Donnerstag, 10. August 2023

Neues vom Brotstand / Museum der Wörter (32)

Hallo, hier bloggt ei­ne Sprach­ar­bei­te­rin. Ich über­set­ze und dol­met­sche. Ar­beits­spra­chen: Fran­zö­sisch (aktiv und passiv) und Eng­lisch (nur Aus­gangs­spra­che), die Büro­kol­legin übersetzt ins Eng­lische. Heute rei­sen wir dop­pelt in die Ver­gan­gen­heit.
            
                                K
aisersemmel
  

Über lustige Brötchen- und Brotnamen schrieb ich bereits Juni 2014. Damals waren mir neben den berlin­üb­li­chen "Schrip­pen" auch die "Welt­meis­ter­brötchen", die "Schus­ter­jungen" und der "Haus­freund" auf­ge­fal­len, letzteres eine Brot­sorte. 

Heute kauf­te eine Frau neben mir eine "Seele". Die berühm­te Online-Enzyklo­pädie klärt mich auf: lang­ge­strecktes Weizen­gebäck, schwäbische Küche, in der Regel mit Salz und Kümmel bestreut. Gut, dann kam mit dem "Weckle" offen­bar auch die Seele nach Berlin, häufig anzu­treffen im Be­zirk Prenz­lauer Berg. Ein wei­terer Im­port ist der "Spitz­bube", ein un­ter­tel­ler­großes Mürbe­teig­plätzchen mit Ge­sicht, den ich bei einem beson­ders feinen Bäcker in Charlot­ten­burg in der Aus­lage sah, bei Wiki­pedia gibt's auch ein Foto dazu. "Ochsenauge" oder "Linzer Auge" gelten als Variationen dazu.

Kaisersemmel und Ha­senbrot von "Matisse"
Beim Bäcker im profanen Neu­kölln sind heute zudem "Ha­sen­brötchen" im An­ge­bot. Die habe ich nicht probiert, kenne aber das "Hasenbrot": Ein mit­ge­brachtes Brot, das auf große Reise geht, aber in­fol­ge anderer An­ge­bote oder in Er­man­ge­lung von Hunger bzw. Ap­pe­tit in der Tasche bleibt. Hier noch­mal das be­rüh­mte di­gi­ta­le Le­xi­kon: "wie­der heim­ge­brach­tes Pau­sen­brot" oder "Weg­zeh­rung, die von den Erwach­senen nicht auf­ge­ges­sen wur­de, sondern für die Kinder mit nach Hause ge­bracht wurde; daraus über­tragen: für die Kin­der be­stim­mter Lecker­bis­sen".

Es könnte auch Brot sein, das am Ende — vielleicht nur vermeint­lich — für die Ha­sen bestimmt ist. Die moderne Analo­gie dazu wäre der "Doggy bag", die von der Mahl­zeit ein­ge­packten Reste aus dem Restaurant, die auch eher für den Menschen ge­dacht sind als fürs Tier.

Zurück in die Bäckerei, Sprung in die Ver­gan­gen­heit, in die DDR. Meine Urgroß­mut­ter ging damals noch "Kaiser­sem­meln" einkaufen. Um sie al­ters­mäßig ein­zu­ord­nen: Sie trug im hohen Alter nur schwar­ze Kleider, die nach dem 19. Jahrhundert aus­sahen und im Zweifel sogar aus der Zeit stamm­ten, aber von ihrer Mut­ter ge­erbt waren. Ich kannte sie als sehr liebe, hochbetagte Dame, die natür­lich selbst im 19. Jahr­hun­dert geboren worden war. Es umgab sie stets eine Par­fum­wolke, "Veil­chen mit Mot­ten­kugeln". Und natürlich wurde ihr das gewünschte Im­pe­rialis­ten­gebäck auch mit exakt diesem Namen zu­rück­gereicht, gut verpackt in einen al­ten Brot­beutel aus Leinen.

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Idee: H.F. / Grafik: Dall:E, Hintergrund ergänzt


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