Warten am Flughafen |
Ja, es ist immer nützlich zu wissen, auf wen wir eigentlich schimpfen dürfen. Wichtig ist dieses Wissen wegen aktueller Anspielungen in Reden, die dann gerne zum roten Faden auf Konferenzen werden. Manchmal wird aber gar nicht auf Tagesaktualität angespielt, ein gewonnenes Fußballmatch zum Beispiel, sondern ein Begriff mutiert zum Ball, der immer hin- und hergeht. Mit Grausen erinnere ich mich an les atomes crochus (in etwa: 'die Chemie stimmt') auf einer dreitätigen Veranstaltung, die das Publikum zunehmend entzweite und uns Sprachmittlern graue Haare wachsen ließ.
Das mit der Chemie bilden die Franzosen mit aneinandergeketteten Atomen ab, und da es auch um Energie und Physik ging, lautete die erste Übertragung (nicht von mir) etwas mit: "die Atome sind eng verbunden", worauf dann einige der Deutschen von der Einzigartigkeit von Atomen und atomaren Kettenreaktionen weitersprachen und die Franzosen irgendwann eine Anspielung auf ihre Energiepolitik darin sahen. Das Ganze fand wohlgemerkt außerhalb des gesteckten Rahmens statt, nämlich immer bei den Ein- und Überleitungen.
Andere Deutsche führten auf der Konferenz, nachdem später "die Chemie stimmt" zu hören gewesen war, allerlei Chemiebilder weiter à la chemische Reaktion, Abstoßung und derlei — und waren am Ende ziemlich überrascht, als sie merkten, dass es auf französischer Seite (wegen der vermeintlichen Kritik an der französischen Atompolitik) grummelte.
So kann's kommen. Wir Dolmetscher sind natürlich daran Schuld, wir nehmen das gerne auf uns, auch wenn's eigentlich die Sprache war und die vermaledeite Technik. Warum können wir nicht auch noch mit Untertiteln dolmetschen? Oder mit Fußnoten?
Jetzt bin ich ja ganz von der Küche abgekommen. Ich müsste im Privatleben wohl manchmal auch mit Fußnoten sprechen. Was bei mir parallel im Kopf geschieht, ist komplex, und manchmal weiß ich nicht, was jetzt an die "Arbeitsoberfläche" soll und was nicht. Außer in der Küche. So, wie ich jetzt die Hintergründe der Rücktritte in Paris und Berlin gelesen und die Politik verfolgt habe, bin ich bestens vorbereitet. Ich kenne das Personal und alle Dossiers, an denen es hakelt (naja, fast), und ich könnte bequem diverse Reden dazu verdolmetschen (Rücktritt, wertschätzender Kommentar, Kritik, Kampfesrede im Rahmen der Nachfolgegrabenkriege, historische Einordnung ...).
Und wie bereiten wir Dolmetscher uns vor? Durch Lesen, Hören, Sehen, ja, aber auch durch Sprechen. Im stillen Kämmerlein übe ich schon mal die möglichen Ansprachen, versetze mich jeweils in eine Person hinein und lege los. Wenn ich das wirklich Gesagte später in den Medien höre, bin ich oft überrascht, wie nah ich am Original war. Dazu passt ein alter Witz aus der Gasse hinter den Kabinen: "Wenn Redner X sein Flugzeug verpasst hat, kein Problem, wir dolmetschen die Rede ohne ihn!" Denn wir sind durch die intensive Vorbereitung bestens vorbereitet. Wie heißt es doch bei den Schauspielern? We're paid for waiting, performance is for free! Während das darstellende Fach fürs Warten bezahlt wird und umsonst agiert, werden wir im Grunde für die Vorbereitung bezahlt.
Und uns fallen auch Leerstellen in den öffentlichen Reden auf.
Vokabelabsprachen in der Pause |
Ich weiß nicht, ob es allen Dolmetschern so geht mit dem Üben, aber bei mir ist das so. Meine Töpfe und Pfannen, wahlweise auch die Blumen auf dem Balkon und im Garten oder die Bücher und Gemälde im Arbeitszimmer, die können ein Lied davon singen.
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Foto: C.E.
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