Donnerstag, 11. Januar 2018

Sprach- und Schriftdolmetschen

Bonjour und guten Tag, hier bloggt eine Französischdolmetscherin und -über­set­ze­rin. Seit bald elf Jahren berichte ich hier aus meinem Alltag. 

Die Autorin dieser Zeilen bei der Arbeit
Der erste Einsatz im Jahr war su­per­span­nend: Wir sitzen hinten im Saal auf einem Balkon, neben mir Licht- und Tonregie so­wie der Liveschnitt, denn alles wird in den Ne­ben­raum übertragen. Wir befinden uns in einem Berliner Veranstaltungssaal, zu un­se­ren Füßen mehrere hundert Menschen.

Vorne auf der Bühne warten alle auf die Haup­tred­ne­rin aus Frankreich. Es ist ein Neujahrsempfang mit politischem Hin­ter­grund. Rechts hinten ist eine Art kleiner Bühne für Rollstuhlfahrer, links längsseitig die Sektbar, es gibt Bereiche mit Sitzreihen und welche für stehende Zuschauer. Die Gäste sind recht mobil im Saal, in der Vor­hal­le gibt es weitere Angebote.

Niemand wollte 600 Kopfhörer gegen Pfand ausgeben und anschließend wieder einsammeln. Daher wurde eine andere Lösung gefunden. Etwas, das ich noch nie erlebt habe — und die Kolleginnen auch nicht.

Hinter uns Dolmetscherinnen sitzen zwei "Schriftdolmetscherinnen". Die eine trägt eine Maske, die an die Gasmasken erinnert, wie Pferde sie im 1. Weltkrieg ge­tra­gen haben. Vor ihr steht ein Rechner. Die Kollegin neben ihr sitzt auch hinter ei­nem Rechner. Beide Geräte müssen verbunden sein. Das, was auf dem Monitor des zweiten Rechners zu sehen ist, wird auf die riesige Leinwand hinter der Rednerin übertragen. Und dort ist zu sehen, was die Kollegin mit dem gas­mas­ken­ähn­li­chen Trumm in ein Mikrofon geflüstert hat, was wiederum die Mehr-oder-weniger-Wie­der­ho­lung unseres Dolmetscherinnenoutputs ist.

Ein sehr komisches Gefühl ist es, zu dolmetschen und parallel die eigenen Wörter vor der Nase in Textform aufscheinen zu sehen, wobei die zweite Schrift­dol­met­sche­rin die Korrektorin dessen war, was die Textverarbeitung "Dragon Naturally Spea­king" aus der gesprochenen Sprache gemacht hat.

Nach einem kurzen Moment der Faszination zwinge ich mich dazu, nicht auf die Monitorabbildung zu sehen, es hätte mich zu sehr irritiert. Die Rednerin spricht an­fangs langsam, sie merkt, dass es ganz gut klappt, dann wird sie immer schnel­ler, am Ende rast sie durch die Gedanken. Es wird für uns als Team immer schwie­ri­ger, ihr zu folgen. Die Sachen mit den zeitversetzten Lachern kennen wir — erst la­chen alle, die dem Originalton folgen können, später jene, die auf die Über­tra­gung angewiesen sind. Nur dauert der Zeitverzug hier deutlich länger.

Am Ende sind wir einigermaßen mit dem Ergebnis zufrieden, das Publikum ist begeistert. Was sind die Lehren, die wir daraus gezogen habe?


Notizen zum verschrifteten Sprachdolmetschen
— Es ist unabdingbar, dass sich zuvor Redner und Dolmetscher treffen. Rede und Übertragung derselben ist hier noch mehr als sonst Teamarbeit. Ohne Team­bil­dung kein Team.
— Tage bzw. Stunden vorab müssen Informationen zur Rede fließen (hier gab es drei Wortpaare ohne jeden Kontext).
— Am besten wäre es, einen Probelauf zu machen, damit der Redner ein Gespür für den Zeitverzug erhält.
— Es ist sicher gut, das Publikum zu Beginn der Veranstaltung über den Vorgang zu informieren.
— Die "Gasmaske" der Schriftdolmetscherinnen hat sich als ziemlich effizient er­wie­sen, das Dolmetschen wurde davon nicht behindert, was auch an den sons­ti­gen Um­ge­bungs­ge­räuschen gelegen haben mag, die recht präsent waren. Wie das Team am besten räumlich anzuordnen ist, beobachten wir beim nächsten Mal.

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Foto: Pierre-Jerôme Adjedj

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