Schriftzug sehe wie auf dem Cover der Satire­zeit­schrift und nichts anderes. Passt gut zur Unter­titel­theorie: Dass nämlich die Buch­staben, die das Wort "Haus" bilden, als Schriftbild das Gebäude evozieren, so jedenfalls Unter­su­chun­gen darüber, welche Hirnpartien beim SEHEN (und nicht beim Lesen) von Unter­titeln in den Ge­hir­nen versierter Filmseher feuern.

Dazu passt die Beobachtung, dass bei Vertippern das Gehirn automatisch kor­ri­giert, sofern Anfangs- und Endbuchstaben stimmen. Deise Thoerie bewiest deiser kielne Vesruch durchuas gnaz deultich.

Ein Wort, eine Visuali­sierung, ein ganzes Hinter­land an Verknüpfungen, An­spie­lungen und Fakten, so funktionieren menschliche Köpfe, genau das werden Ma­schi­nen nicht übernehmen können, das ist nicht in Einsen und Nullen fassbar. Und in diesem Hinter­land liegt 80 oder mehr Prozent unserer Arbeit als Dol­met­sche­­rin­­nen und Dolmetscher. Wir müssen uns ein­lesen, die Fakten aktiv abfragbar parat be­kom­­men, als stünden wir dem­nächst vor einer Prüfung.

Die Dolmetscheinsätze sind Prüfungen.

Oberhalb der Wasseroberfläche: Der Dolmetscheinsatz (ist nur die Spitze des Eisbergs). Unterhalb: Vorbereitungsmaterial für diesen Einsatz, einschlägiges Fachwissen; tiefere Wasserschicht: Allgemeinbildung, Fortbildung, Stressresistenz, Erfahrung, Dolmetschtechniken, Stimmschulung, Gedächtnis & Gehör; Tiefsee: Sprachkenntnisse.
Durch Anklicken vergrößern
Hier links, wie sich das mit dem Eisberg in meinem Beruf verhält. Wir Dolmetscher allerdings fühlen uns in der Arbeit immer öfter durch Unwissenheit der Kunden be­droht, die nicht genau hinhören wollen, wenn wir erläutern, was wir brauchen, und denen das Internet vorgaukelt, alles und alle seien rund um die Uhr überall zu buchen. Echte Dolmetscher haben lang an den Grundlagen gearbeitet und sie sind ständig dabei, diese Grundlagen aufrecht zu erhalten.
Sichtbar wird nur ein kleiner Teil dieser Arbeit, was diese allgemeine Unwissenheit (gepaart mit echter Bewunderung, die uns regelmäßig zuteil wird) sicher zum Teil erklärt.

Die immer schneller werdenden Alltagsrhythmen und die Reduzierung von Spe­zia­li­sie­run­gen in den Büros tragen auch dazu bei. (Früher wurden wir vom Chef und der Chefsekretärin gebucht, heute gibt es kaum noch echte Sekretariate, son­dern "As­sistenzen" und "Kostenstellen" mit hoher Fluktuation).

Und weil ich nicht mehr jedes Mal aufs Neue alles wortreich erklären möchte, die Zeit nutze ich doch lieber zum Lernen, habe ich zum Pinsel gegriffen. 

So wird visuell klar: Fehlt das Fachvokabular des Kunden, kippt die Spitze genauso zur Seite weg, wie wenn Grundlagenwissen fehlt. Dolmetschen ist halt mehr als das Austauschen von Wörtern, von Einsen und Nullen.

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Illustration: C.E.

Mittwoch, 21. Juni 2017

Nen Korb kriegen

Bonjour, hello und guten Tag! Hier können Sie Innenansichten aus dem Dol­met­scher­all­tag lesen. Derzeit pauke ich für die nächsten Einsätze und jongliere die Herbst­ter­mine. Ich arbeite mit den Sprachen Französisch (Ausgangs- und Ziel­sprache) und Englisch (nur Ausgangssprache). Dolmetschen ist gefährlich. Der geis­ti­ge Leistungssport konserviert nämlich ganz gut. Da kann sich dann ein Au­ßen­ste­hen­der schon mal vertun.

