Liebe Leserin/lieber Leser aus Wien,
die/der Sie gestern über Google etwas zum Thema "dolmetscher ist ein verräter" gesucht haben und sich dann eine Viertelstunde bei uns umsahen. Mit dem größten Vergnügen liefern wir Ihnen nach, was Sie möglicherweise suchten, denn unsere Webseitenstatistik besagt auch, dass viele von Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, gerne wiederholt hier vorbeischauen.
Sie suchten vermutlich das italienische Sprichwort "traduttore, traditore". Das heißt auf Deutsch in etwa: "Übersetzer ist gleich Verräter". Legen wir das französische Wort für 'Dolmetscher' zugrunde, interprète, und interpretieren wir: "Der Übersetzer betreibt bei Ausübung seiner Arbeit stets Verrat am Ausgangstext."
Denn zu 100 % kann kein Text in einer anderen als der ureigensten Sprache des Textes wiedergegeben werden. Immer sind es andere Laute, aus denen die Worte der Übersetzung bestehen, beziehen sich die Begriffe auf andere Fakten, die vom jeweiligen kulturellen Kontext bestimmt sind, bilden die Sprachen andere Erfahrungen, Sichtweisen oder eben auch Interpretationen ab, besonders bei den sogenannten 'stehenden Redewendungen'. Also "traduttore, traditore" - auch als Illustration für den rhetorischen Begriff 'Paronym', denn die Begriffe klingen im Italienischen sehr ähnlich, darauf fußt das Sprichwort.
Wie lösen wir Übersetzer nun diese schwierige Aufgabe? Beim Übersetzen von Literatur ist es erlaubt, wenn ein mitschwingendes Bild nicht sofort übersetzt werden kann, bei später im Text vorkommenden Begriffen auf Worte zurückzugreifen, die durch ihren Kontext vielleicht diese Anspielungen aufgreifen. Ich habe das konkrete Beispielgedicht vergessen, wo das französische "danger de mort" richtig mit "Lebensgefahr" übersetzt war, nur, dass eben auf Französisch es die Gefahr des Zutodekommens ist, wörtlich: "Gefahr des Todes". Die Übersetzerin ins Deutsche hatte später im Text, wo sich einige beschreibende Adjektive häuften, immer die auch zur Wahl stehende düstere Variante gewählt, um das Gefühl, den der Originaltext auslöste, zu wahren.
Dabei besteht natürlich auch immer die Gefahr der Überinterpretation oder dass sich eine Übersetzerlösung wie von Zauberhand verändert, weil die Wortbestandteile mit der Zeit andere Bedeutungszusammenhänge bekommen. Ein einfaches Beispiel aus dem amerikanischen Englischen: Die Zahlenfolge 911 - gesprochen 'nine eleven' - ist seit 2001 mit Wolkenkratzern und Flugzeugen konnotiert. Bis zum 10. September 2001 dachten bei dieser Zahl alle an den Telefonnotruf, "Polizeiruf 110" gewissermaßen. Oder aber der Übersetzer ist ein so ausgezeichneter Verräter, dass er die falschen Komplimente erhält, was dann auch irgendwie peinlich ist: Jemand versteht beide Sprachen und findet am Ende die Übersetzung viel besser als das Original ... (Alles schon erlebt!)
Ebenso böse wie das italienische Zitat ist diese Redensart da: "Eine Übersetzung ist wie eine Frau: Entweder, sie ist schön, oder aber sie ist treu."
Wir können derlei Verunglimpfungen natürlich überhaupt nicht gutheißen, freuen uns aber immer wieder über das politisch hochgradig Unkorrekte ...
Die besten Wochenendgrüße,
Caroline
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Bild: "Handwerkszeug eines Verräters" (ein kleiner Teil davon)
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