Ob zufällig oder geplant: Sie sind hier auf Seiten eines digitalen Tagebuchs aus der Arbeitswelt gelandet. Ich bin (mit Deutsch als Muttersprache) Dolmetscherin für die französische Sprache (und aus dem Englischen). Heute denke ich über die deutsche Sprache nach.
Gesehen in Nord-Neukölln |
Also: Laura treffe ich am Spätnachmittag zufällig auf der Straße. Wir freuen uns beide und beschließen, auf ihrer Terrasse ein wenig zusammen zu chillen und über die Nuller Jahre zu sprechen, die Zeit nach dem 2000-er Börsenkrach und vor der Lehman Bro-Pleite, also etwas wie die gute alte Zeit, unwiederbringlich und so.
Wir befinden uns in Nord-Neukölln im ruhigen Hinterhof, dort, wo Weltkriegsbomben einst für Entkernung und erst die Jahre nach 2008 für Neubau gesorgt haben. Laura und Mann leben mit Nachwuchs in einem Townhouse dort, wo es früher drei Hinterhöfe gab, in denen zum Teil Werkstätten standen und Fabriken kleinen Manufakturen gefolgt waren. Auch die Townhouses gibt es gleich mehrfach: Es sind eigentlich drei Häuser zu je drei bis vier Stockwerken, versetzt angeordnet. Sowas würde heute keiner mehr machen: die maximalmögliche Menge auskühlender Außenwände aus energiekrisenverträumten Zeiten! Oben haben die Wohnungen Balkone, ganz oben zwei riesige Dachterrassen, unten Außenterrassen und bei Laura ist sie sogar als Maisonette angelegt, denn beide sind beim Film und arbeiten von zuhause aus.
Wo einst Wasch- und Klohaus standen und neben den Aschetonnen maximal die sprichwörtliche Zille-Blume wuchs, hat ein Landschaftsgärtner einen japanischen Miniaturgarten angelegt. Auf der anderen Seite ein älterer, abschließbarer "Carport" für die Mülltonnen, überwuchert mit Knöterich und Efeu. Eine auf Zack geschnittene Thujenhecke (Laura murmelt entschuldigend: "Die hat der Bauherr zu verantworten!") verhindert den Durchblick in den privatisierten Teil des Hinterhofgartens. Das Ganze wirkt teuer, eng und abweisend.
Mit kluger Planung hätten hier ein Drittel mehr Wohnungen Platz gefunden, ohne mehr Bestandsbauten zu verschatten, und es hätte trotzdem offener gewirkt. Aber hier hat das Kapital und nichts als das Kapital Eigentumswohnungen zum Verkauf gebaut, weder Bauherrin noch Bauherr.
Die Wohnung sei von den Eltern bezahlt worden, erzählt sie gleich, und die Möbel von den Großeltern übernommen, zumindest das schicke "Skandi"-Wohnzimmer aus Teak, Mid-century, das in Lauras Generation ohnehin angesagt ist. Die Familie habe beiderseits in x-ter Generation nur aus Staatsdienern bestanden, Schule, Verwaltung, Justiz, erzählt sie, nur ihre Generation "macht irgendwas was mit Medien", sagt sie mit ironischem Augenwinkern.
Ohne, dass ich gefragt hätte, berichtet Laura weiter: "Das Geld ist in der Branche schwer genug verdient. Ich schneide, er macht Kamera oder arbeitet als Producer. Wir mussten die Spielregeln in dieser Branche erst lernen. So ist es eine große Erleichterung, dass wir weder Miete noch Wohngeld zahlen müssen!" Dann kommt Ingrid, die andere Oma, die im Nachbarhaus wohnt, und bringt den Enkel vorbei.
Das klassische bildungsbürgerliche Milieu, Müsli plus Eames-Chair, der Klassiker: Der Jüngste darf nur kurz ans Internet und wird später das Sandmännchen sehen. Auf dem Mini-Wiesenstück hinter der (für heimisches Getier) toten Thuja blüht die bienenfreundliche Wiese, an der Wand steht ein Insektenhotel. Soviel zur Empirie der Nachbarn, der ich mich immer wieder gerne hingebe. Oma Ingrid, Oberstudienrätin im Ruhestand mit warmer Ausstrahlung, bietet mir eine kostenlose Feng Shui-Beratung meiner Wohnung an (sie hat da gerade irgendwo einen Abschluss erworben und braucht erste Bewertungen für ihren Internetauftritt).
Nur wo kommt jetzt dieses Diminutiv auf -i plötzlich wieder her? In meiner Kindheit hießen peinliche Nachbarkinder Hansi oder Klausi. Hier wird das Kind dazu angehalten, seinen Schlafi zu holen, denn Omi würde ein Loch flicken, das T-Shi aus dem Kindergarten sei voller Obstflecken und dem Papi würde man schnell ein Sprachi aufs Händi schicken. Verdündet dies, meine Ex-Studi, und verschwindet in der Küche.
Anschließend hat uns Laura ganz normalen hausgemachten Eistee serviert, deutsch ausgesprochen. War ich erleichtert! Ich war in Gedanken schon auf der Suche nach schlimmen Pausensnacks auf -i.
(Da hat doch wohl nicht das 50-er Jahre Wohnzimmer abgefärbt?)
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Foto: C.E. (ne andere Hütte, aber ähnlich
wenig zur Berliner Wohnungsnot passend)
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