Ingwer (gerieben), Zitrone, Tee
Passt zu jeder Jahreszeit (im Sommer gekühlt)
Gestern habe ich 'nen Korb bekommen. Ich löse es gleich auf: einen Präsentkorb. Ein Kunde hatte in seinen Un­ter­la­gen stehen, dass ich Gol­de­ne Hochzeit feiern würde. Seit 60 Jahren soll ich ver­hei­ra­tet sein. Ja, wir Dol­met­sche­rin­nen können gar viel und Dolmetschen hält sicher auch sehr jung, aber prä­na­tale Verehelichungen sind mir nicht bekannt.

Ich hab beim Kunden angerufen. Die Assistentin rang um Worte und gratulierte mir dann zur Silberhochzeit. Auch nicht. Nicht mal 'nen runden Geburtstag gibt's heuer zu feiern (außer bei einem der Brüder). Ich frug alsdann, an welche Adresse ich das Körbchen weiterschicken dürfte. Die Antwort war schräg: "Ach, behalten Sie ihn einfach, für die Unannehmlichkeiten!"

So lasse ich mich gerne stören. Zum Jahreswechsel trafen hier wiederholt schon kleine Aufmerksamkeiten ein, Fressalienkörbe werden gerne genommen, Kalender und Schreibmaterial auch. Besonders haben mich Konzertkarten gefreut, ich höre gerne Klassik und Jazz.

Neulich haben wir für ein Industriebauunternehmen gedolmetscht. Ob ich an­schlie­ßend einen Baustellenhelm bekommen hätte, will ein Freund von mir wissen. Nein, nichts derlei. Dafür ein halbes Pfund Kaffee vom nächsten Kunden. Das war aber kein Wink mit dem Zaunpfahl von wegen: "Wach mal auf!" Wobei man mir bei mei­nem Alter, man traut mir offenbar die Ü-80-Liga zu, das eine oder andere Mit­tags­schläf­chen durchaus gönnen wird, oder?

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Foto: C.E ("Liberté als Kaffee")

Dienstag, 20. Juni 2017

Bitte mehr Kontext!

Bienvenue auf Blogseiten aus der Welt der Sprache. Wir Übersetzerinnen, Über­set­zer, Dolmetscherinnen und Dolmetscher werden gerne mal von unserem Umfeld mit einem wandelnden Wörterbuch verwechselt. Dabei vergessen die Frager, dass ihnen auch ein Wörterbuch in der Regel mehrere Lösungen anbietet.

"Was immer das auch sein mag, ich soll es nur übersetzen." So kündigt eine Freun­din, die mal ein Jahr lang in Frankreich gelebt hat, per Textnachricht eine Vo­ka­bel­fra­ge an, die ihr gestellt worden ist. Und dann kommt's: "Was bedeutet re­join­dre auf Deutsch? Kannst du mir die beste Übersetzung in einem Wort wenn möglich schnell zu­sen­den?

Grafik mit unterschiedlichen Ausdrucksweisen (Buchstabentypen)
Sprache ist komplex
Nein, kann ich nicht. Im Rigorosum be­deu­tet es möglicherweise, dass sich ein Prü­fer der Meinung eines anderen an­schließt. Fährt oder wandert jemand einer anderen Person oder Gruppe hin­ter­her, kann auch das Wort rejoindre gebraucht werden, al­so "hin­ter­her­rei­sen" oder (ein Bum­me­lant) kann "aufschließen". Ein Land wird mög­li­cher­wei­se einer Länderunion "bei­tre­ten", rejoindre, eine Schülerin kommt in eine neue Klasse. Nach der Filmpremiere steht es für "zu­sam­men­kom­men", das Team "treffen".
Der Urschrei vieler Übersetzer lautet: "Kon­text!" Ich rufe ihn auch meistens in Beantwortung irgendwelcher Vo­ka­bel­an­fra­gen.

