Sonntag, 20. September 2015

Ehrenamt?

Hallo! Hier bloggt ei­ne Dol­met­scher­in. Die Saion ist gestartet, das Wo­chen­en­de gehört der Er­ho­lung. Theoretisch. Denn mein Engagement in der Flücht­lings­hil­fe ist ja auch noch da. Also Kriseninterventionstherapie an einem Samstag, dabei kratzt der Hals und der Denkapparat will Ruhe. Sonntag gestalte ich ein Col­­lier und genieße das ländliche Groß­stadt­le­ben, hier die Sonn­tags­bil­der. Und hö­re in der Küche den "ARD-Presseclub" sowie die "Nach­ge­fragt"-Sendung auf Phoenix. Leider muss ich da widersprechen.

In der Fragerunde wurde behauptet, dass die derzeitige Situation hohe Kosten für Anwälte und Dolmetscher auf EU-Niveau auslösen würde.

Draufsicht auf Hofgarten: Ein Spätsommertag in der Stadt
Un dimanche à la campagne
In Bezug auf uns Dolmetscher ist der Satz falsch. Das Gros von uns Profis arbeitet eh­ren­amt­lich, z.B. in der psy­cho­lo­gi­schen Krisenintervention oder in Krankenhäusern.

Für diese Arbeit wurden wir in den letzten Wochen und Mo­na­ten nicht entlohnt, denn ein sol­ches Angebot wird durch die Verwaltung nicht regelmäßig angeboten.

In der Erstaufnahme helfen fast nur ehrenamtlich tätige Laien beim Übertragen der Gespräche. Hier geht es um Fra­gen zur Reise, zum Herkunftsland, zu Es­sens­zei­ten, Telekommunikation und Unterkunft.

Auch große offizielle Institutionen verpflichten immer häufiger Laien. Das führt nicht selten zu gravierenden  Problemen. Es sind nach Aussagen von Ärzten, die das bislang nur unter der Hand berichten, bereits Menschen gestorben durch un­zu­rei­chen­de Ver­dol­met­schung. Ich selbst habe erlebt, wie es beinahe zu Ab­schie­bun­gen ge­kom­men ist, weil in früheren Phasen des Asylverfahrens "über­set­zen­de" Nichtprofis beteiligt waren oder man sich mit "Englisch" beholfen hatte bzw. mit dem, was beide Seiten dafür gehalten haben.

Viele von uns Profis waren im auftragsarmen Sommer und in der großen „plötzlich“ auftretenden Notsituation gerne unentgeltlich aktiv. Ich selbst habe meinen Urlaub mehr als halbiert dafür. Aber unsere Zeit ist begrenzt. In den Herbst­mo­na­ten und im Frühjahr/Frühsommer finden die meisten Kongresse statt, dann muss un­ser­ei­ner in wenigen Monaten seinen Jahresumsatz generieren. Regelmäßige Be­treu­ung von Traumapatienten in einem geschützten, verlässlichen Verhältnis ist so nicht möglich, aber ein humanitäres Gebot. Und vermutlich können nur wir als ei­ne der füh­ren­den Wirt­schafts­na­tion­en derlei leisten. In den Anrainerstaaten Sy­riens gibt es allenfalls Überlebenshilfe, aber keine Begleitung der oft mehrfach trau­ma­ti­sier­ten Patienten. Eine Finanzierung der Arbeit wäre also wichtig. Übrigens waren bis­lang auch viele Therapeuten ohne Entgelt tätig.

In Deutschland leben noch viele Menschen, die der letzte Weltkrieg traumatisiert hat und die wissen, wie wichtig Hilfe und Menschlichkeit sind. Es gibt keinen Grund, den Kriegsflüchtlingen von heute die professionelle Hilfe, die unsere Vor­fah­ren im zerbombten Deutschland nicht erhalten konnten, zu verweigern.

Entwurf des Perlenhalsbandes
Die Hälfte bis zum Mittelstein
Denn Geld ist vorhanden. Den menschlichen Teil der Arbeit auf den Schultern von Eh­ren­amt­li­chen abzuladen und parallel dazu hohe Summen an dubiose Firmen zu zahlen, die als Teil der Not­be­her­ber­gungs­in­dus­trie mit schlechten Standards, miserablem Essen etc. Unsummen an Gewinnen erzielen, ist ein übler Miss­stand, der seit Jahren be­kannt ist.

Ein Blick in die einschlägige Berichterstattung über diesen boomenden Markt ge­nügt (z.B. bei Frontal21 oder der Welt). Es wäre schön, wenn die Politik hier end­lich aktiv würde. Zur Not müs­sen wir Sprach­ar­bei­ter nach­hel­fen und gegen den Missbrauch von Steu­er­gel­dern klagen.

Bislang sind wir von den Behörden mit unserer Arbeit kaum wahrgenommen wor­den. Der blinde Fleck hat System. Das Wort „Ehrenamt“ beinhaltet eine gewisse Anerkennung. Für uns Frei­wil­lige schwingt leider inzwischen eine bittere Note der Verachtung mit, wenn es im Zusammenhang mit der Betreuung von Kriegs­flücht­lin­gen ausgesprochen wird. Und das geht vielen Helfern so, auch jenen, die sich um andere Dinge als die Sprache kümmern.

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Fotos: C.E.

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