Freitag, 13. April 2018

Kinokauderwelsch

Als Dolmetscherin und Übersetzerin wechsele meine Arbeitsorte wie die Klei­dung: Der Anzug für die Hinterzimmer des politischen Arbeitslebens, Jeans und Jackett fürs Kino. Neulich, nach einer Filmvorführung ...

Mich durchzucken heiße Schreckens­blitze: Ich verstehe nicht, was der Fil­me­ma­cher sagt. Was mache ich gleich mit diesen Aussagen? Dann beruhige ich mich wie­der, denn zum Glück bin ich als Moderatorin engagiert und nicht als Dol­met­sche­rin. Ich moderiere gerne weiterhin für diverse Festivals, denn in meinem ersten Beruf habe ich einstmals ja Journalistin und Moderatorin gelernt. So übe ich weiterhin Kenntnisse und Fähigkeiten, um sie weiterzuentwickeln, statt sie zu riskieren.

Als der junge Mann auf dramaturgische Ansätze eingeht, während er über seinen Erstlingsfilm spricht, geht ein ordentlicher Landregen an englischen Begriffen auf uns nieder. Manche Wörter sind perfekt ausgesprochen. Andere klingen ein­ge­deutscht oder sind verkürzt. Das erschwert das Verstehen. Sehr beliebt bei ihm: Ein englisches Substantiv, das Verb auch dem Englischen entlehnt und nach den Regeln deutscher Grammatik gebeugt.

Eins ist klar, ich kann nicht nachfragen: "Was haben Sie mit dem Dings nochmal ge­dingst?" Das Publikum besteht zum großen Teil aus Leuten vom Filmteam und aus seinem Studium. Ich scheine die einzige zu sein, deren Hirn zwischendurch im Ne­bel stochert.

Die Geschichte sei kein story bender, meint er daraufhin, wenig später ist vom mind bender die Rede. Bender heißt laut Wörterbuch Bie­ge­ma­schi­ne, Bie­ge­vor­rich­tung. Ich denke heute noch nach, was er uns sagen wollte. Zwischendurch frage ich doch nach, und er erklärt weiter dramaturgische Über­le­gun­gen, er­läu­tert das Wort aber leider nicht.

Einen anderen Begriff übertrage ich dann wenigstens in der Über­lei­tungs­mo­de­ra­tion, nur drei Tage im Voraus hätte man Zeit für cold reading gehabt, also nur drei Tage "Leseprobe". Und dann geht's fröhlich weiter mit den nächsten Begriffen, zum Teil aufeinander bezogen. Und warum muss man babbitt sagen und damit den "Spie­ßer" oder "Spießbürger" vermeiden? Und "die Szene im diner" ist "die Szene im Schnellrestaurant". Aber Wörter wie Schnellrestaurant sind sicher nur was für Spieß­bürger.

Schließlich (und nicht am Ende des Tages) recherchiere ich die Vita des jungen Mannes. Er wurde in den späten 1980-ern in Deutschland geboren und nein, ent­ge­gen meiner Vermutung ist er nicht eben gerade von einem einjährigen USA-Auf­ent­halt zurückgekehrt. In einigen höheren Bildungsanstalten der narrativen Bil­der­pro­duk­tion unseres Landes scheint man heutzutage so zu formulieren. Ich muss mich mal wieder als Gasthörerin dort zurückmelden. Denn sowas könnte durchaus bei einem Dolmetscheinsatz passieren — so sind wir noch nicht aus dem Wald heraus (we are not out of the woods yet). Irgendwann, so meine Hoffnung, wird es wieder besser werden; nach jedem Gewitter klart es wieder auf. Ja, ich sehe schon einen Lichtstreif am Horizont.

Vokabelnotiz (vom Kinoschmierzettel)
schwäbische Maultaschen — german ravioli (im Untertitel)

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Foto: folgt

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