Hallo! Sie lesen hier im Arbeitstagebuch einer Dolmetscherin und
Übersetzerin für die französische Sprache, die in den Bereichen Politik,
Wirtschaft, Kultur und Bildung tätig ist. Heute spreche ich recht offen über eine schwierige Dolmetschsituation. Da der Redner sehr offen damit umgegangen ist, nenne ich hier den Ort des Geschehens, der ein Lernort ist: das Info-Café des deutsch-französisches Jugendwerks.
"Der Redner meinte es also doch ernst", denke ich erschrocken, als er nach der Begrüßung durch den Hausherren anfängt zu sprechen.
|
Einleitende Worte von Dr. Markus Ingenlath (DFJW, Berlin) |
Dass ich eigentlich schon in den ersten Minuten intervenieren und um ein gemäßigteres Tempo bitten müsste, gibt mir ein ungutes Gefühl. Dass ich allein mit dem Flüstermikrophon am Saalrand stehe, ein Dutzend Zuhörer haben sich die dazugehörigen Kopfhörer geben lassen, macht die Sache nicht erfreulicher.
Wir Dolmetscher bitten übrigens selten um Mäßigung.
Verbale Gewehrsalvenfeuerer ermüden uns schneller als normale Redner, also wechseln wir uns häufiger ab, wenn es sein muss, alle zehn Minuten. Die zweite Kraft in der Kabine schreibt immer wesentliche Informationen auf, Jahreszahlen, Daten, Orts- und Eigennamen, so lassen sich auch Sorgenkinder verarzten. Aber hier ... siehe oben.
Schon bei der Vorstellung hatte ich dem Vortragenden erklärt, mich notfalls gut sichtbar in seine Sichtachse zu setzen, in der ersten Reihe ist ein Platz für mich reserviert, damit ich ihn durch meine Präsenz an ein gemäßigtes Sprechtempo erinnern kann. Darauf hat der gute Mann nur gelächelt gemeint, alle Dolmetscher würden ihn hassen, er lege stets TVG-Geschwindigkeit vor und stelle nie Notizen zur Vorbereitung zur Verfügung, da er frei spreche.
Irgendwie war da noch ein Augenzwinkern dabei. Das sich dann leider als Irrtum herausstellte. Die einleitenden Worte habe ich noch von der Seite her verdolmetscht, kurz darauf sitze ich dann wirklich in der ersten Reihe, direkt vor ihm. Mehr Sichtachse und lebendes Dolmetschermahnmal geht nicht.
Leider ganz ohne Reaktion ... So fällt bei meiner Verdolmetschung jeder vierte oder fünfte Satz weg, manchmal muss ich auch Teile zusammenfassen, denn die Sprechweise des Herren begreife ich zum Glück schnell: Er liefert seine These, gibt Beispiele, ordnet ein, grenzt ab, wobei leider mancher Autoren- und Ortsname unter den Tisch fällt, besser gesagt, ich nur das in die andere Sprache bringen kann, was ich kenne oder zu dem ich aus Gründen der Grammatik nah genug am O-Ton dran bin, dann klappt es mit der Übertragung; was allerdings durch die Zeitverzögerung, die beim Dolmetschen oft entsteht, zu weit ins Hintertreffen gerät, muss leider wegfallen.
(Mehr als eine rhetorische Frage: Woran erinnern Sie sich jetzt noch bei diesem langen Satz? An den Satzanfang? Zum Glück stand das Verb nicht erst am Satzende. Aber so hellwach, wie Sie gerade beim Lesen des Bandwurmsatzes sein mussten, so hellwach müssen wir Dolmetscher die ganze Zeit sein.)
Der Redner spricht mit einer gewissen Redundanz; er wiederholt schleifenartig frühere Thesen und Einordnungen, baut Überleitungen, gibt gelegentlich einen Überblick. Das hilft mir sehr, es beruhigt mich auch, so dass ich das Gefühl bekomme, eine ordentliche deutsche Fassung abzuliefern.
Trotzdem bleibt ein wenig Unzufriedenheit übrig. Gegen Ende des zweiten Drittels empfinde ich seine Gedanken als nicht so glasklar wie eingangs, da gerate ich ins Schlingern, bin mir zwei oder drei Mal unsicher, ob ich ein passendes Satzende erwischt habe. Oder ist es einfach nur die Ermüdung nach 30 Minuten? Hier fehlt mir plötzlich die "Hinterbandkontrolle", das Mithören des eigenen Outputs und, wenn nötig, das Korrigieren. Am Ende gibt es noch Fragen und Antworten, endlich nimmt das Tempo ab ... Nach einer Stunde ist die Prüfung vorbei, als die mir mein Beruf einmal mehr vorgekommen ist.
Ein verdolmetschter Vortrag ist immer Teamarbeit, in der Kabine, wenn es eine gibt, und zwischen Redner- und Sprachmittler. Freundlich und bestimmt versuche ich, mit dem Redner anschließend ins Gespräch zu kommen. Was ich sage, scheint er zu kennen. Was er sagt, klingt auch bekannt. Er entwickle seine Texte oft sprechend, und probiere gewisse Ideen und Argumentationen so lange aus, bis sie reif zur Niederschrift seien. Das habe ich erst vor kurzem
in Schwerin mit einer eigenen Textentwicklung so erlebt, das klingt vertraut.
Redner, Dolmetscherin und Gäste haben den Ort der Veranstaltung längst verlassen, da fällt mir eine gute Lösung ein, die ich meinem Redner mitteilen werde. Wie wäre es, wenn er Mind Maps von seinen Themen zeichnen würde? (Und diese dem jeweiligen Sprachmittler vorab zur Verfügung stellen würde?)
|
"Gedankenlandkarte" |
Die Kernthese in der Mitte, die vier Unterthesen links, jeweils mit Verästelungen für Belege, Orts- und Eigennamen, Buchtitel und Jahr der Veröffentlichung, die Veränderung der Situation durch die Zeit rechts, als Spiegelung der linken Seite, und unten Konsequenzen und Ausblick ... oder aber die verschiedenen Epochen im Uhrzeigersinn um die Fragestellung herum angeordnet.
Da ist vieles denkbar, wobei sich die jeweilige Logik durch eine Legende rasch vermitteln lässt.
Mit einer solchen Grafik weiß unsereiner, wo sich der Redner jeweils befindet, welchen Punkt er beschreibt, kann Namen und Zahlen ablesen und weiß auch, auf welche Generalthese der Vortrag zusteuert. Mit einem solchen Dokument wird das Tempo zwar nicht weniger schnell, aber es stört dann nicht mehr so sehr, wenn es darum geht, sich auf das wesentliche zu konzentrieren.
P.S.: Zusammen mit einem Fachmann in Sachen richtiges Atmen biete ich auch Rednerschulungen an.
______________________________
Illustrationen: WikiCommons und C.E.