Die Welt der großen Festivals mit ihren Stars und glitzernden Roben auf roten Teppichen sieht hinter den Kulissen weniger glamourös aus. Hier beschreibe ich in loser Folge meinen Arbeitsalltag als Dolmetscherin der Berlinale. Zusammen mit hunderten anderer Mitarbeiter trage auch ich in diesen Tagen meinen kleinen Teil dazu bei, dass das Festival im 60. Jubiläumsjahr besonders strahlt.
Am Potsdamer Platz ist eine neue Seuche ausgebrochen, die wir aus der Wirtschaft leider schon kennen - es ist die Inextremitis.
Seit die Berlinale im Winter stattfindet, werden im Januar etliche Filme bereits den Fachkollegen von der Presse gezeigt, und auch Dolmetscher und Moderatoren von Publikumsgesprächen finden sich traditionell zu den Terminen ein. In diesem Zeitraum ging es auch mit den ersten festen Terminabsprachen für die Berlinale los. Dann rutschte dieses Suchen-und-Buchen in die Woche vor der Berlinale hinein, die einst ein ruhigeres Moment ohne viele Pressevorführungen war: Die Kataloge waren im Druck, die Termine standen grosso modo, unsereiner atmete vor der Eröffnung des Festivals nochmal tief durch. Mit dieser Ruhe ist es jetzt vorbei, inzwischen schnurren die Planungen auf die letzten Tage vor Festivalbeginn zusammen. Müde vom Jonglieren mit Terminen sitze ich also heute Morgen in der französischen Botschaft beim ersten Einsatz, einem Produzentengespräch, da läutet das Mobiltelefon gleich drei Mal während eines Panels. In der Pause versuche ich zu erfahren, wer mich da anrief - und telefoniere selbst ins Leere. Nach der Veranstaltung rufe ich erneut zurück, gewissermaßen im Davonrennen. Anruf eins und zwei wäre ein Einsatz für heute Abend gewesen, Anruf drei einer für morgen. Heute Abend hätte ich gekonnt, aber inzwischen hat man das anders gelöst, und morgen bin ich schon gebucht.
Warum muss alles immer in extremis sein, in letzter Minute? Warum haben viele keine Sekretariate mehr, die erreichbar sind, während Chefin oder Chefin selbst im Termin ist? Hier muss ich mich an die eigene Nase fassen, meine engste Kollegin hatte mal eine Assistentin - aber außerhalb der Festivals bleibt uns selbst genügend Zeit für Kostenvoranschläge, die ohnehin Chefinnensache sind, weil die Anfragen immer komplizierter und aufwendiger wurden. Jemanden anzuheuern, der ausschließlich Termine aufnimmt, auf die Idee bin ich noch nicht gekommen. Und die anderen offenbar auch nicht.
So rödeln wir alle in den knappen Zwischenzeiten des Sputens von Termin A nach Termin B, was einst Wegezeit und Pause war, ist nicht selten optimiert und wurde der Arbeitszeit zugeschlagen. Unschöner Nebeneffekt: kaum einer kann noch delegieren und manches, das dann mal eben so schnell wegorganisiert wird, geht, ohne viele Gedanken darauf zu verschwenden, rasch an irgendwen, weil die Nummer der Person, über die wir neulich sprachen, eben nicht greifbar ist ... Hier gebe ich wieder, wie uns dieser Tage ein Auftrag verlorenging: Veranstalter und Moderatorin einer Diskussionsrunde wollten mich engagieren, die oberste Chefin hat zwischen zwei anderen Terminen mal rasch jemanden angerufen, um den Punkt abhaken zu können. Das ist ein Nebeneffekt der Tatsache, dass wir alles selbst machen und es in der Hektik zunehmend schwerfällt, wichtig von dringend zu unterscheiden ...
Und mal kurz innehalten und nachdenken, wie wäre das? Scheint irgendwie nicht nötig, ist ja noch immer gut gegangen.
Der Dauerzeitdruck und die Überforderung die daraus resultiert, dass wir selbst unsere eigenen Assistenten ersetzen müssen, liegen sicher zu einem Großteil an der komplexer werdenden Welt. Der andere Teil geht aufs Konto der digitalen Büros: Wir ersetzen Mitarbeiter durch Maschinen, die natürlich nicht das gleiche können wie ein mitdenkender, kluger, lernender Mensch, wir geraten in Zeitnot, weil auch Fehlentscheidungen zu reparieren sind, wir erliegen der Illusion, dass alles und alle greifbar sind, dass wir sie auch noch in letzter Minute engagieren können, weil wir ja über ihre MobilnummermailadresseMSNkürzel und was weiß ich noch verfügen.
Inextremitis halt. Ich bin mal gespannt, was nächste Woche noch reinkommt. Bei meiner Telefonrunde Dienstag - telefonisches Nachhaken, nachdem zwei Mails hin- und hergegangen waren - bekam ich einmal die Antwort: "Du rufst viel zu früh an, wir buchen gerade fürs erste Berlinalewochenende, der andere Termin ist ja erst Ende nächster Woche, wir melden uns!" Hoffentlich nicht gerade wieder, wenn ich in der Kabine bin, und falls doch: Bitte übt Euch in Geduld, bis ich wieder telefonieren oder Textnachrichten schreiben kann, das klappt dann schon noch. Ist ja noch immer gut gegangen! Lächeln und weiterrennen, das ist das Motto, the show must go on.
2 Kommentare:
Hallo, Frau Elias,
das klingt aber speziell! Ist so ein Berlinaleanfang wirklich nicht festlicher? Waren Sie bei der Eröffnung? Sind Sie zu Empfängen eingeladen? Ich habe Ihren Blog auf der Suche nach etwas anderem entdeckt und mir gefällt die Art, wie Sie schreiben. Ich war früher mal Dolmetscherin, deshalb kann ich das alles sehr gut nachvollziehen. Ich werde das mal weiter verfolgen...
Viele Grüße aus Westfalen,
P. Schmidt
Liebe Frau Schmidt,
Danke für Ihre Fragen. Bei der Eröffnung war ich leider nicht, wir Mitarbeiter sind meist nur dort zugegen, wo wir tatsächlich gebraucht werden. Ein Hauch der Festlichkeit umweht unsereinen denn doch auch, spätestens nachts: Gestern war ich spät nochmal am Potsdamer Platz mit seinen Lichtern und roten Teppichen und dem begeisterten Publikum. Aber Zeit für Innehalten bleibt da selten.
Ansonsten bedeutet so ein Festival harte Arbeit für so viele Mitarbeiter, die dann abends erschöpft in die Federn sinken. Diejenigen, die draußen in der Kälte stehen und die Sicherheit garantieren, tun mir dabei immer besonders leid.
Ich hoffe, dass ich Ihnen noch ein paar spannende Einblicke bieten kann. Ihre Meinung dazu würde mich interessieren!
Gruß nach Westfalen! Wo genau leben Sie?
Caroline Elias
Kommentar veröffentlichen