Mittwoch, 19. März 2008

Ins Off gesprochen

Ob geplant oder zufällig: Sie sind mit­ten in ein Ar­beits­ta­ge­buch hinein­ge­ra­ten, in dem sich al­les um Spra­che, Dol­met­schen, Über­setzen und Kult­uren dreht. Als frei­be­ruf­li­che Sprach­mitt­lerin ar­bei­te ich in Pa­ris, Berlin, Toulouse, München und dort, wo man mich braucht.

Einst, es ist schon sehr lange her, deshalb darf ich wohl darüber schreiben, denn etliche der hier Handelnden weilen nicht mehr unter uns, einst hatte ich mal eine echte Ber­ühmt­heit zu dolmetschen. Ich war vor Ort, sah den Star — und doch kam alles anders. Weil nichts Schockierendes passiert ist an diesem Tage, kann ich's hier ebenso 'ins Off sprechen'.

Der ausländische Gast — es ist unwichtig, ob es sich um einen Mann oder eine Frau handelt, daher bleibe ich jetzt bei "der Star" — feierte einen ziemlich runden Ge­burts­tag. Mit öffentlichen Geldern war ein Empfang finanziert worden, es gab Champagner und Häppchen und Blumen und Buffet. Es gab eine Dolmetscherin, mich, und es gab das Protokoll.

Mit dem wurde schon am Vorabend alles genau besprochen: Wer kommt wann, redet wie lange, wieviele Mikrophone werden benötigt, was wird gedolmetscht usw. Meine Sorge galt der Überfülle der Redner und der quantitativen Erwähnung des runden Ehrentages. Ich gab zu bedenken, dass derlei im Kulturkreis des Gastes eher nicht so üblich ist.

Am Tag der Veranstaltung, genauer: eine Stunde zuvor, redete das Protokoll wieder mit mir, insgesamt drei Menschen. Ich kam auf die Sache mit dem runden Ehrentag zurück, man sagte mir zu, voraussichtlich den Anlass der kleinen Fei­er­stunde nicht weiter erwähnen zu wollen. Wir waren schon am Ort künftigen Geschehens und standen nach getaner Beredung wie einbestellt und nicht abgeholt rum, zupfelten uns die Garderobe zurecht, zogen Lippenstift nach, ar­ran­gier­ten noch ein paar Blumen neu. Es waren diverse Honoratioren an­ge­kün­digt und auch Regierende.

Dann kam der Tross herein, von Blitzlichtgewitter angekündigt und begleitet, der Star in seiner Mitten. Es war Winter. Ich wurde dem nicht wirklich gutgelaunten Star kurz vorgestellt. Er nahm keine Notiz von mir, warf mir seinen Mantel in die zum Gruß ausgestreckte Hand.

Auf der Bühne standen zwei Mikrophone mit Ständer. Die Assistentin des Stars peilte die Lage, verstand — und rückte eines in den hinteren, seitlichen Bereich. Jetzt konnte der Star sprechen. Tat es ausgiebig, schillerte vor Ber­ühmt­heit, strahlte in die Runde. Sprach erst die zu seiner linken an, dann die in der Mitte, dann die rechts Stehenden.

Ich wartete am beiseite gestellten Mikrophon, mit Argusaugen von der Assistentin überwacht, auf dass ich von dort auch keinen Zentimeter in Richtung der Ber­ühmt­heit weiche. Machte mir Notizen, so gut es ging. Hätte gerne zwischendurch mal eine Partie übertragen, doch das Publikum vermochte zum Glück, die leichte aufkommende Unruhe höflich zu kaschieren.

Zugleich stieg in mir Angst hoch: Wie bitteschön soll ich DAS übersetzen? Die in meine Richtung gesprochenen Worte waren gut verständlich, denn sie bedurften keiner Übertragung, die zur Mitte wurden exzellent verstärkt, und als der Star nach rechts schaute und sprach, wo er gerne ein wenig verweilte, weil dort sich die Wichtigen unter den weniger Berühmten ballten, da verstand ich nun rein gar nichts mehr. Denn das Mikrophon stand stets dort, wo es das Protokoll hingestellt hatte: zentral. Um's kurz zu machen: alle Satzteile, die nach rechts — für mich 'ins Off' — gesprochen waren, fehlten. Waren weg, verschluckt von den Körpern der Angesprochenen, der Fülle diverser Blumengebinde aus kunstvoll tätiger Gärt­ner­hand, verschluckt von den Falten des ebenso kunstvoll drapierten, schweren Vor­hang­stoffs.

Mir brach der Schweiß aus. Wie aus diesen bruchstückhaften Notizen gleich ein kohärentes Ganzes bauen, das dem Ori­gi­nal entspricht? Ich vergaß zu erwähnen, dass mindestens ein Drittel des Publikums meiner Dienstleistung gar nicht be­durf­te, weil es die Sprache des Gasts sprach — oder ohne­hin selbst mehrsprachig war: hohe Funktionäre aus den Be­rei­chen Kultur, Politik, Vertreter des Volkerverständigungs-Business, Menschen, die keinem Broterwerb nachgehen müssen und die ich al­len­falls von den Titelblättern der Arztgazetten kenne.

Aus der Notlage befreite mich ein kompakt gebauter, jovialer Politiker, den das hohe Amt ebenso gut kleidete wie bestes Tuch, er selbst diverser Fremdsprachen gar nicht so mächtig. In charmant brüchigem Englisch sprach er zu mir und ins Mikro und sagte, diese reizenden Worte hätten ja wohl alle verstanden und der Star möge es ihm verzeihen, dass er seine Sprache nicht spreche und daher jetzt anstatt weitere Toasts auszubringen lieber auf Englisch zum Wesentlichen schreite, dem Gabentisch hinter einem der schon erwähnten Vorhänge, fernab des Mi­kro­phon­stän­ders, man hätte sich nämlich anlässlich dieses nicht näher zu be­nen­nen­den Ehrentages einiges einfallen lassen. Und ähnlich wie der Weihnachtsmann, denn es war ja Winter, fing er an auszupacken, dies noch und das noch und die Gespräche wurden zunehmend privat und alle, alle waren's zufrieden.

Ich auch.

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Sach mal, liebe Caro,

die Story klingt partiell bekannt, war das die, von der Du auf Annettes Geburtstag (WM-Endspiel) so Andeutungen gemacht hast?

Ganz schön schräg, "Euer" Filmmilieu. Mein Männe kommentierte es mit: "Hättse Mantel fallen gelassen, wär der Respekt gekommen!" Meint: Wer die Kleiderständerei mit sich machen lässt, durch den wird in der Folge hindurchgesehen wie durch 'nen Kleiderständer. Klingt hart, isses auch. Männes Managementpose vergisst, dass "wir Dolmis" auf Dienstleistung programmiert sind. Wie schwer wiegt da ein Mäntelchen?

Dennoch, irgendwie bedenkenswert, sein Einwurf.

Aloha bald wieder in Berlin,
liebe Sonntagsgrüße,
Tine

caro_berlin hat gesagt…

Ja, Tine, die war es. Und heute bin ich traurig.