Übersetzerschicksal.

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Illustration: C.E.

Montag, 19. Juni 2017

Über politische Partizipation

Hier bloggt eine Übersetzerin und Dolmetscherin für Französisch (und aus dem Eng­li­schen). Heute ein Gastbeitrag über Frankreich mit indirekt kom­men­tie­ren­dem Nachhall aus einem anderen Land. Es schreibt Raffael Sonnenschein, Bür­ger­recht­ler und Gründer von VETO – Dachverband und Gewerkschaft der eh­ren­amt­li­chen Flücht­lings­hel­fer*innen Deutschlands. Raffaels Motto: "Zwischen den Zeilen nehme ich alles wortwörtlich".

Stell' Dir vor es wäre Bundestagswahl und von 48 Millionen Wahlberechtigten gehen 29 Millionen Menschen einfach nicht hin?

Leserinnen am Ufer
Junge Wähler mit Büchern
57 % der Wahl­be­rech­tig­ten ha­ben in Frank­reich ges­tern nicht ge­wählt. Liebe Par­la­men­ta­rier, der Draht zu den Völkern scheint endgültig ver­lo­ren.
Es geht gar nicht um rechts oder links, sondern um die ganz unten. Im Land der Aufklärung und Demokratie-Vorbild für Europa liegt die Demokratie schwerverletzt auf der Intensivstation.

Wollen Sie die Patientin retten? Hier fünf gutgemeinte Empfehlungen:
1. Keine Berufspolitiker. Nach zwei Wahlperioden ist für Abgeordnete Schluss.
2. Diäten deckeln. Das Gehalt der Abgeordneten ist nicht mehr verhältnismäßig.
3. Ämterhäufung unterbinden. Kein Mensch kann fünf Jobs gleichzeitig angemessen meistern.
4. Lobbyisten offenlegen. Kein Zugang für Lobbyisten in die Parlamente.
5. Ohne Transparenz kein Vertrauen. Wenn Videokameras im öffentlichen Raum, dann aber auch in allen Gremien und Parlamenten, ob Kreistag oder Kom­mu­nal­aus­schuss.
6. Mehr Zivilgesellschaft. Mehr Bewegungen in die Parlamente zulassen statt star­rer Gebietsansprüche der Volksparteien.
7. Werte statt Flaggen hochhalten.

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Und jetzt schauen wir noch kurz nach Großbritannien. Dort hat die Brexit-Ent­­schei­dung, die zum Großteil auf ältere Wähler zurückging, offenbar eine neue Ge­ne­ra­tion politisiert, denn 72 Prozent der jungen Leute sind am 8. Juni zu den Ur­nen gegangen. Über die Situation in Großbritannien ("drei Geschichten des Schei­terns"), sein neues Buch, die Rolle der Presse und Veränderungen der Sprache so­wie zum Thema USA äußert sich Englands berühmtester Deutschlehrer. Die Rede ist von John Le Carré. Er sagt über das Sprachenlernen: "Jemandes Sprache zu lernen bedeutet, jemandes Territorium zu betreten. Es bedeutet, dessen Kultur zu ver­ste­hen. Es ist, wie eine Hand auszustrecken."

Hier ausnahmsweise am Montag mein verspäteter "Link der Woche": Marion Löhn­dorf im Gespräch mit Bestsellerautor John le Carré: "Wir müssen Leute wie Trump schlagen, solange sie im Aufstieg sind".

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Foto: C.E.

Sonntag, 18. Juni 2017

Work In Progress (WIP)

Bienvenue auf den Seiten einer Sprachar­bei­te­rin. Wie Übersetzerinnen, Über­set­zer, Dolmetscherinnen und Dolmetscher arbeiten, können Sie hier mitlesen. Meine Arbeitssprachen sind (neben Deutsch) Französisch und Englisch (das Idiom Shakes­peares nur als Ausgangssprache). Heute: Sonntagsbild!

