Als Konferenzdolmetscherin in der Politik arbeite ich oft für die Spitzen des Staates. Durch Corona hat auch unser oberstes Personal öfter mit Digitalkonferenzen zu tun, die festangestellten Dolmetscher:innen stehen öfter zur Verfügng, da sie jetzt weniger reisen, wir Freien werden seltener nachgefragt. Vorgestern habe ich trotzdem die oberste die politische Garde gesehen. Und das kam so.
An Plakatwänden oder Litfasssäulen fällt mir öfter auf, dass die Ausstellungsankündigung von November 2020 neben der Konzertankündigung für den Juli '21 hängt. Auch im Wartebereich des französischen Konsulats in Berlin gibt es solche Coronabilder. Dorthin wurde ich Mittwoch als Dolmetscherin für eine junge Frau einbestellt, die demnächst heiraten möchte.
Arte-Programmheft von Juni |
Während die junge Braut in Berlin geboren und Deutsche geworden ist, hat der junge Mann in Frankreich als Flüchtlingskind nur kurz die Schule besucht und dann ein Handwerk gelernt. Aus verschiedenen unwichtigen Gründen hat er nie die französische Staatsbürgerschaft angenommen.
Die Eheschließung soll in Paris stattfinden, dann will der Bräutigam nach Berlin ziehen. Doch zunächst werden beide ausgiebig befragt, er in Frankreich, sie in Deutschland. Audience, heißt das, Anhörung, eine Excel-Tabelle mit Dutzenden Fragen will ausgefüllt sein, am Ende werden wir ein zehnseitiges Dokument produziert haben. Frage — Verdolmetschung — Antwort — Verdolmetschung — Frage — Verdolmetschung ... so gehen die Stunden ins Land. Schließlich wird ausgedruckt, und ich dolmetsche das französische Protokoll zurück ins Deutsche. Wir korrigieren, ändern, ergänzen.
Die Mobiltelefone hatten wir am Eingang ins Schließfach packen müssen. Wir merken nicht, wie die Zeit verfliegt. Ab und zu setzen wir die Masken ab, nehmen einen Schluck aus der Wasserpulle. Am Ende sind alle müde und hungrig, wir zwei sowie die Protokollantin und eine Dame, die sich nicht vorgestellt hat, die aber im Protokoll als Beisitzende aufgeführt wird.
Die Punkte sind ebenso erschöpfend wie banal: Kennenlernen, Personenbeschreibung, Zeitvertreib, Urlaubsreisen, Familien- und Wohnsituation, Lebenspläne, lauter Details, die Vater Staat interessieren, um Scheinehen zu vermeiden, an den Film "Green Card" erinnern sich sicher viele. Mich wundert die Genauigkeit dieser Befragung, der große Aufwand, der heilige Ernst, mit dem sich alle der Sache widmen. Es ist meine erste Amtshandlung dieser Art. An der Wand schaut der aktuelle Bewohner der Liegenschaft 55, Rue du Faubourg Saint-Honoré auf uns herab. Ich merke, dass ich das erste Mal auf das Bild eines Präsidenten sehe, der jünger ist als ich.
Und ich denke an das deutsche Standesamt. Ausländer müssen in Deutschland ein sogenanntes "Ehefähigkeitszeugnis" beibringen, ein Dokument, aus dem hervorgeht, dass sie nicht schon in der Heimat verheiratet sind und das es nicht in allen Ländern gibt. Verständliches Anliegen, aber den Begriff fand ich schon immer grenzwertig, ebenso die Frage nach dem Scheidungsgrund, sofern es eine solche gab, bei einem erneuten Aufgebot, vor einigen Jahrzehnten erlebt. Das hat sich auch grenzwertig angefühlt.
Nach vier Stunden verlassen wir die Botschaft. Ich stehe auf dem Pariser Platz und sehe in Richtung Westen. Bald wird die Sonne über Charlottenburg untergehen. Der Platz ist leer, es ist kein großer Touristensommer. Ich eile ins französische Kaufhaus Galeries Lafayette an der Friedrichstraße, optiere für Zutaten für ein französisches Abendessen. An der Kasse stehe ich mit Frau Merkel zusammen, die am Tag danach ihre letzte Reigerungserklärung zur Europapolitik halten wird. (Falls da am Tag drauf schräge Töne gegenüber Frankreich zu hören sein sollten, ist die salzige Butter aus der Normandie schuld.)
Note to self: Eine Notfallration Kalorien in den Rucksack packen, wie das vor der Pandemie üblich war.
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Foto: C.E.
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