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Freitag, 29. August 2025

Reichtum und Repräsentanz

Was uns Dol­met­sche­rin­nen und Über­set­ze­rin­nen be­schäf­tigt, wie wir ar­bei­ten, be­schrei­be ich hier. Und es gibt na­tür­lich auch ei­ni­ge (eher we­ni­ge) die Her­ren im Be­ruf, die nicht aus­ge­blen­det wer­den. Von Be­rufs we­gen be­ob­ach­te ich die Zeit­läuf­te sehr ge­nau und zieh­e so mei­ne Schlüs­se aus dem, was ich höre und se­he.

Heute liegt et­was Hin­ter­grund­ar­beit zum deutsch-franz­ös­ischen Minis­ter­rat auf dem Tisch, ich über­set­ze ja auch, und zwar für Po­litik und Me­dien. Der Blick rich­tet sich eben­so auf das All­tags­ge­sche­hen in Frank­reich, dort wack­elt die Re­gie­rung. Da­zu mehr, so­bald die Fol­gen kla­rer wer­den.

Mich be­schäf­tigen der­zeit zu­sammen mit Me­dien­leu­ten die Ge­fahren, in die vie­le west­liche De­mo­kra­tien ge­raten sind. Als Sprach­ar­bei­te­rin dol­met­sche oder über­set­ze ich und be­halte mei­nen Senf für mich. Aber HIER ist mein Space, hier darf ich mei­ne Mei­nung sa­gen.

In der Vor­berei­tung habe ich mir über­legt, wel­che Zi­tate wohl zu hö­ren sein wür­den, und prompt kam Winston Churchill, der sagte: "De­mo­kratie ist die schlech­teste al­ler Re­gie­rungs­formen, ab­gesehen von all den an­deren For­men, die von Zeit zu Zeit aus­pro­biert wor­den sind." (La démo­cratie est le pire des ré­gimes, à l’exception de tous les au­tres qui ont été es­sayés de temps à autre). Ich kon­nte das Zi­tat ein­fach so ab­lesen. Pre­pa­ra­tion is king.

Kri­tiker ha­ben in ei­nem Punkt recht: Die De­mo­kratie ist schwach, hat zu viele Ein­falls­tore für Ma­ni­pu­la­tion, Kor­rup­tion und Kli­en­te­lis­mus. An­statt in Angst­starre zu ver­fal­len, soll­ten wir ge­mein­sam nach­denken und kon­krete Vor­schlä­ge wie auch Vi­sio­nen an­bie­ten.

Mein Vor­schlag: mehr Mo­mente der Be­nennung und De­le­gie­rung durch Zu­fall, ähn­lich der Schö­ffen­wahl in den Po­li­tik­be­trieb ein­fü­gen. Das könn­te zu reprä­sen­tativen Gre­mien füh­ren, de­ren Mit­glie­der für Lob­by­is­ten nicht er­reich­bar sind, ab­ge­schirmt und an­onym.

Wich­tig ist, dass sie für ihre Zeit gut be­zahlt wer­den, um sich in Fach­the­men zu ver­tiefen, be­ra­ten von Wis­sen­schaft­lern und Ex­per­ten. Es gibt sie schon, et­wa in der Stadt­pla­nung. Ih­re Er­geb­nisse wer­den re­gel­mäßig hoch be­wer­tet. Doch bis­lang hat­­ten die­se Gre­mien nur be­ra­tenden Wert. Ich weiß noch nicht ge­nau, wie so et­was in den Po­litik­be­trieb ein­zu­flechten wä­re, aber sie könn­ten Schwä­chen der De­mo­kratie aus­zu­glei­chen hel­fen. EDIT (Le­ser­zu­schrift): Fach­men­schen soll­ten in den ent­spre­chen­den Be­rei­chen als fach­li­che Be­richt­er­stat­ter hinzukommen.

Noch ein Punkt: No tax­ation with­out rep­resen­ta­tion war einst ein Schlacht­begriff auf dem Weg zur De­mo­kratie. Men­schen, die Steu­ern zah­len, müs­sen auch ihre Ver­treter:in­nen ins Par­la­ment ent­senden dür­fen. Den Be­griff müs­sen wir um­dre­hen: No rep­resen­ta­tion with­out pro­por­tion­ate tax­ation, „Keine po­li­tische Ver­tretung oh­ne an­tei­lige Be­steue­rung.“ Klingt lo­gisch, scheint aber der­zeit ein gro­ßes Pro­blem zu sein.