Etliche meiner Dateien enden auf _WIP.docx, was bedeutet, dass etwas noch in Ar­beit ist. Derzeit kommt mir mein ganzes Leben vor wie ein WIP-Programm. Sel­ten waren so viele Baustellen parallel. Daher ist es hier derzeit etwas stiller.

Aquarellfarben, Pinsel, Block
Auf dem Beistelltisch, rechte Illustration vom Februar
Es geht um Dienstreisen, Ein­satz­pla­nung für den Herbst, die letzten großen Aufträge der Saison, das Anschieben derjenigen, die mich vor der Sommerpause beschäftigen werden, Spätfrühjahrsputz in der Wohnung (mit gründlicher Umgestaltung), Sport­pro­gramm (Muckibude!) und der eine oder andere Kleiderkauf, was für mich immer Stress bedeutet.

(Ich glaube, ich kann besser Zeichenutensilien kaufen.) Warum das mit der Gar­de­robe? Die ersten hochoffiziellen Sommertermine stehen an und bislang hatte ich, da Konferenzdolmetschen ein Saisongeschäft ist und uns überwiegend im Frühjahr und im Herbst beschäftigt, vor allem Übergangsmode als Businessdress im Schrank hängen. 

Last but not least steht wie in jedem Jahr einmal die Technikwartung an. Die neue externe Festplatte nervt allerdings. Sie ist super, sehr groß und doppelt im Ge­häu­se, aber ich muss erst lernen, wie sie formatiert wird. Und natürlich stolpere ich über eine total mies übersetzte Bedienungsanleitung.

Zugleich zuckt es mir wieder in den Fingern, ich möchte, wie im Sommer und im Win­ter üblich, an eigenen künstlerischen Projekten weiterarbeiten. Also habe ich mir an einem Marketingtag erlaubt, mit den Aquarellfarben zu spielen. Das Er­gebnis folgt demnächst hier.

P.S.: Auch gewisse aktuelle Themen halten mich vom Bloggen ab. Beim Großfeuer in London war mein erster Gedanke, dass das Material der Wärmeisolierung hier wie ein Brandbeschleuniger gewirkt hat. Fachleute warnen seit Jahren davor. Und auch in Sachen eines großen diese Woche Verstorbenen halte ich viele Nachrufe für zum Teil geschichtsvergessen. Oder liegt es schlicht an meinem Alter?

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Foto: C.E.

Donnerstag, 8. Juni 2017

Fijumpfe

Bonjour, hello und guten Tag! Hier können Sie Innenansichten aus dem Dol­met­scher­all­tag lesen. Ich arbeite mit den Sprachen Französisch (Ausgangs- und Ziel­sprache) und Englisch (nur Ausgangssprache). Bemerkenswert sind manchmal Momente, die nur wir mitgekommen.

Der Raum im Hotel ist für 40 Teilnehmer bestellt, genau 40 Stühle stehen hier an den Tischen. Die Dolmetscher wurden vergessen. Wir werden wieder außerhalb der Kabinenwände tätig, brauchen aber durchaus ein Minimum an Material.

Zum Glück ist für uns ein Betreuer zuständig, Kellner und gute Fee in Per­so­nal­union: Er legt Kabel (und klebt sie ab), schleppt den Tisch und Stühle herbei, bringt Getränke und Zugangscodes zum Internet. Er hilft sogar beim Einloggen. Es ist entzückend: "Hier eintRRRagen. Ich kann voRRRsagen: fijumpfe, nulle, achte, noine!"

Unser Engel stammt hörbar aus Italien. Da Italienisch die Großmuttersprache mei­ner Kollegin ist, plaudert sie ein wenig mit ihm auf Italienisch. Für die nächs­ten Tage erhalten wir durch ihn ein Maximum an Aufmerksamkeit! Mille grazie!

