Freitag, 19. September 2025

Anstrengender Alltag

Her­zlich will­kom­men! Als Kon­fe­renz­dol­met­sche­rin für Deutsch und Fran­zö­sisch (so­wie aus dem Eng­li­schen) ar­bei­te ich in­ter­na­tio­nal. Ich be­rich­te von Kon­fe­ren­zen, De­le­ga­tio­nen und Ge­sprä­chen, bei de­nen Spra­che mehr ist als nur Mit­tel zum Zweck. Manch­mal sit­ze ich auch län­ger am Schreib­tisch. Je nach The­ma ist da­bei mo­men­ta­ne Ein­sam­keit gar nicht gut.

Klavier, Tisch (angeschnitten), Lampen, Bilder, alles sehr unscharf auf einer sehr alten Fotografie
Mu­sik­zim­mer (um 1900)
Neu­lich ha­be ich al­te Lis­ten über­setzt, Woh­nungs­in­ven­ta­re, wie sie von den Na­zis er­stellt wur­den im Zu­ge der Ent­rech­tung, Ver­schlep­pung und in­dus­tri­el­len Er­mor­dung von Men­schen, die ih­nen nicht ge­passt ha­ben, von An­ders­den­ken­den und -glau­ben­den. Es war grau­en­voll. Der Ein­satz war un­ab­hän­gig von mei­ner Rei­se nach Wei­mar vor ei­ner Wo­che, hat mir aber er­neut auf­ge­zeigt, wo­hin to­ta­li­tä­re Sys­te­me stre­ben.

Die USA sind in­zwi­schen ein to­ta­li­tä­rer Staat, ob die Mid­term-Wah­len über­haupt statt­fin­den wer­den, steht in den Ster­nen. Rei­sen dort­hin sind, wenn mög­lich, zu ver­schie­ben.

Dort dür­fen in­zwi­schen auch un­ge­straft Men­schen im TV vor­schla­gen, Leu­te, die auf der Stra­ße le­ben, die nicht ar­bei­ten wol­len, die krank sind und Hil­fe ab­leh­nen, mit der Gift­sprit­ze zu er­mor­den. Es ist die lo­gi­sche Kon­se­quenz aus dem Ul­tra­li­be­ra­lis­mus und der Ma­xi­mal­ver­wer­tung von al­lem und je­dem: Der Ge­dan­ke, „un­nüt­ze Mäu­ler“ müs­sten künf­tig nicht mehr ge­füt­tert wer­den. Ein Grund­recht auf Woh­nen ha­ben sie schon jetzt nicht.

Es ist hohe Zeit, dass wir den Auf­trag des Grund­ge­set­zes ernst­neh­men und auf die ex­tre­mis­ti­schen Aus­wüch­se der Po­li­tik ei­ne Ant­wort fin­den.

Die Er­mor­dung von Char­lie Kirk ist tra­gisch: Ei­ne Frau ver­liert ih­ren Mann, Kin­der ver­lie­ren den Va­ter. Doch zu­gleich war sein Tod der An­lass, die po­li­ti­sche La­ge in den USA wei­ter zu ver­gif­ten.

In den Me­dien wur­de Char­lie Kirk jah­re­lang (und diese Wochen auch in Deutschland) ein "kon­ser­va­ti­ver Ak­ti­vist" ge­nannt. Doch sei­ne Rhe­to­rik reich­te weit da­rü­ber hin­aus: Er be­trieb ge­ziel­te Het­ze ge­gen Min­der­hei­ten, schür­te Miss­trau­en ge­gen de­mo­kra­ti­sche In­sti­tu­tio­nen und ver­brei­te­te Ver­schwö­rungs­er­zäh­lun­gen. Wer das nüch­tern ana­ly­siert, er­kennt: Er war kein Ak­ti­vist, son­dern ein po­li­ti­scher Agi­ta­tor, des­sen Auf­trit­te sys­te­ma­tisch Hass und Spal­tung be­feu­ert ha­ben.

Seit dem Tag des At­ten­tats wird er von Pre­di­gern und Kul­tur­kämp­fern in­stru­men­ta­li­siert und zum „Mär­ty­rer“ sti­li­siert. Mein Herz ver­krampft sich, wenn ich dar­an den­ke, dass es in Eu­ro­pa Ver­tre­ter:in­nen von Volks­par­tei­en gibt, die in die­sel­be Ker­be schla­gen.

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Foto: Pri­vat­ar­chiv Elias Los­sow

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