Donnerstag, 27. September 2007

Im Hafen

Herzlich will­kom­men! Sie le­sen im Ar­beits­ta­ge­buch ei­ner Dol­met­scher­in. Mei­ne Ar­beits­spra­chen sind Fran­zö­sisch und Eng­lisch (pas­siv).

Morgens gehe ich aus dem Haus, eine halbe Stunde später erfahre ich, dass ich nach Hamburg flitzen darf, eine Kol­legin vertreten. Ein europäisches Unternehmen hat eine Gesamtbetriebsratssitzung an der Waterkant, und es geht mit Sektempfang, Hafenrundfahrt und get together los.

So bleibt keine Zeit zur Vorbereitung; das Netz im ultra­modernen Sprinterzug hab ich jedenfalls noch nicht. Lediglich das ökonomische Wörterbuch in 100 Fachartikeln und 1200 Definitionen schnappe ich mir noch unterwegs, einsprachig natürlich.

Und dann sitz ich schon auf dem Kutter, die Wolkendecke reißt auf, der Frühherbst 2007 gibt noch einmal das selten gespielte Intermezzo namens "Sommer". Ich lausche: Der Motor des kleinen für den Zweck gecharterten Bootes tuckert be­ru­hi­gend und ich bete, dass die Lautsprecher es hergeben mögen. Jemand sagt mal laut "Test-Test" - sie sind nicht sooo schlecht, aber auch nicht wirklich gut. Vor allem höre ich fast nur Bässe. "Bom-bom-brrrom-brr ..." der Motor wird gleich mit übertragen.

Es schunkelt zum Teil heftig, als wir an den echten Ausflugsdampfern vor­bei­kom­men. Und als ich mir noch überlege, ob mir schlecht wird oder nicht, spricht der Mann, der sich "ich bin heute Ihr Käpt'n" vorstellt, schon sein Vorname ist ver­rauscht. Ich kann fast alles von dem verstehen, was er in hoher Geschwindigkeit formuliert, versuche es mir flugs in Bilder zu übertragen, und während ich dafür wieder Worte suche und selbst spreche, höre ich nur mich, ihn nicht mehr. Es ist dramatisch: Meine Stimme oder seine.

Okay, das wird also was werden mit langen Wortanteilen und dem Versuch, in die Pausen reinzusprechen. Dann kommen Worte wie "Wasserversuchsanstalt" und "Trockendock" - zum Glück erklärt er jetzt, was das ist, ein Dock, so lasse auch ich die großen Schiffe in eine Röhre hineinfahren, dann wird das Wasser he­raus­ge­pumpt, so dass die Arbeiten im Trocknen erfolgen können. Dann kommen die Su­per­la­tive: Dock elf ist das drittgrößte im Vergleich zu. Dock dreizehn das zweit­größ­te verglichen mit. Und Dock siebzehn erst ist das allergrößte — in Europa — aber in welcher Unterkategorie, bitte?

Statt das zu erklären, kommen jetzt in Windeseile (wie viel Knoten?) Höhe-Breite-Tiefe-Fahrrinne. Die Tiefe der Fahrrinne und wie der Sand abgesaugt wird ist für einen Käpt'n offenbar das Wichtigste, so klein der Kutter auch sein mag.

Und während mir selbst solche Ausdrücke wie bâtiment für ein großes Schiff wie­der einfallen und "Ballast" und "Reederei" und "Boje", fahren wir an was anderem vorbei, an einer großen, farbig gestrichenen Metallwand, riesig, die da vorne so einen riesigen Knubbel hat. Ja, noch ein Schiff, und das Dings da vorn teilt die Weltmeere nach links und rechts und macht in der Mitten den Weg frei für Kakao, Schokolade und eben auch Düngemittel, das Produkt unseres Auftraggebers. Aber wie heißt das nur?

Der Käpt'n spricht weiter, hat offenbar das Fach gewechselt oder warum spricht er jetzt von Buck. Detlev, wie, der auch hier? Und nochmal — Buck, meine Dol­met­scher­kol­le­gin schreibt das Wort und notiert zwei Fragezeichen daneben. Meine Gü­te, das ist jetzt wirklich der Bug, um den's da geht. Kein französisches Wort stellt sich ein.

Dafür ein anderes, eins, das gern im Übertragenen verwendet wird, sonst wüsste ich's nicht, weil das mit den Schiffen ist halt nicht so mein Fach ... also: die "Ga­li­ons­fi­gur" heißt figure de proue auf Französisch, aber ich muss jetzt den Rand hal­ten und ja nichts von Strömungstests und Galionsfiguren erzählen, denn hier, ich sehe mich nochmal um, gibt es nicht eine einzige, die ich mir vorstelle wie die Karyatide eines Pariser Hausmann-Gebäudes, nur eben aus Holz und nicht aus Stein, eine Art Schutzfigur mit tragender Rolle (in Abwesenheit eines Balkons könnte sie vielleicht die Verantwortung tragen?)

Das kommt davon, wenn Geisteswissenschaftler mit Leuten aus der Industrie eine Hafenrundfahrt machen. Da kommt einer der Gewerkschafter an unser Tischchen unterm Lautsprecher, lacht, gestikuliert wild gegen den Wind und die Bässe des Kapitäns an und schreibt auf: une étrave.

Merci, Monsieur !

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Illustation: Archiv. Die zweite Pointe kommt im Nachgang. Erst, als ich das Wort­feld nachbereite, fällt mir auf, dass ja der Name "Buck" schon vorbereitet war durch die "Boje". Dazu muss man wissen, dass ein Mann namens Klaus Boje eben Regisseur Buck pro­du­ziert und dass die gemeinsame Firma Boje Buck Produktion heißt. Die Laut­ähn­lich­keit war mir nicht bewusst, weil ich meist sauber nach Kontexten trenne. Aber das Unterbewusstsein wird schon mitgewirkt haben ...

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Danke für den Beitrag! Sehr anschaulich, deine Schilderung. Man fiebert richtig mit. So ungefähr hab ich mir solche Situationen auch immer vorgestellt. Innen der ganze Aufruhr, die lauten eigenen Gedanken + die Stimme, und dann noch zuhören! Außen merkt wahrscheinlich meistens keiner was davon.

caro_berlin hat gesagt…

Liebe Li Ann,

ja, zumal die Gewerkschaftler und Werksleiter der verschiedenen Niederlassungen ohnehin auch miteinander beschäftigt waren. Die Leute aus der Industrie sind meistens sehr nett und hilfsbereit, das hilft dann über den Stress hinweg, der zusätzlich zum üblichen darin besteht, einen Anteil kürzen zu müssen, aus Akustik- und aus Vokabelgründen. Für die nächsten Einsätze dieser Art achte ich beim Kauf des nächsten Scanners auf die Fotokopierfunktion, dann kopier' ich rasch die passenden Seiten aus dem Bildwörterbuch und hab' auf einen Griff eine gute Vokabelgrundlage.
Gruß, Caroline