Montag, 29. Mai 2017

"Binge Learning" vs. echtes Lernen

Hallo, hier bloggt ei­ne Sprach­ar­bei­te­rin. Ich über­set­ze und dol­met­sche. Ar­beits­spra­chen: Fran­zö­sisch (aktiv und passiv) und Englisch (nur Aus­gangs­spra­che). Die Einsätze sind nur die jeweilige Spitze des Wissenseisbergs. Die Hauptarbeit ge­schieht in Vor- und Nachbereitung. Das ist der Eisblock unter der Spitze.

Vor fünfzehn Jahren hörte ich zum ersten Mal von Binge drinking, Komasaufen.

Infotafel Denkmal Rieselfeld Großbeeren
Rieselfeldinfo, im Vorbeirennen dokumentiert ...
Wir Spracharbeiter kennen gelegentlich das Phänomen des Binge learning. Wir kom­men uns immer wieder vor wie die Prüflinge, die auf den letzten Drücker ... als hätten wir unsere Materialien nicht rechtzeitig organisiert, das Lernen nicht gut struk­tu­riert und vor allem nicht beizeiten angefangen. Alternativ geht als Ausdruck auch compulsive learning.

Zwanghaftes Lernen geht schon in die Richtung einer seelischen Störung, "bu­li­mi­sches Lernen", Reinfressen und Rauskotzen, ebenso. Wenn es nicht die Seele ist, so kann derlei Phänomen auf suboptimales Zeitmanagement zurückgehen. In 80 % der Fälle waren wir selbst übrigens gar nicht zu spät dran. Da hängen wir Sprach­ar­bei­ter schlicht und ergreifend davon ab, was uns die Kunden a) nicht, b) in Etappen oder c) zu spät zur Vorbereitung zuschicken.

[Kurzer Sidekick: Manche Endkunden erfahren von unseren Ma­te­rial­wün­schen rein gar nichts, gerade wenn Sprachmakler, die sogenannten Agenturen, im Spiel sind. Diese sind nicht selten Meister im Abblocken direkter Kontakte, um die Kontrolle über die Kundendaten zu behalten, verständlich, aber sie behindern uns in der Ar­beit und gefährden damit die Qualität des Einsatzes.]

Im Fall von a), gar keine Informationen, erreicht mich am späten Vorabend einer Ackerbegehung dann schon mal die entsetzte Frage einer Kollegin, wo denn bit­te­schön der Referent seine PowerPointPräsentation abspielen möchte. Madame, das war Hintergrundmaterial aus der allerersten Aussendung meinerseits und enthielt desweiteren gut sichtbar das Datum 2014. Und ja, ich kann die bange Frage kurz vor knapp verstehen, der Stress erhöht bei uns allen den Grad der Nervosität.

Und dann treffen wir vor Ort ein und es warten plötzlich — Überraschung! — drei völlig unbekannte Präsentationen, von illustrierten Grafiken unterstützt, in einem kleinen Konferenzraum auf uns und darin mindestens zwei Dutzend nicht vor­be­rei­te­ter Fachbegriffe. 

Der teilgeschlossene, urbane Wasserkreislauf
Wasseraufbereitung heute, gesehen in Charlottenburg
Mancher Redner mag sich wun­dern, wenn wir, wir sind noch immer beim Beispiel Acker­be­ge­hung und Vor­be­rei­tung, an­schlie­ßend freund­lich um die Zu­sen­dung nämlicher PowerpointPräsentationen bit­ten.

Denn uns geht es wie Po­li­ti­kern: Nach der Wahl ist vor der Wahl, nach dem Einsatz ist vor dem Einsatz.

Damit das Binge Learning beim nächsten Mal nicht ganz so schlimm wird, bereiten wir uns nach. Für mich bedeutet das: Jeden Tag, auch samstags und sonntags, zwei Stunden mit meinen Sprachen zu tun zu haben ... und mit spannenden In­hal­ten!

Mein Lernschwerpunkt im Englischen derzeit: Akzente und Verfestigung dessen, was wir bei den Konferenzen erfahren haben. Ab morgen: Böden, Wasserreinigung, Bodenrehabilitation, Erosion, Kleinstlebewesen und Biochemie auf dem Acker, verteilt auf mehrere Tage, Stichwort: #Lernzyklen. Dazu gleich noch der Link zum textlastigen Foto in höherer Auflösung: Rieselfeld_Großbeeren (groß) (15,8 MB).



______________________________
Fotos: C.E. / Film: United States Studies Centre

Keine Kommentare: