Donnerstag, 23. Februar 2017

PowerPoints übersetzen

Guten Tag oder guten Abend! Sie sind mit­ten in ein Ar­beits­ta­ge­buch hinein­ge­ra­ten, in dem sich al­les um Spra­che, Dol­met­schen, Über­setzen und Kult­uren dreht. Als frei­be­ruf­li­che Sprach­mitt­lerin ar­bei­te ich in Pa­ris, Berlin, Marseille, Hei­del­berg und dort, wo man mich braucht. Heute wieder: Das Feld zwischen Traum und Realität.

Vor vielen Monaten habe ich Korrespondenzen für die Ausstellung "Best Actress" der Oscars übersetzt, die jährlich Ende Februar von der Academy of Motion Picture Arts and Sciences (AMPAS) verliehen werden. Seither sehe ich die Os­car­ver­lei­hun­gen anders. Emma Stone, nominiert für La La Land, hat mal in einem Interview gesagt, wie sie ihre Eltern überzeugt hat, Schauspielerin werden zu dürfen: Mit einer am Abend­essenstisch vorgeführten PowerPoint­Präsentation.

Ich hänge meinen Tagträumen nach der Lektüre einiger Texte zur amerikanischen Film­wirt­schaft nach, da kommt die Anfrage zur Übersetzung einer Po­wer­Point­Präsentation rein. Leider geht es nicht um Kino, sondern um Bergbau. Der Kunde möchte mei­nen Zeilenpreis wissen. Ich nenne ihn — und kündige die Lieferung der Übersetzung als Word-Dokument an. Der Kunde bittet um Bearbeitung direkt im Prä­sen­ta­tions­for­mat. Ich nenne den Stundensatz. Er fragt, wie viele Stunden die Arbeit in Anspruch nehmen wird. Ich nenne eine Von-bis-Zahl.

Der Kunde verlangt nach einem Pauschalpreis. Aber meiner Erfahrung nach sind diese Präsentationen immer Fummelarbeit, es läuft immer etwas gar nicht bzw. aus dem Ruder. Auch muss unsereiner, ähnlich wie bei der Übersetzung von Un­ter­ti­teln, sich dem oft knappen Platzangebot anpassen. "Übersetzen in einer Zwangs­jacke" nennt das Kollegin Andrea Kirchhartz aus Hamburg.

Der Kunde insistiert. Ich lege nach: "Po­wer­Point­Präsentationen bergen für uns Über­set­zer ein nicht kalkulierbares Risiko, denn Grafiken, Schriften und Layout sind anzupassen, was im Vorfeld schwer zu kalkulieren ist. Daher berechnen wir den tat­säch­li­chen Zeitaufwand. Unsere Kostenvoranschläge sind nur Richt­werte. Einen Festpreis kann ich Ihnen bei Lieferung in Word anbieten (dabei lege ich die Anzahl der Anschläge plus einen Mittelwert von 15 % Vo­lu­men­zu­nah­me durch die Übersetzung zugrunde)."

Badezimmergrundriss
Er brauche einen bindenden Preis, setzt er nochmal an. Ich antworte: "Jeder Hand­wer­ker aus dem Bereich Gas-Wasser-Sonstwas wird Ihnen auch den tatsächlichen Aufwand in Rech­nung stellen, denn er hat ja keinen Röntgenblick. Stellen wir uns kurz vor, es gibt bei Ihnen zuhause ein Feuch­tig­keits­prob­lem in der Wand. Da wird er auch erst wissen, was zu machen ist, wenn die Ta­pe­te und der Putz ab­ge­nom­men und die halbe Wand auf­ge­klopft sind."

Und ich lege nach und frage, wie das denn im Bergbaubereich so ist, ob sich da von außen zweifelsfrei erkennen lässt, was einen unten an Störfaktoren erwartet.

Das war's. "Rechnen Sie so ab, wie Sie es brauchen!" Wird die Kollegin machen, denn während sie bei Gericht etwas zu einer Mes­ser­ste­che­rei unter Betrunkenen gedolmetscht hat, habe ich für sie verhandelt. Dann träume ich weiter vom Dolby Theatre und dem Walk of Fame, wo ich einst den Hand­ab­druck einer gewissen Hil­de­gar­de Neff bewundert habe, nachdem ich sie wenige Tage zuvor bei einem Ber­li­na­le­em­pfang gesehen hatte. Lang ist's her.

