... mancher „Agenturen“ nerven nur noch. Solche Firmen möge bitte der Erdboden verschlucken! Heute: 85,66 Prozent Provision! Und es geht noch schlimmer. Das Thema braucht Aufmerksamkeit.
Hello, bonjour & hallo auf den Seiten meines Weblogs. Den Arbeitsalltag einer Dolmetscherin finden Sie seit bald 20 Jahren auf diesen Seiten skizziert. Meine Muttersprache ist Deutsch. Ich arbeite überwiegend mit Französisch und aus dem Englischen, und ich übersetze auch.
Gestern Mittag landet eine WICHTIG-EILT-SOFORTIGE-VORLAGE-Mail in meinem Postkasten.
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| Ein echtes Beispiel |
Ich habe links alles unkenntlich gemacht, was die Firma verrät, nur sie selbst könnte sich erkennen. Der Vorgang ist symptomatisch: Eine englische Limited, die Sachbearbeiterin sitzt in der Republik Moldau und ruft mich später noch mit einer belgischen Telefonnummer an. Bei der Gründung der Firma 2002 hat vielleicht der belgische Markt im Fokus gestanden. Es gibt mehrere Länderfilialen; in mindestens vier Ländern mit guten Hauptstadtadressen.
Ich antworte knapp: 150 Euro die Stunde, die Anfahrtszeit zählt zu 100 Prozent, CV: Studium in Paris und Berlin, 20 Jahre Berufserfahrung.
Normalerweise fragen unsereinen die Verteidiger direkt an.
Dann rechnen wir dem Staat gegenüber nach JVEG ab, dekliniert: Justizvergütungs- und Entschädigungsgesetz, es sieht 93 Euro die Stunde vor. Die Fahrtzeit zählt mit. Berechnungsgrundlage ist schlicht der ganze Zeitraum, in dem unsereine/r nicht am Schreibtisch sitzen kann. Logisch, oder?
Werde ich hier privat angefragt, weil Geld vorhanden ist, oder weil der Termin schon morgen ist? Oder hat die Agentur den Auftrag über ein Gericht ergattert? Denn immer mehr Geschäftsstellen der Gerichte lagern die Arbeit aus, zum großen Leidwesen der auf Recht spezialisierten Kolleg:innen, das kritisieren auch Verbandskolleg:innen vom ADÜ Nord. Wird die Firma wie so oft 30 bis 50 Prozent des ohnehin nicht so üppigen Honorars für sich beanspruchen (verglichen mit den vielen Studienjahren, der Einarbeitungszeit, die nicht vergütet wird).
Exklusiv hat die Agentur die Informationen nicht, mich erreichen an diesem Tag zwei fast wortgleiche Anfragen. Mit der einen Agentur kommuniziere ich nicht einmal. Vielleicht stammt das Bild da oben auch von der anderen Anfrage, ich lösche immer sehr schnell. Aber die anonymisierte Firma fischt im gleichen Becken.
Wenig später erhalte ich das, was ich als Bettelmail beschreiben würde: Es gebe nicht so viel Geld, ich möge meinen best price nennen. Und mein CV ausführlicher!
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| „Die Autorin dieser Zeilen“ |
Der „beste Preis“, Begriff aus dem Englischen, ist so ein dummer
Begriff für einen „Minimalpreis“. Ich antworte: 149 Euro pro
angefangener Stunde. Fahrzeit zählt mit.
Ob 40 Euro auch reichen würden, und die Fahrzeit bitte nicht berechnen! Gebettelt wird jetzt am Telefon. Und der Lebenslauf wäre auch wichtig!
Großer Zeitdruck und Appel ans Helferherz sind typisch für solche Vorgänge. Hauptsache, wir haben keine Zeit fürs Nachdenken.