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Foto: wird nachgetragen

Dienstag, 6. Juni 2017

Gekrösë

Hallo! Hier bloggt eine Übersetzerin und Dolmetscherin aus Paris, Berlin und von unterwegs. Ich arbeite mit Französisch und Deutsch sowie aus dem Englischen. An dieser Stelle berichte ich, wie diese Arbeit meine Wahrnehmung von Sprache im Alltag verändert.

RANFORCË BETTWÄSCHE
Gesehen im Kaufhaus
Am Monatsende bin ich mal wie­der auswärts zu einem Lei­der-leider-Einsatz, span­nend, lohnend ... aber nicht unbedingt materiell. Ich su­che mir solche Einsätze sehr gezielt aus, weil ich da­mit auch etwas Marketing ver­bin­den kann.
Untergebracht werde ich von Freunden. Ich weiß allerdings sehr genau, wie deren Som­mer­decke beschaffen ist.

Sie ist nämlich exakt so, dass ich sie, als ich letzten August dort zu Gast war, schnell entsorgt habe. In der eigentlich mottendicht verpackten Plastikhülle mit Reißverschluss wimmelte es nämlich leider. Natürlich habe ich das anschließend den (zwischendurch Abwesenden) mitgeteilt. Und ich weiß auch, dass ich zu die­sem Sommeranfang ihr erster Gast sein werde. Mein Gastgeschenk wird also eine überlange Sommersteppdecke mit passendem Bettbezug sein.

Also suche ich im einschlägigen Fachgeschäft sowie im Kaufhaus nach Bettzeug. Und stolpere über eine sehr hübsche Tafel. Verstärkte Baumwolle ist hier Ge­gen­stand meiner Betrachtung. Ach, wie schreibt man nur nochmal dieses "verstärkt"? Ist irgendwie ausländisch, mit so Gekröse am Vokal, nach oben oder nach unten? Ach, ganz einfach, ein bisschen basteln, so wird's stimmen.

Schon blöd, wenn manche Arbeitgeber ihren Mitarbeitern keinen Zugang zum In­ter­net gewähren. Und ja, es ist etwas aus Renforcé-Baumwolle geworden!

Der Leider-leider-Tarif ist ein Zitat. Die Zeitung taz hat den Begriff eine Zeitlang als Bezeichnung für ihren "Soli-Tarif" genutzt.

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Foto: C.E.

Montag, 5. Juni 2017

Schifffahrt

Bonjour, Sie lesen im Blog ei­ne Sprach­ar­bei­te­rin. Ich über­set­ze und dol­met­sche mit den Ar­beits­spra­chen Fran­zö­sisch (aktiv und passiv) und Englisch (nur Aus­gangs­spra­che). Pfingstmontag und Zeit für die Sonntagsbilder.

Weiter mit dem Sonntag am Kanal, der ein Montag war. Wir haben hier viele Schif­fe und Boote und auch die Nicht-Schiffs­be­sit­zer ge­nie­ßen das. Ein Wort mit drei "F" ... Letzte Wo­che lag der Schwer­punkt auf Men­schen (hoch­kant).

Kanus am Ufer
Privatschiffchen am Ufer
Touristenschiff auf dem Kanal

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Fotos: C.E.

Sonntag, 4. Juni 2017

Pflaumenpfingsten

Hier bloggt eine Übersetzerin und Dolmetscherin für die französiche Sprache (so­wie aus dem Englischen). Ich beschreibe typische Momente der Arbeit, stets unter Wah­rung der in Ausübung meines Berufes erfahrenen Geheimnisse, und denke über Sprache nach.

Rose
Une rose rose (eine rosa Rose)
"Da kannse warten bis Pflau­men­pfings­ten!", sagt Andrea U., Produzentin aus Ber­lin. Sie meint: "Darauf kannste warten, biste grün bist!"

Andrea stammt aus dem Ruhrpott, lebt aber länger in Berlin, als sie sonst ir­gend­wo ge­wesen ist. Und es gibt in ihrem Um­feld etliche Mitarbeiterinnen mit bo­den­stän­di­gem Mutterwitz, wie er typisch ist für Ber­lin.

