Freitag, 25. Juni 2021

COVIDiary (330)

Als Kon­fe­renz­dol­metscherin in der Politik arbeite ich oft für die Spitzen des Staates. Durch Corona hat auch unser oberstes Personal öfter mit Di­gi­tal­kon­fe­renzen zu tun, die festan­ge­stellten Dolmet­scher:innen stehen öfter zur Verfügng, da sie jetzt weniger reisen, wir Freien werden seltener nachgefragt. Vorgestern habe ich trotz­dem die oberste die politische Garde gesehen. Und das kam so.

A
n Plakatwänden oder Litfasssäulen fällt mir öfter auf, dass die Aus­stel­lungs­an­kün­di­gung von November 2020 neben der Konzertankündigung für den Juli '21 hängt. Auch im Wartebereich des französischen Konsulats in Berlin gibt es solche Co­ro­na­bil­der. Dorthin wurde ich Mittwoch als Dolmetscherin für eine junge Frau ein­be­stellt, die demnächst hei­ra­ten möchte. 

Arte-Programmheft von Juni
Ihre Eltern sind 1990 aus Ost­eu­ro­pa vor dem Krieg geflo­hen, sie ist Deut­sche und beendet ge­ra­de ihr Stu­dium. Die Fa­­mi­lie des Bräuti­gams ist aus dem gleichen Land ge­flo­hen, einige Jah­re später und nach Fran­kreich. Vor fünf Jah­ren sind die jungen Leute einander zufällig im Internet be­geg­net. Tausende Anrufe, Mails, Kurz­nach­richten und Be­su­che später ist klar: Sie wollen heiraten.

Während die junge Braut in Ber­lin geboren und Deut­sche geworden ist, hat der junge Mann in Frank­reich als Flüchtlings­kind nur kurz die Schule be­sucht und dann ein Hand­werk gelernt. Aus verschiedenen unwichtigen Gründen hat er nie die französische Staatsbürgerschaft angenommen. 

Die Eheschließung soll in Paris statt­finden, dann will der Bräutigam nach Berlin zie­hen. Doch zunächst werden beide ausgiebig befragt, er in Frankreich, sie in Deutsch­land. Audience, heißt das, Anhörung, eine Excel-Tabelle mit Dutzenden Fra­gen will ausgefüllt sein, am Ende werden wir ein zehn­seitiges Dokument pro­du­ziert haben. Frage — Verdol­metschung — Antwort — Verdolmetschung — Frage — Verdolmetschung ...  so gehen die Stunden ins Land. Schließlich wird ausgedruckt, und ich dolmetsche das französische Protokoll zurück ins Deutsche. Wir kor­ri­gie­ren, ändern, ergänzen. 

Die Mobilte­lefone hatten wir am Eingang ins Schließ­fach packen müssen. Wir mer­ken nicht, wie die Zeit verfliegt. Ab und zu setzen wir die Masken ab, nehmen einen Schluck aus der Was­ser­pul­le. Am Ende sind alle müde und hungrig, wir zwei sowie die Protokol­lantin und eine Dame, die sich nicht vorgestellt hat, die aber im Protokoll als Beisit­zende aufgeführt wird. 

Die Punkte sind ebenso er­schöpfend wie banal: Kennen­lernen, Per­so­nen­be­schrei­bung, Zeitvertreib, Urlaubsreisen, Familien- und Wohn­situation, Lebenspläne, lauter Details, die Vater Staat interessieren, um Scheinehen zu vermeiden, an den Film "Green Card" erinnern sich sicher viele. Mich wundert die Genauigkeit dieser Be­fra­gung, der große Aufwand, der heilige Ernst, mit dem sich alle der Sache wi­dmen. Es ist meine erste Amtshandlung dieser Art. An der Wand schaut der ak­tu­elle Be­woh­ner der Liegenschaft 55, Rue du Faubourg Saint-Honoré auf uns herab. Ich merke, dass ich das erste Mal auf das Bild eines Präsi­denten sehe, der jünger ist als ich.

Und ich denke an das deutsche Stan­desamt. Ausländer müssen in Deutschland ein sogenann­tes "Ehefähig­keits­zeug­nis" beibringen, ein Dokument, aus dem hervor­geht, dass sie nicht schon in der Heimat verhei­ratet sind und das es nicht in allen Ländern gibt. Verständliches Anliegen, aber den Be­griff fand ich schon immer grenz­wertig, ebenso die Frage nach dem Schei­dungs­grund, sofern es eine solche gab, bei einem erneuten Aufgebot, vor einigen Jahr­zehnten erlebt. Das hat sich auch grenz­wertig angefühlt.

Nach vier Stun­den verlassen wir die Botschaft. Ich stehe auf dem Pariser Platz und sehe in Rich­tung Westen. Bald wird die Sonne über Charlot­ten­burg untergehen. Der Platz ist leer, es ist kein großer Touristen­sommer. Ich eile ins fran­zö­si­sche Kaufhaus Galeries Lafayette an der Frie­drich­straße, optiere für Zutaten für ein französi­sches Abendessen. An der Kasse stehe ich mit Frau Merkel zusam­men, die am Tag danach ihre letzte Reigerungserklärung zur Europa­politik halten wird. (Falls da am Tag drauf schräge Töne gegen­über Frankreich zu hören sein sollten, ist die salzige Butter aus der Nor­man­die schuld.)

Note to self: Eine Notfall­ration Ka­lo­rien in den Ruck­sack packen, wie das vor der Pan­demie üblich war.

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Foto:
C.E.

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