Ich denke nach. Mit zwei Stunden Fahrtzeit und einer Stunde vor Ort ließe sich hier legal 279 Euro abrechnen. Falls jetzt jemand denkt „boah, ej, die Dolmetscher:innen nutzen den Staat aus, sie verdienen Geld damit, dass sie U-Bahn fahren!“, hier die Erinnerung: Diese Fahrzeitabrechnung kompensiert die nicht vergütete Vorbereitungszeit. Ich rechne den großzügigen Satz von 40 Euro Honorar mit der Summe gegen.
Die Agentur möchte mir großzügige 14,34 Prozent von dem von mir generierten Umsatz als Arbeitsentgelt abtreten. Das sind Nettozahlen. Was hier noch mit der Umsatzsteuer gemacht werden kann, habe ich nicht auf dem Schirm. Wer weiß, vielleicht gibt's auch Erstattungen nicht gezahlter (Umsatz)Steuern ähnlich wie bei Cum-Ex oder Cum-Cum.
Sorry, aber der Knacki muss ohne Hilfe von Vollprofis auskommen. Vielleicht gibt es ihn auch nicht und es wurde nur versucht, die Liste der Lebensläufe auf der Firmenfestplatte ein wenig länger zu machen, ggf. für Bewerbungen bei echten Ausschreibungen. (Das ist keine Vermutung, es gibt Präzedenzfälle ... im Plural!)
Denn eines stimmt hier garantiert nicht: „keine Voraussetzungen“. Hier ist mindestens eine Beeidigung nötig.
Aber hier sehen bzw. lesen Sie beispielhaft, mit was für Problemen wir so zu kämpfen haben: Da sind die KI-Nerds, die unsere Arbeit „allein von der Maschine gemacht“ zu verkaufen versuchen (die KI kann's nicht), dazu irgendwelche dividendezentrierte Firmen, die mit Spracharbeit dealen, weil da anders als bei Schrauben oder Fast Food weder Transportlogistik noch Lagerräume nötig sind.
Andere Anfragen, seit die Dolmetschsaison zuende ist: Korrektur von Transkriptionen, die die KI erstellt hat, geht ausdrücklich nur an Muttersprachler:innen, der Endkunde sitzt in Deutschland, die Agenturmutter in Indien. Das erinnert mich an einen Fall, der wegen der Pandemie nicht weiter verfolgt worden ist. Diese Agentur hatte damals, um seriöser zu wirken, einen Schreibtisch in Berlin in einem Coworking Space angemietet und dort auch potenzielle Kunden empfangen. Das Schild mit dem Coworking war in der Zwischenzeit überklebt. Gast war u.a. der Produktionsleiter der Firma einer bekannten deutschen Talklady, die auch Dokumentarfilme produziert.
Damals ging es um Transkription noch ohne KI. Wer den Aufwand kennt, ahnt die Marge zwischen dem guten deutschen Preis fürs Paket und den 1,95 Dollar pro gearbeiteter Stunde. Für das Ausrechnen des Prozentsatzes bin ich zu müde. Er war einstellig. Aufruf an die Talklady: Machen Sie was zur KI, die Berufe killt!
Die Sache mit den Agenturen könnte auch auftauchen im Sinne von: Es kommt ja nicht plötzlich und es bleibt tückisch, das sofort zu erkennen.
Die Firma aus dem Coworking bietet auch an: Untertitelung, Voiceover, Audiofilm, Übersetzung für Synchron. Frage an alle Beteiligten, an die Produktionsfirmen, Regisseurinnen, Aufnahmeleiter, Richterinnen, Staatsanwälte, Anwältinnen: Was wollt Ihr machen, wenn Ihr nur noch Murks bekommt und sich alle Profis in andere Berufsfelder gerettet haben werden? Und an die Kolleg:innen: Sammeln wir jetzt endlich mal Beweise für eine Anfrage, z.B. an einen Rundfunkrat? Gerne dürft ihr unten mitdiskutieren und/oder mich anschreiben.
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Grafik: eine der „Agenturen“
Meme: Geschenk einer Kollegin
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