Die Ver­mögens­ver­tei­lung in Deutsch­land  ist bei vie­len Mee­tings oft the ele­phant in the roomal­le se­hen sie, nie­mand spricht sie an.

Es wird ge­schätzt, dass heu­te den reich­sten zehn Pro­zent der Haus­halte 60 bis 74 Pro­zent des ge­samten Net­to­ver­mögens ge­hö­ren, dem reich­sten ei­nen Pro­zent so­gar 35 Pro­zent des Ge­samtnet­to­ver­mögens. 2017 soll­en es erst 18 Pro­zent ge­we­sen sein, 2020 knapp 25. Die Pan­demie hat we­nige sehr viel rei­cher und viele är­mer ge­macht.

Heute lie­gen wir bei et­wa 35 Pro­zent und ei­len Rich­tung 50-Pro­zent-Mar­ke. Das war der Wert, den das ei­ne Pro­zent 1895, in den An­fän­gen der In­dus­tri­ali­sierung, be­saß. 

Kinder debattieren in historischen Kostümen
Demokratie in der Schule und als Rollenspiel
Wir er­leben ei­ne Re­feu­da­li­sie­rung.

Ein­schub: Die­se Pro­zent­sät­ze sind Schät­­zun­gen, denn es feh­len amt­liche Da­ten zu den Rei­chen und Su­per­rei­chen. Die Er­he­bung wur­de 1997 ge­stoppt, als die Ver­mögens­steuer aus­gesetzt wur­de (nicht dau­er­haft ab­ge­schafft). 

An­lass war ein Ur­teil des Bun­des­ver­fas­sungs­gerichts von 1995, das be­mäng­elte, dass Immo­bilien­be­sit­zer steu­er­lich zu gering be­las­tet wür­den, was am Dur­chein­ander der ver­al­teten Ei­nheits­werte und Grund­steu­er­mo­del­le­n in Ost und West lag. Seit dem 1.1.2025 gibt es die neue Grund­steuer. Lo­gi­scher­wei­se müss­te die Po­litik nun nach­zie­hen und die Ver­mögens­be­steuer­ung wie­der scharf stel­len. Ein­schub­en­de.

Auf­grund der Schät­zun­gen ha­ben wir kein ob­jek­tives Bild über die Ver­mögens­an­häu­fung. Noch ein Pro­blem: Die Werte der Bör­se sind längst von den Werten der Re­al­wirt­schaft ent­koppelt, vie­les ist im wirk­li­chen Le­ben nicht ge­deckt. Trotz der Ver­zer­rungen wer­den hier Ten­den­zen auf­ge­zeigt. Die über­ho­hen Werte an den Bör­sen ha­ben zu­dem zu ei­ner mas­siven Ver­teue­rung von Immo­bilien ge­führt, die seit dem Bör­sen­crash 2008 das gro­ße Ding sind. In der Kon­se­quenz stei­gen die Mie­ten, und zwar deut­lich schnel­ler als die Ein­kom­men.

Zur Voll­ständig­keit der Zah­len: Die un­teren 20 Pro­zent sol­len gar kein Ver­mö­gen be­sit­zen, et­wa neun Pro­zent ver­schul­det sein. Auch die­se Zahl ist we­nig aus­sage­kräftig. Men­schen mit Ver­mö­gen be­kom­men leicht Kre­dite, et­wa für Immo­bilien, die dann von den Mie­ter:in­nen ab­be­zahlt wer­den. Auf dem Pa­pier ha­ben diese Su­per­reichen im Sal­do kaum zu ver­steu­erndes Ein­kom­men. Ihre Steu­er­quote ist oft lä­cher­lich im Ver­gleich zum Mit­tel­stand.

Vie­le Wähler:in­nen füh­len sich ohn­mäch­tig, et­liche ver­zweifelt. An Wahl­tagen re­agie­ren sie mit „wü­tenden“ Ges­ten. Ich ent­schuldige nichts, ich ver­suche, es mir zu er­klären.

Gier und Hab­sucht ha­ben in der Bi­bel kei­nen gu­ten Stand. Da­für pre­digt die­ser alt­ehr­wür­dige Text Mild­tä­tig­keit und Näch­sten­liebe. Und wer re­giert? Wun­der­lich, das Gan­ze.

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Bild: pixlr.com (Zufallsfund)

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