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Illustration: Büro

Mittwoch, 22. Februar 2017

Das große Stottern

Zufällig oder absichtlich haben die Seiten eines Berliner Blogs angesteuert. Hier schreibt eine Dolmetscherin und Übersetzerin über Sprache und den Arbeits­all­tag.

Sprechblasen mit Schrift - normal - gotisch (Aquarell mit Zeitungsbuchstaben)
Sprachunterschiede
Heute übersetze ich wieder In­ter­view­pas­sa­gen fürs Fernsehen. Die State­ments wur­­den bereits pro­duk­tions­fir­men­in­tern von einem Mutter­sprachler abgetippt. Ich ar­beite der­zeit der Regisseurin in der Pha­se der End­fer­ti­gung zu.
Es geht um die Natur­erfah­rung von Kin­dern. Dabei bin ich schockiert, wie die In­ter­view­ten, Kinder, Jugendliche, junge Eltern und Erzieher, mit der Sprache ha­dern. Im Ge­gen­satz zu älteren Genera­tionen, die im Film auch vorkommen, scheinen die jüngeren Menschen er­heb­li­che Probleme mit dem münd­lichen Aus­druck zu haben. Gut frei spre­chen kann von ihnen nur ein einziger, ein Dritt­kläss­ler.

Das geht mit der in der Regel unsauberen Diktion los, über sehr einfache Aus­drucks­wei­sen, die offenbar schon schwierig zu sein scheinen, bis hin zu viel­fach be­ob­ach­te­ten Un­fä­hig­keit, einen komplexen Gedanken einiger­maßen verständlich wie­der­zu­ge­ben. Ich fürchte, dass es in direkter Ableitung bedeutet, dass viele von ihnen sie ihn auch nicht wir­klich komplex den­ken kön­nen.

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Illustration: C.E.

Dienstag, 21. Februar 2017

Sie da!

Bon­jour, hello, guten Tag! Hier bloggt seit mehr als zehn Jah­ren eine Über­set­ze­rin und Dol­met­sche­rin. Die Vielfalt meiner Arbeit ist immer wieder schön.

Ein Paar in der U-Bahn
In der Berliner U-Bahn
Treat­ment­über­set­zungs­ge­dan­ke (End­spurt!), durch den Schleier der Post­ber­li­na­le­mü­­dig­­keit hindurch: die Fran­zo­sen sie­zen ihren lieben Gott, so, wie manche Menschen aus man­chen groß­bür­ger­li­chen und hö­he­ren Krei­sen auch ihre nächsten Mitmenschen, also die eigenen Erzeuger und nächsten Verwandten bis hin zur Partnerin/zum Partner siezen.

Darüber nachdenken, ob es Verbindungen gibt, die ich bislang nicht sehe. Es geht hier überwiegend wohl um den Katholizismus.

Und ob es bekannte französische Filmsequenzen gibt, so diese Sss-tellen ohne viele Worte, aber dominierender Tonspur, wo die normale Untertitlerin die Film­fi­gu­ren ein­an­der längst du­zen lassen würde, wo aber mitunter in höchsten Kreisen hart­näckig wei­ter­ge­siezt wird. Wie das klingt, so ein schweinischer Satz mit "Sie". Und wie das wiederum irgendwie als Lokalkolorit in einen englischsprachigen Untertitel einzubringen wäre, wo dieses Idiom doch allenfalls noch ein Shakespearesches "Sie" kennt.

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Foto: C.E. (Archiv)

Montag, 20. Februar 2017

Über das Übersetzen

Will­­kom­­men beim ersten Blog Deutschlands aus der Dol­­met­­scher­­ka­­bi­ne. Ich ar­bei­te in den Be­­rei­­chen Wirt­­schaft und Po­li­tik, So­ziales und Kul­tur, Hauptsprache ist Französisch. Heute folgt mal wieder ein Zitat.

