Zeichnen als Entspannungstechnik |
er Frühling naht in Riesenschritten! Es wird morgens jetzt deutlich früher grau als noch vor einem Monat! Und die Abendrunde müssen wir nicht mehr in der Mitte des Nachmittags gehen, sie rutscht langsam in Richtung späterer Nachmittag.
Arbeit diese Woche: Elf Stunden Dolmetschen für einen Stammkunden und Übersetzungsarbeit, Privatkorrespondenz und Filmexposé für eine Berlinaleteilnahme.
In Pandemiezeiten dolmetsche ich überwiegend konsekutiv. Den Kunden, ein trinationales Konsortium, begleite ich jetzt im vierten Jahr, bin also über viele Abläufe auf dem Laufenden. Daher berechne ich keine Erschwerniszulage wegen der stark ermüdenden Onlinearbeit.
Mein POV: Hinter der Besprechungsraumsoftware ist die Tischvorlage |
Positiv ist auch, dass das Team gut auf mich aufpasst. Ich arbeite hier allein (wie bei Konsekutivdolmetschen üblich). Das Team gönnt mir Pausen, es wiederholt geduldig, falls was nicht durchkam oder klar war, und es gibt bei etlichen Sitzungen auch einen bis zwei Mehr-oder-weniger-Zweisprachige im virtuellen Konferenzsaal, die mir in Zweifelsfällen weiterhelfen, Vokabeln zuschieben (was sonst die Aufgabe einer Kollegin wäre), Dinge klar reformulieren. Denn einige dieser Sitzungen waren Aktionärsversammlungen, da muss ich mich noch weiter einlernen.
Sonst habe ich verstärkt dem Sofa gefrönt, mich ausgeruht, gelesen oder Hörbüchern gelauscht, denn solche Hirnhöchstleistungen sind nur mit ausreichend Ausgleich möglich.
Ach, wie schön es doch ist, ein gemütliches Zuhause zu haben.
Noch eine Pixelskizze |
"Unser" "Hausbahnhof" Schönleinstraße ist berühmt-berüchtigt.
Das Wort "Geisterbahnhof" war mal anders belegt |
Nahezu die ganze Stadt kennt ihn als Aufenthaltsort von Drogenabhängigen und Obdachlosen. Die Hilflosigkeit von Bezirk und BVG spricht Bände; gerade Letztere reißt lieber Witze als sich selbst am Riemen. Links das Beispiel der "Sympathiekampagne" vom letzten Herbst.
Seit Jahren werden immer wieder Anläufe unternommen, den Bahnhof zu renovieren, aber nichts wird wirklich verbessert. Mit Jahresbeginn wurde er fast ein wenig illegal, denn ab 2022 sollte der öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) in Deutschland eigentlich durchgehend barrierefrei sein, so zumindest eine UN-Konvention zur Stärkung der Rechte Behinderter, die auch von Deutschland ratifiziert wurde. Und genau das ist er natürlich nicht, sondern auch für Fußgänger eine Zumutung.
Schon vor Jahren verglich ein Tagesspiegelleser diesen Bahnhof mit "Hieronymus Boschs Gemälde von der Hölle". Und ja, der Urheber dieses Zitats, Jefferson Chase, übrigens ein Übersetzerkollege, hat recht. Einmal bin ich beim Reinkommen und etwas zu scharfem Um-die-Ecke-Biegen auf halber Höhe fast in ein Junkielager hineingestolpert, das in einer Ecke aufgeschlagen wurde: Pappe und Taschen am Boden, einer bindet sich den Arm ab, ein anderer erhitzt etwas auf einem Löffel, den er über das Feuer eines Feuerzeugs hält, zieht es auf eine Spritze. Seither gehe ich dort in großen Bögen.
Der Geruch in dieser Unterwelt war schon immer infernal. Die FFP2-Masken helfen ein wenig. Ich kenne Familien, die deshalb den Kiez meiden.
Ich finde es unverantwortlich von der Politik, dass sie in Sachen Obdachlose nicht schon seit Jahrzehnten aktiv wird. Es gibt ein Menschenrecht auf Wohnen, und die aktuelle Lage kostet unter dem Strich doppelt so viel Geld (durch Sozialarbeiter, Notunterkünfte, medizinische Kosten, Polizei, Knäste), als den Obdachlosen Wohnungen zu geben. Ich verweise (erneut) auf das sehr erfolgreiche Programm "Housing first", wo, wie der Name besagt, mit dem Wohnen angefangen wird. Und durch gute Begleitung werden Existenzen stabilisiert, die Ausfallquote ist gering.
Bei einer der der Aktionärsversammlungen dieser Woche war auch die Rede von ihrer Betreuung. Einer der Deutschen freute sich, mit Clochards ein französisches Wort zu kennen. Ich musste ihn enttäuschen. Der Begriff gilt inzwischen als romantisierend, in Frankreich ist von SDF die Rede, sans domicile fixe, ohne festen Wohnsitz. (Und wir sind inzwischen alle so vertraut miteinander, dass ich als Dolmetscherin sowas kurz beisteuern darf.)
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Illustrationen: BVG und C.E.
POV: Point of view (Blickrichtung der Person)
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