Fachdolmetscher beherrschen ihr Fach, zum Beispiel habe ich, was Bildkulturen angeht, bereits im Nebenfachstudium Kunstgeschichte und Kulturwissenschaft viel aufgesogen und mich früh in Filmfragen spezialisiert. Zugleich müssen Dolmetscher auch in anderen Bereichen oft grob orientiert sein, denn ein einziges Fachgebiet reicht als Grundlage für eine freiberufliche Existenz selten aus. Während der Vorbereitung von Terminen lesen wir uns dann jeweils in die Themen ein, weshalb wir unsere Redner beizeiten um Hintergrundinformationen bitten. Denn es leuchtet sicher jedem ein, dass bekannte Begriffe und inhaltliche Anknüpfungspunkte uns Dolmetschern Sicherheit geben und sich der Stress, den neue Inhalte immer mit sich bringen, so leichter im Zaume halten lässt.
Wir Dolmetscher bemühen uns deshalb täglich darum, das, was uns mit Journalisten eint, zu erhalten und zu erweitern: eine "profunde Halbbildung". Wir wissen also von vielem ein wenig und nur wenig beherrschen wir ganz. Wir können über fast jedes beliebige Thema reden, nur nicht über zehn Minuten, und wir wissen vor allem eins sehr genau: dass wir sehr, sehr viel nicht wissen.
Also Wissensdurst plus Demut - das Weltwissen verdoppelt sich alle fünf bis fünfzehn Jahre (je nach Quelle), Universalgebildete sind ausgestorben. So gehört die morgendliche Zeitungslektüre ebenso zum Alltag wie die Beobachtung des Büchermarkts, der Besuch von Ausstellungen, Podiumsdiskussionen etc. Aber nicht die Anhäufung von Daten und Fakten zählt, sondern der große, ganze Gestus: Aus einer neugierigen, dem Leben gegenüber offenen Grundhaltung ein solides Interesse für vielerlei zu entwickeln, dabei Zusammenhänge erkennen zu können, Probleme und Entwicklungen beschreiben und Spreu vom Weizen trennen zu können, was die Quellen angeht, sind sicher die Grundtugenden, die wir in unserem Beruf haben müssen. Wer Lernen scheut, Angst vor fremden Sachgebieten hat und grundsätzlich nicht gern an den Debatten teilnimmt, die unsere Gesellschaft bestimmen (sollten), wird mit einem anderen Beruf sicher glücklicher.
Aber ich muss noch einmal auf unsere Bitten nach Hintergrundinfos vor einem Kongress oder einer Delegationsreise zurückkommen. Die Veranstalter haben für diese Fragen leider oft kein sehr großes Verständnis. Wir hören Sätze wie: "Es kommen nur ganz allgemeine Dinge zur Sprache!", "Der Besuch hat mehr protokollarischen Hintergrund, wir gehen gar nicht ins Detail!", "Der Botschafter spricht nur ein Grußwort!", "Es geht nicht in die Tiefe. Verschiedene Disziplinen treffen aufeinander, da ist es für jeden Einzelnen wichtig, den Jargon beiseite zu lassen und Allgemeinverständlich zu sprechen!", "Im Internet finden Sie auf unserer Webseite einen Aufsatz des Herrn zu diesem Thema, er wird in etwa das Gleiche sagen!"
... nur, und das blieb unerwähnt, dass der Aufsatz aus dem Oktober 2005 stammt und seine Vortragsankündigungen der letzten vier Kongresse, auf denen der Betreffende sprach, schon eine deutliche Erweiterung des Themas nachvollziehen ließen (was sich auf der Konferenz bestätigte). Werden hohe Politiker, die nicht mehr amtieren, oder sonstige ältere Berühmtheiten erwartet, hören wir sogar schonmal ein: "Herr/Frau XYZ schreibt die Rede selbst, und bei einer so hochkarätigen Persönlichkeit verbietet uns das Protokoll, vorher nach einem Redemanuskript zu fragen!"
Mitunter reichen uns Stichpunkte, Thesen, einige Fundstellen im Netz, ein älteres Manuskript (das zeitlich nicht so sehr weit zurückliegt). Und hierbei nähmen wir gerne die ganze Konzeption - wo kommt der Redner her, wo geht er hin? Mit Grausen erinnere ich mich an eine Landkarte, Teil einer PowerPointPräsentation (PPP), mit gar keiner Legende. Da zuvor etliche Fakten beschrieben worden waren, ging ich davon aus, die Karte helfe dem Redner abschließend dabei, alles noch einmal kurz zu illustrieren. Ja, Pustekuchen! Der Vortragende war nicht fertig geworden mit der Vorbereitung seiner PPP und hatte daher zum letzten Kapitel seiner Rede keinerlei Stichwort notiert. Oder die filmwirtschaftliche Debatte, die ihren Ausgang beim Börsenkrach nahm und bei der dann eine halbe Stunde lang von Versicherungen die Rede war, ohne, dass das Wort "Versicherung" auch nur einmal erwähnt worden wäre. Der Dolmetscher hat damals Großes geleistet - und lag leider doch daneben.
Ich finde sowas immer wieder mehr als schade. Wer etwas zu sagen hat, sollte auch dafür Sorge tragen, dass der- oder diejenige, der/die ihn übersetzt, am Ende die bestmögliche Leistung abliefern kann. Und gute Vorbereitung ist eben die halbe Miete ...
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