"Auch wenn man es gerne leugnet: 

Fischaquarell (mit Schatten)
Dazu eines der ältesten Motive der Kunst
Das Übersetzen ist das älteste Gewerbe der Welt. Denn am Anfang war zwar das Wort, aber es ver­stand kein Mensch. Ja, man versteht es bis zum heutigen Tage so un­voll­kom­men, dass des Übersetzens und Deutens niemals je ein Ende ist. Der Übersetzer mag also auf der Ständepyramide ökonomisch weit unten an­ge­sie­delt sein, in seiner Be­deu­tung für die Kul­tur­ge­schich­te steht er ganz weit oben."

Quelle: "Das älteste Gewerbe der Welt"
Roger Willemsen

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Illustration: C.E.

Sonntag, 19. Februar 2017

Berlinaleabschied

Im elften Jahr führe ich hier mein öffentliches Arbeitstagebuch als Dol­met­scherin und Über­setzerin. Als frei­be­ruf­li­che Sprach­mitt­lerin ar­bei­te ich in Paris, Berlin, Heidelberg und Marseille — und (fast) überall dort, wo Sie mich brauchen.­

Blick zurück und nach vorn
Heute ging nach zehn Tagen ein berühmtes Festival zu En­de: Das Literaturfestival von Havanna. Heute ging auch die Berlinale zu Ende. Festival und Markt haben zusammen um die 600 Filme prä­sen­tiert. Wie lässt sich bei so vielen Filmen ein Trend beobachten? Gar nicht. Ich den­ke, dass die Ber­li­na­le zu groß und zu be­lie­big ge­wor­den ist. Ein Vier­tel weniger Filme wäre immer noch nicht zu "schaf­­fen", aber dann wür­de hof­fent­lich wie­der mehr auf Qua­li­tät ge­setzt werden.

Der Andrang an den Kassen war groß, ent­spre­chen­de TV-Bil­der flimmerten in alle Haushalte. Oft saß aber nicht nur ich in halbleeren oder deut­lich spär­li­cher ge­füllten Sälen. Derzeit ist es in vielen Kreisen noch Mode, zum internationalen Film­fes­ti­val in Ber­lin zu gehen, und das bezieht sich vor allem auf den Wettbewerb und exklusive Veranstaltungen wie das "Kulinarische Kino". Wer Erfolg hat, sollte sich immer kritisch überlegen, wie es dazu kommt und womit er oder sie sich mög­li­cher­wei­se gerade selbst ein Bein stellt. Denn dass Moden kommen, Moden gehen, weiß jedes Kind.

Neben der Filmauswahl (Vorgehen, Kriterien, Wahl der Sektion) wären wesentliche kuratorische Entscheidungen der Präsentation zu überdenken. Ich spreche von Deutsch als Bühnensprache bei den Publikumsgesprächen (auf Neudeutsch QnA). Derzeit wird dort überwiegend Englisch gesprochen, das aber sehr häufig eher Globish ist. Der internationale Charakter könnte durch Dolmetschkabinen für die englische Sprache in den Kinosälen gewahrt werden. Dann wäre die Zu­sam­men­ar­beit mit einem Technikanbieter passend, der auf leichte Empfänger setzt sowie auf die Nutzung des eigenen Mobiltelefons als Empfangsgerät (via App). In-Ear-Kopf­hö­rer können gegen eine kleine Gebühr abgegeben werden.

Dolmetscher, die im Rahmen der Berlinale arbeiten, müssten nach objektiven Kri­te­rien von unabhängigen Personen ausgewählt werden. Die Bezahlung schwankt derzeit von Sektion zu Sektion, das hat historische Gründe. Das Ergebnis ist un­ge­recht, eine Besserbezahlung sollte ebenso selbstverständlich sein wie die Ak­kre­di­tie­rung auch von im Hintergrund (z.B. bei Presseinterviews) tätigen Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen.

Es gibt noch mehr Bereiche, die zu verbessern wären: Die Bezahlung der anderen Kolleginnen und Kollegen bis hin zu den 450-Euro-Job-Praktikanten in der Saal­be­treu­ung, die vor einigen Jahren die Aufgaben der einst besser honorierten Vo­lon­tä­re übernommen haben. Das Entgelt für Moderation, in einer mir bekannten Sektion seit mehr als 15 Jahren unverändert, war schon zu Beginn der Nuller Jahre eher gering; heute ist es ein Fünftel weniger.

In Zeiten von Deindustrialisierung und Digitalisierung ist Mikrohalten beim Festival das, was der gewöhnliche Bergknecht unter den Montanberufen war. In Sachen berufsständischer Organisation sind die Festivalarbeiter im späten 19. Jahr­hun­dert, sie beginnen ge­ra­de, sich zu zusammenzutun. Hier folgt der Link zu "Klein Gla­mour hinter den Ku­lis­sen."

Vor allem braucht es auf vielen Entscheiderposten wieder Menschen, die "Zelluloid im Blut" haben, und ja, ich weiß, dass heute meistens digital gedreht wird, way of speaking. Ich meine Menschen mit echter Film- und Festivalliebe. Derzeit hat bei meinem großen Lieblingsfestival jedenfalls die andere Fraktion die Oberhand. Das Film­fes­ti­val braucht dabei weniger Marketinggedöns und Personenkult, dafür mehr Fach­kennt­nis­se bzw. street credibility.

Wenn keiner vor Dir sitzt, niemand neben Dir mit Fastfood raschelt und endlos auf dem leeren Colaeis rumschlürft, wenn niemand dazwischenquasselt und mit den Füßen im Aktionszyklus Dir in den Rücken boxt, wenn ... Der beste Platz ist in meinem Berlinale-Heimkino. Dieter Kosslick, epd Film 2/2017
Zuschauer und Kinobetreiber bezahlen die Sause
Nur ein Beispiel: Der Mann an der Spitze des Ber­li­ner Film­fes­ti­vals, der in Grund­kennt­nis­sen Schwab­lish spricht und perfekt Schwa­beutsch, hat nicht nur die Sprach­ent­schei­dun­gen der Berlinale gefällt, sondern bei der Er­öff­nung des Festivals auch damit ko­ket­tiert, dass er nie ins Kino ge­he, sein home cinema sei so viel angenehmer ohne die vielen anderen Zuschauer.

Die Sache war ein Selbstzitat, wie später aus dem Fachblatt epd Film hervorging.

Damit hat er sich jetzt nicht nur die Spracharbeiter zu ziemlich allerbesten Freun­den gemacht, sondern auch sämtliche Kinobetreiber und Verleiher. Eine grund­sätz­li­che Menschenphobie scheint es bei ihm nicht zu sein. Der oberste Chef, der erst Redenschreiber, dann Filmförderer war, schreitet jede Berlinale re­gel­mä­ßig über den roten Teppich und ist allabendlich Gastgeber bei eleganten Seated din­ners, die zum Beispiel der Berlinale Dining Club für eingeladene Filmteams und zah­le­nde Gäste veranstaltet, der Slogan lautet nicht „Rent a |Rita| Dieter“, sondern "Intime Dinner in exklusivem Ambiente".

Kurz: Ich könnte das Phänomen auch Pub­li­kums­ver­ach­tung nennen. Nämlicher Herr K. steht der Berlinale jetzt länger vor als ein anderer Herr K. der aktuellen Politik unseres Landes einst vorstand. Rufe nach vorfristiger Auflösung seines Vertrags, der bis 2019 läuft, werden derzeit immer lauter.

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Foto: Jan Hendrik Blanke

Samstag, 18. Februar 2017

Berlinaletag

Nach Mitternacht habe ich zwei Seiten Fragen eingehend studiert, die ich bald für ein Interview brauchen würde, so ging mein Beispieltag der Berlinale heute los. Ich dolmetsche und übersetze mit Zielsprachen Deutsch und Französisch (auch aus dem Englischen). Neben Film arbeite ich zu Themen der Wirtschaft und So­zial­po­li­tik, Kultur, Geschichte und Medien.

