Das war wieder eine böse Zeitverschiebungsfalle, in die meine Kunden da reingeraten sind! Dabei hatte ich sie gewarnt! Nein, es war nicht die isländische Aschewolke, die sie in die Postkutschenzeit zurückkatapultierte, während wir doch in Berlin über modernste Medienthemen sprechen sollten. Die Wolke war durchaus hinderlich, schwerer wirkte sich indes die traditionell unterschiedliche Zeitwahrnehmung in Frankreich und Deutschland aus. Denn die stimmt in beiden Ländern ebenso wenig überein wie der Ablauf bei Geschäftsanbahnungsgesprächen.
Auf Einladung der französischen Gäste, die per Ausnahmegenehmigung im "kontrollierten Sichtflug" einschwebten, befinden wir uns in einem gehobenen Etablissement der gepflegten Nahrungs- und Getränkeaufnahme. Vor einigen Wochen bereits hatte das erste Treffen in Frankreich in einem Zusammenhang stattgefunden, der durch höchste bundesdeutsche Stellen ermöglicht und auch finanziert worden war. So fand das zweite Treffen auf Rechnung der französischen potentiellen Geschäftspartner statt, die dann auch den Ton vorgaben. Wer zahlt, bestimmt - das gilt auch hier. Dennoch geht die Chose am Ende auf Kosten der Deutschen aus.
Aber gemach. Die deutsche Seite hat mich als Dolmetscherin angeheuert. Zunächst finden wir uns zum Vorgespräch im Hotel Adlon ein, dann geht es weiter, Gäste "von gegenüber" abholen, der Pariser Platz hat heute wie einst seine berühmten Anrainer. Man hatte sich im Vorfeld des Termins etliche Mails hin- und hergeschickt, telefoniert, eine Videokonferenz auf Englisch abgehalten - letztere wohl mit mäßigem Erfolg, "das feeling für die anderen bekommt man doch nur im persönlichen Gegenüber!", resümierte denn auch einer der deutschen Geschäftsführer die Sache.
Termine wie diese heute sind immer knifflig, auch für uns Dolmetscher. Beim Vorgespräch mit zwei Herren, ein dritter kommt später nach, erfahre ich allenfalls ahnungshalber, worum es sich dreht; im Gegenzug wird für mich deutlich, dass die deutsche Seite bereits sehr genaue Vorstellungen der Rahmendaten des sich anbahnenden Vertrages hat. Ich versuche zu erfragen, wie konkret man schon miteinander ist, was das Pariser Gespräch bereits an Übereinstimmung erbracht hat. Von dort wird berichtet, dass man sich wohl grundsätzlich geeinigt habe und es jetzt nur noch um Details gehe. Trotz dieser eindeutigen Information warne ich vorsichtig, denn das erste Treffen hatte wohl bei Canapés und Toasts stattgefunden, Absichtserklärungen zählen auf französischer Seite weniger als auf deutscher, also frage ich noch, ob es nicht sein könne, dass man erst einmal die "gemeinsame Chemie" finden müsse - so jedenfalls ticken französischen Geschäftsleute und Politiker, die ich so kenne.
Und so kommt es dann auch. Man trifft sich zum Essen, die Apéritifs passen hervorragend zu spätem Frühling und isländischer Vulkanwolke, danach wird ein akrobatisch aufgetürmter Salat aus Blättern, Möhrenspirale, Tomatenschiffchen, Artischockenherzen und Flugfisch gereicht (mit welchen Flügeln kam der?), garniert mit Gesprächen über die Politik. Das amuse-gueule zwischendurch kommt in Begleitung touristischer Erwägungen in Sachen links- und rechtsrheinischer Hauptstädte, beim plat de résistance, dem Hauptgericht, geht's mit der deutschen Einheit richtig zur Sache.
Langsam werden meine deutschen Kunden unruhig. Immer, wenn ein Themenwechsel ansteht, also etwa ab dem Salat, fangen sie an sich zu sammeln, entspannt und konzentriert zugleich zu wirken - wie ein Maikäferchen vor dem Start. Das Problem: Das Maikäferchen ist im April zu früh dran, und die Franzosen geben immer den Takt und das Thema an, frei nach: Wer fragt, führt.
Nun wird ein zweiter Hauptgang gereicht, dazu die fortbestehende Zweiteilung der Welt debattiert. Wir befinden uns in einem Restaurant, in dem die Portionen ebenso klein sind wie die Gespräche gedämpft: sehr. Als Geschäftsessensgäste hatten wir das Séparée bekommen, auch, damit ich würde dolmetschen können, ohne das Ruhebedürfnis anderer zu stören. Aber aus Perspektive der Franzosen war ich nur für small talk einbestellt, so jedenfalls mutmaßt zwischendurch leise einer meiner Auftraggeber. Ich bitte um Geduld, sage, dass man in Frankreich immer erst in Ruhe esse, und dann ...
Und während der andere Auftraggeber unter dem Tisch das Dossier mit den Zahlenwerken auf den Knien jongliert, kommt langsam ein kleines Dessert, gefolgt von einer Obstschale und Kaffee, begleitet von Gesprächen über die verehrten Ehegesponse und die lieb' Kindelein. Und wieder pumpen die deutschen Teile dieser Essensdelegation wie die Käfer kurz vorm Start.
Jetzt ist ein kleiner Umzug fällig, wird ein neues Etablissement angesteuert. Und zwischen café et pousse-café, zwischen Kaffee und dem Schnäpsken hinterher, fangen die Franzosen an zu sprechen. Sie skizzieren eins, zwei, zack die Grundlinien ihrer Vorstellungen von dem Deal, stellen charmant lächelnd Forderungen, beschreiben Wege. Meine deutschen Auftraggeber wirken müde und erschöpft vom vielen Pumpen und den vielen Gängen. Sie nicken, haben keine Einwände und noch weniger Fragen.
Dieser späte Zur-Sache-Kommen ist sehr französisch, dafür gibt es sogar einen historischen Ausdruck: entre la poire et le fromage, den ich gerade mit "zwischen Kaffee und Schnaps" übertragen hatte. "Zwischen Birne und Käse" bezeichnet einen ruhigen Moment zwischen zwei Ereignissen oder gegen Ende einer Mahlzeit. Der Begriff stammt aus dem 17. Jahrhundert, in dem der Käse nach den Früchten gereicht wurde, die sehr häufig aus heimischen Regionen stammten, also Äpfel oder Birnen waren. Und ohne hier Äpfel gegen Birnen aufrechnen zu wollen: Eine Zeitverschiebungsfalle war das Ganze allemal, egal ob Birne, Käse, Kaffee oder Schnaps.
1 Kommentar:
Bravo! Genau das isses! Warum hast Du Deinen Gästen das nicht vorher erzählt bzw. glaubten sie wieder mal nicht?? Salut nach Cannes, Juliette
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