Na, und woher kommt der "Schnack", wie ein Ham­bur­ger sagen würde, denn nun? Das Netz verweist den Ausspruch aufs Rhein­land: Wör­ter­buch der rheinischen Um­gangs­spra­che.


Der Kopf braucht eine Weile, bis er die Erklärung dafür findet: Pflaumen reifen im Herbst, Pfingsten ist im Frühjahr, die beiden Ereignisse werden nie auf ein- und denselben Termin fallen.

Der Sankt Nimmerleinstag ist ein Verwandter.

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Foto: wird nachgereicht

Donnerstag, 1. Juni 2017

Im Jahresmittel

Welcome, guten Tag, bonjour ... auf den Blogseiten, die in der Dol­­met­­scher­ka­bi­ne und am Übersetzerschreibtisch entstehen. Ich arbeite in den Bereichen Politik, Kultur, Wirt­schaft und Soziales. Meine Arbeitssprachen sind Deutsch, Französisch (Ausgangs- und Ziel­spra­che) und Englisch (meistens nur Aus­gangs­spra­che).

Keep running, lautet die Parole. Gar nicht mal mehr just keep going wie bei Joyce (Ulysses), sondern im Eiltempo geht es hier voran und zur Zielgeraden. Die erste Kongresssaison eines jeden Jahres dauert von April bis Juni, die zweite folgt von September bis November, und wir haben dieses Mal noch einige Wochen bis ultimo.

"Was ist zu tun?"
Nicht immer ist der Weg klar
Ein freundlicher Mensch ruft an, möchte mich mitten in der Saison buchen, bräuchte meine Dienste für zwei Mal eine Stunde an ein- und dem­sel­ben Tag, mit An- und Ab­rei­se sind das vier Stunden. Leider hat er kein Budget. Kein Budget bedeutet hier, die Ausgaben waren nicht eingeplant. Irgendwo fanden sich noch 120 Euro an (ob netto oder brutto ist unklar).

Würde ich an exakt diesem Tag im Haus gegenüber sitzen, sagen wir mal in der Film­bi­blio­thek am Potsdamer Platz, und ginge es somit lediglich darum, einmal quer über den Platz zu gehen, wäre der dieser Kunsteinsatz gar kein Problem. Nun ist dieser Tag stark nachgefragt und ich maile jetzt die Kolleginnen durch, ob even­tu­ell jemand von uns an diesem Tag eine Bibliotheksrecherche geplant hat (die Staatsbibliothek ist um die Ecke).

Ich versuche das meinem Kunden zu erklären. Zum Glück habe ich es mit einem Freiberufler zu tun, er kann es halbwegs nachvollziehen, naja, wohl auch nicht ganz. Ich muss ein Beispiel nennen, einen Monat, in dem ich so gut wie gar keine Umsätze hatte. "Und diese Zeiten kompensiere ich eben in der Hochsaison."

Drehen wir es anders: Ein Hotelier hat wunderschöne Zimmer zum Meer hinaus, die Sommerhochsaison dauert drei Monate, hinzu kommen zwei mal zwei Monate Vor- und Nachsaison (oder etwas in der Größenordnung). Das Hotel zieht das ganze Jahr über Kosten nach sich: Grundsteuer und Versicherungen, Mitarbeiter, Heizung, Instandhaltung und was derlei Ausgaben mehr sind. So ist es auch ihm vermutlich eher nicht möglich, im Hochsommer für ein Sechseinhalbtel des Saisonpreises seine Buden zu vermieten, zumal diese Anfragen in Konkurrenz zu Vollzahlerkunden ste­hen.

Hab mir das so nicht ausgesucht und kann auch nichts dafür.


P.S.: Die Zeiten zwischen der jeweiligen Hochsaison ge­hö­ren Übersetzungen und kreativen Projekten, wozu auch die sprachliche Mit­wir­kung an Nach­wuchs­film­projekten zählt.
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Foto: C.E.