Die Behauptung ist rasch aufgestellt und immer öfter zu hören: „Die KI übersetzt heute schon fast so gut wie Menschen.“ Sie klingt modern, effizient und alternativlos. Und sie taucht zuverlässig immer dann auf, wenn Budgets knapper und Verantwortung ausgelagert werden.
![]() |
| Arbeitsplatz Dolmetschkabine |
Nicht, weil KI nichts könnte, sie ist nützlich: Hier setzt sie zum Beispiel Soft hyphens. Sie hilft manchmal auch, einen ersten Überblick zu bekommen. Die Behauptung mit dem Dolmetschen ist aber deshalb falsch, weil viele Zweibeiner nicht verstehen (oder nicht verstehen wollen), was Dolmetschen ist.
Warum Dolmetscher:innen nicht einfach austauschbar sind
Konferenzdolmetschen ist keine Wort-für-Wort-Übertragung. Wer das glaubt, hat noch nie erlebt, wie Bedeutung unter Zeitdruck entsteht. Wir Dolmetscher:innen treffen permanent Entscheidungen, und zwar in Sekundenbruchteilen. Wir hören nicht nur Wörter, sondern Absichten. Wir registrieren Tonfall, Auslassungen, vorsichtige Formulierungen und gezielte Unschärfen. Und wir wissen, wann es klüger ist, etwas minimal zu glätten oder ein falsch verwendetes Wort zu korrigieren ... und wann genau das nicht passieren darf.
Eine KI verarbeitet Sprache. Ein Mensch arbeitet in Situationen und bringt Gefühle mit ein. Das ist kein romantischer Unterschied, sondern ein funktionaler. Deshalb sind wir Dolmetscher:innen nicht einfach austauschbar, genau deshalb scheitert KI dort, wo zwischenmenschliche Kommunikation Folgen hat.
Woran lassen sich „KI-Übelsetzungen“ erkennen?
Schlechte KI-Auswürfe, die vorgeben, Übersetzungen zu sein, fallen selten dadurch auf, dass jedes Wort falsch wäre. Im Gegenteil: Sie wirken auf den ersten Blick erstaunlich korrekt. Das Problem ist dabei nie der einzelne Satz, es ist das Gesamtbild, sind Anspielungen und die kulturellen Hintergründe, die zwischen den Textzeilen hindurchscheinen bzw. eben nicht, weil der KI das kulturelle Hinterland fehlt. Bei Texten, die am Ende noch durch einen Sprachgenerator gejagt werden, ist es ähnlich. Zusätzliche Fehler, die bei diesem letzten Schritt entstehen, sitzen on top wie die kandierte Kirsche auf der Torte.
Die Sätze dieser Produkte sind grammatikalisch sauber, Tippfehler selten. Der Ton ist neutral, manchmal sogar elegant. Und trotzdem bleibt am Ende wenig hängen. Was fehlt, ist Position, Haltung, das Wissen um Standpunkte, um Kommunikationsabsichten und Gefahren.
Konferenzen drehen sich meistens um die Ausnahme, das Besondere, Neue, Aktuelle. Die KI aber vermeidet Zuspitzung. Sie scheut Widerspruch, sie kennt keine Verantwortung. Das Ergebnis ist Sprache ohne Gewicht. In einer Konferenz, in der Entscheidungen vorbereitet oder legitimiert werden sollen, ist das nicht harmlos, sondern kann riskant werden. Die Wortwahl der KI folgt der Wahrscheinlichkeit, dem mathematischen Durchschnitt. Als Beispiel dürfen Sie an Malerfahrungen aus der Kindheit denken: Alle Farben zusammengemischt ergeben grau.
2. Maschinen kennen Wörter, keine Absichten
Die KI übersetzt, was gesagt wird, nicht das, was gemeint ist. Ironie wird zu Ernst, Vorsicht wird zu Beliebigkeit, Kritik klingt plötzlich wie eine sachliche Randbemerkung. Für das Publikum entsteht ein völlig anderes Bild, nicht offensichtlich falsch, aber verzerrt. Genau darin liegt die Gefahr: Niemand springt auf, niemand widerspricht oder hinterfragt die Statements. Trotzdem hat sich die Bedeutung verändert.
3. Maschinen ignorieren Machtverhältnisse
Bei Konferenzen sprechen nicht alle auf Augenhöhe. Das ist kein Geheimnis, sondern Alltag. Erfahrene Dolmetscher:innen hören, wer absichert, wer provoziert und wer deeskalieren will. Sie erkennen, wann ein Satz formal höflich ist, aber inhaltlich Druck ausübt. KI erkennt Satzstrukturen, aber sie erkennt nicht, wer gerade wem etwas sagt.
4. Maschinen scheitern an Fachlogik
Fachbegriffe sind selten das eigentliche Problem, Fachlogik schon. Die KI kann Terminologie reproduzieren und damit Kommunikation simulieren, sie kann aber nicht beurteilen, ob Begriffe zueinander passen, ob sie im gegebenen Kontext Sinn ergeben oder ob jemand sie gerade strategisch falsch verwendet. Wir Menschen korrigieren leise, die KI reproduziert konsequent, auch dann, wenn der Fehler offenbar ist. Sie stellt keine Fragen, ist auch hier aalglatt, bequem im Umgang und liefert damit unzuverlässigen Output.
5. Maschinen machen Fehler, Menschen auch
Konfabulationen oder vorschnelle Interpretationen der KI haben inzwischen wohl alle schon mal gelesen. Die KI kann sich nicht selbst ausbremsen und ist nicht selbstkritisch. Wenn am Ende 20 Prozent des Auswurfs 'unscharf' ist, erfunden oder verpeilt, warnt die Maschine einen nicht. Was soll das Publikum am Ende glauben? Und wenn Menschen Fehler machen, und Menschen machen Fehler, erkennt die KI das nicht, warnt nicht vor Missverständnissen, überträgt 1:1. Grundsätzlich gilt: Die KI kennt keine Fehler.
Bei Kunden führte das zu viel Aufruhr, weil eine Textübertragungs-KI das Gegenteil von dem produziert hat, was gemeint war: klick. Das war 2021. Auch heute finden sich immer wieder grobe Fehler in Texten.
![]() |
| Die „KI“ arbeitet zudem nicht allein: Ohne massenhafte Ausbeutung in armen Ländern ist sie nicht möglich |
Viele Auftraggeber gehen davon aus, dass es beim Dolmetschen vor allem darum geht, dass „es irgendwie ankommt“. Das reicht aber nicht: Gerade bei Verhandlungen, politischen Gesprächen oder fachlich sensiblen Themen entscheidet der Ton über die Wirkung. Wir alle kennen die Aussagen, dass die Körpersprache einen wesentlichen Anteil an der Kommunikation hat, wenn nicht gar den größten.
Eine KI hat keinen Körper, keinen Auftritt, wenn es um Vor-Ort-Verhandlungen im Kleinen oder um die große Bühne geht. Eine KI fragt nicht vor dem Einsatz die situationstypischen Begriffsverwendungen ab. Eine KI überschreitet unsichtbar die Schwelle ihrer eigenen Inkompetenz. Wir Menschen haben die Größe, Lücken einzugestehen, wir Menschen fragen nach oder überlegen gemeinsam mit den Kunden, um gute Musterübersetzungen zu finden, sollte terminologisches Glatteis drohen, also „Beinbruchgefahr“ bestehen. Die KI hat kein Bein, erkennt also auch solche Gefahren nicht.
Wesentlich: Eine minimale Verschiebung kann Beziehungen beschädigen, Missverständnisse erzeugen oder Vertrauen untergraben. Die KI bemerkt das nicht, weil sie nicht weiß, was Vertrauen ist. Menschen schon. Und sie geben Inhalte, anders als viele KI-Systeme, nicht standardmäßig an Tech-Konzerne weiter.
Warum KI trotzdem gern eingesetzt wird
Nicht, weil sie besser wäre, sondern weil sie billig erscheint, sofort verfügbar ist und Verantwortung verschiebt. Das ist bequem, aber kein professioneller Umgang mit Kommunikation. Wenn etwas schiefgeht, war es die Technik und kein persönliches Versagen, kein Fehler im System. Möglicherweise wurde aber aus „billig“ plötzlich richtig teuer.
Konferenzdolmetschen ist kein technisches Feature, sondern menschliche Kompetenz. Daher sind wir zweibeinigen Konferenzdolmetscher:innen unersetzlich, und das gilt auch für jene von uns, die vielleicht im Rolli sitzen oder mit Krücken ankommen.
Bis zum nächsten KI-Mittwoch!
______________________________
Foto: C.E. / Wikicommons (mechanical Turc)


Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen