Freitag, 3. September 2021

COVIDiary (374)

Was und wie Über­set­zer und Dol­met­scher arbeiten, können Sie hier mitlesen. Die meis­ten von uns sind Frauen, also Dol­met­scherinnen und Überset­zerinnen, und Festanstellungen sind die Ausnahme. In der Coronazeit ist Selbständigkeit nicht unproblematisch. Und dann kommen weitere Probleme hinzu.

Auf deutschen Baustellen herrscht Materialmangel, vor allem Holz ist schwer zu bekommen. Das liegt unter anderem an den Großbränden in den USA der letzten Monate und Jahre. Alte Kauf­optionen mit diesem nordameri­kanischen Staat, aber auch mit China, werden jetzt gezogen. Kurz: Holz geht in großem Umfang nach Über­see. Es wird auch deshalb immer teuerer, weil der Borken­käfer vielerorts zu­ge­schla­gen hat. Weitere Liefer­ketten drohen zu brechen.

Lieferkette

Nun fühle ich mich selbst als Teil einer solchen Kette. Meine Probleme wa­ren und sind: Quaran­täne und Eisen­bah­ner­streik.

Dieser Zug endet hier
Nicht wegen des Streiks bin bin ich dieses Jahr nicht als Mo­de­ra­to­rin und Dol­met­sche­rin in Schwe­rin beim Film­­festival, sondern aus privaten Grün­den. Vom "Home office" aus mache ich gerade halb­stun­denweise das Back office von Kol­le­gin­nen, die nicht oder nur schwer zu ihren Einsätzen kommen.

Ein Bahnfüh­rer­streik mitten in einer Pan­de­mie, diese Idee finde ich nicht nahe­lie­gend. Bahn­rei­sende sind angesichts der deutlich an­stecken­deren Delta-Variante, die auch Ge­imp­fte verbreiten können, auf viel Luft in den Wagons zwischen sich und den Mit­men­schen angewiesen. Und jetzt das: Der Zäh­lung einer Kollegin zufolge fuhren von zehn Zügen, die infragegekommen wären, gerade mal zwei. 

Entsprechend gestopft waren die Züge. Sie machte auf dem Absatz kehrt, mietete einen Wagen an. Das kann nicht jede(r), nicht alle besitzen einen Führe­rschein. Das hatte Aus­wir­kun­gen auf die Arbeit: Vorbereitungsmaterial, das kurz vor knapp ankam, konnte nicht mehr bearbeitet wer­den; eine andere Kollegin kam total genervt vom Stra­ßen­ver­kehr am Ziel an. Wir aber müs­sen völlig entspannt sein bei unseren Ein­sätzen.

Pandemiegeschehen

Ich ziehe den Fokus auf, weg von der eignen Betrof­fenheit. Menschen sitzen enger im Zug, das In­fek­tions­ge­sche­hen wird angeheizt, es kommt zu mehr Infizie­rten, Er­krankten, Lang­zeit­er­krankten und Toten. Ärztinnen und Ärzte, Pflegepersonal und Rei­ni­gungs­kräfte bekommen vermeidbare Zu­satzarbeit aufgebrummt.

So richtig ich gesellschaftliches Engagement und auch Ar­beits­kampf finde, so fatal ist das zur falschen Zeit. Hier wird auf dem Rücken vieler unter Ausblendung der Gefahren für die In­ter­es­sen einer kleinen Gruppe gekämpft.

Zu­rück ins Konkrete: Eine Netzwerkkollegin konnte diese Woche aufgrund des Streiks einen drei­tägigen Einsatz im Süden Deutschlands nicht an­tre­ten, denn mit einer Vor­er­kran­kung wird sie sich nicht auf eine Fahrt ohne "Hy­gie­ne­pro­tokoll" einlassen. Und Fliegen darf sie aus den gleichen Gründen nicht.

Sie hat den Einsatz an eine Kollegin wei­ter­ge­ge­ben, die in der Nähe wohnt. Statt nach an­dert­halb Jahren mit sehr geringem Ein­kom­men endlich mal wieder ar­bei­ten zu können und dabei auch ihren Vater wie­der­zu­sehen, der dort lebt, sitzt die Berliner Dolmetscherin zu Hause.  

Plan B

Diese "Grundversorgung" ist eine Zumutung

Andere Kol­le­gin­nen erreichen ent­le­gene Arbeits­stätten nicht, einiges wird zurück ins Netz verlagert. Oder aber sie müs­sen für einen Inlands­flug ins Flug­zeug steigen, was sie aus Um­welt­grün­den ei­gent­lich nie wieder machen wollten. 

Co­ro­na­fol­gen: In man­chen Teilen der Ge­sell­schaft schwin­det die Soli­da­ri­tät mit anderen.

Links, was die GDL derzeit so zu­lässt.


Vokabelliste

Lieferkette, die — chaîne (f) de distribution / d'approvisionnement
Borkenkäfer, der — scolyte (m), bostryche / bostriche (m)
Arbeitskampf, der — conflit social (m), grève (f)
Entsolidarisierung der Gesellschaft — recul (m) de la solidarité sociale
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Foto:
C.E. (Archiv) / Die Bahn

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