Donnerstag, 22. Februar 2018

Soundcheck in der Berlinale-WG

Guten Tag oder guten Abend! Sie sind mit­ten in ein Ar­beits­ta­ge­buch hinein­ge­ra­ten, in dem sich al­les um Spra­che, Dol­met­schen, Über­setzen und Kult­uren dreht. Als frei­be­ruf­li­che Sprach­mitt­lerin ar­bei­te ich in Pa­ris, Berlin, Toulouse, Frank­furt und dort, wo man mich braucht.

Blick über den Küchentisch in der Nacht
In Cafés zu laut gestellte Musik moniert bitteschön wer? Die Filmmischmeisterin oder eine Dolmetscherin. Im allgemeinen Barbarhabarber (auf Französich le brouhaha) vor dem Kinoeinlass, ir­gend­wo dudelt "Muzak", also Auf­zugs­du­de­lei, brummen, sum­men und klingeln Mo­bil­te­le­fo­ne: Wer hört das und weist ihre Eigentümer darauf hin? Die Vorgenannten.

Der Kompressor des neuen Kühlschranks klingt so, als würde eine Maus einen Frosch verdauen, es quietscht und quakt leise. In der Berlinale-WG sitzen zwei akustisch Hochsensible, schauen sich an und prusten los. (Zumal die anderen, die nicht mit Tönen und Worten zu tun haben, in den letzten Tagen wiederholt be­kun­det haben, nichts Auffälliges zu vernehmen.)

Unsere Generation ist nicht mit Smartphones und Dauerbeschallung via Kopfhörer aufgewachsen; von uns hören nur jene schlecht, die laute Musik gemacht oder kon­su­miert haben. Die Jüngeren aber haben in der Regel schon früh deutliche Hör­schä­den. Das führt nicht nur zu Kom­mu­ni­ka­tions­pro­blemen, wir hatten schon Leute vor der Dolmet­scherkabine stehen, denen die einstellbare Maximal­laut­stär­ke der Empfangsgeräte nicht gereicht hat, sondern auch zu erhöhten Ge­sund­heits­kos­ten. Damit geht es die Allgemeinheit an. Fachleute warnen seit Jahren. Und es passiert ... nichts.

Unsere Politik braucht dringend weitere Vorsorgeprinzipien, denn im Alltag von Mehrheitengewinnung und Machterhalt geht zu viel verloren. Diese sollten die Ge­sund­heit von Mensch und Umwelt im Auge haben. Ein Verfassungsparagraf, der Mut­ter Natur eigenständige Rechte zuweist, eine Kommission, die dieses über­wacht, Ge­ri­chte, die schädi­gende Erfindungen und Verfahrens­weisen aus dem Ver­kehr zie­hen, das wär's. Es ist nur eine Frage der Zeit, und wir bekommen das. Und alle, die jetzt augenrollend "Bevor­mun­dung!" schreien, werden nach einiger Zeit mit diesen Regelungen diese loben.

So weise sind wir in der Berlinale-WG, wenn wir morgens zwischen halb eins und halb drei die Welt neu erfinden.

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Foto: C.E.

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