9.00 Uhr, andere in der Wohnung schlafen aus nach der Panoramaparty, ich sitze schon wieder am Schreibtisch. Gestern brach beim Sichten des Online-Screeners die Verbindung immer wieder ab, vermutlich gibt es bei manchen Last-Minute-Sichtungslinks den berühmten Stau auf der Datenautobahn. Oder das sind ir­gend­wel­che Spätfolgen des Stromausfalls vom Donnerstagabend im Nachbarkiez? (Alle, die es im Lebensmittelhandel nicht passend oder nur Plastikgeld hatten, wurden wieder weggeschickt.) Und nach dem Stromausfall wackelte bei uns das Netz.
11.30 Uhr, fertig mit dem Sehen. Zwischendurch hat das System etwas gestottert und ich habe mir viele Notizen gemacht. Ich überfliege das Presseheft ein weiteres Mal, rekapituliere die Fragen des Moderators, rufe mir den Vorgängerfilm des Re­gis­seurs in Erinnerung, der vor zwei Jahren lief und den ich nur inoffiziell gesehen habe.
12.30 Uhr, ich eile zum Potsdamer Platz. Lese auf der Fahrt weiter meine "Pres­se­clip­pings" zum Regisseur sowie die bearbeiteten Fragen auf einem leichten Gerät.
13.00 Uhr, im Hotel am Interviewort, warten, bis ich 13.30 Uhr in den In­ter­view­raum darf. Dort bleibe ich auch, als die Journalisten wechseln. Ich höre mich auf den Regisseur ein, den ich um
14.20 Uhr kurz kennenlerne.
14.40 Uhr, Ankunft im Tonstudio in einem anderen Hotel am Potsdamer Platz. Ich richte mich ein, Parlando mit den Leuten vor Ort, kurzes Vorgespräch mit dem Moderator.
Calin Peter Netzer, Antoine Guillot, Michel Ciment, Romuald Karmakar, Caroline Elias (im Uhrzeigersinn)
Im Uhrzeigersinn (von links): Calin Peter Netzer, Antoine 
Guillot, Michel Ciment, Romuald Karmakar, CE
14.50 Uhr, die Regisseure tref­fen ein, ein weiteres Vor­ge­spräch folgt.
15.05 Uhr gehen wir auf Sen­dung. Zwanzig Minuten später ist das von mir ver­dol­met­schte Interview gesendet, ich bleibe noch etwas sitzen, um einem anderen Regisseur bei Bedarf sprachlich zu hel­fen, der aus biografischen Grün­den sehr gut Französisch spricht, im Alltag aber aus­schließ­lich Deutsch.

15.40 Uhr heißt es Au revoir à Cannes ! Ich eile zum Bus ... gehe auf dem Nach­hau­se­weg noch in ein Restaurant, und als ich wieder zuhause ankomme, ist es
17.00 Uhr: Ich notiere noch einige Vokabeln, die heute wichtig waren, morgen wer­de ich die Sendung runterladen (ich pod­cas­te sie), kritisch abhören, eine zweite "Nachlese" betreiben.
17.30 Uhr: Späte Siesta, 30 Minuten, dann weiter mit einer Filmübersetzung. Open end oder Kino, das steht noch nicht fest.


Nachwort
Einmal meinte ein Kunde, dass unsere Arbeit nicht teuer sein könnte, weil sie ja mündlich geschieht. Dabei ist der Technikeinsatz für die Vorbereitung hoch. Rech­ner, Speicherkapazität (meine Drei-Ter­ra­byteplatte, das Schallarchiv, ist fast voll), mobiles Gerät, Mobil­te­le­fon, Wartung, Gebühren, das ganze Büro, das dran­hängt, Akten mit Themenmaterial, Bücher, alles Verwaltungsrelevante. Ein weiteres Re­chen­bei­spiel hier: Zahlen, bitte!
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Danke an Fanny Steyer für das Foto.
Neben Karmakar saß ich schon 2009.

Freitag, 17. Februar 2017

Berlinalesehen

Welcome, guten Tag, bonjour ... auf den Blogseiten, die in der Dol­met­scher­ka­bi­ne, am Übersetzerschreibtisch und in der Küche entstehen, dem nicht mehr ganz neuen Berlinalespielort für Film­scree­nings, hier ein Archivbild. Sonst arbeite ich in den Bereichen Politik, Kultur, Wirt­schaft und Soziales. Meine Arbeitssprachen sind Deutsch, Französisch (Ausgangs- und Ziel­spra­che) und Englisch (nur Aus­gangs­spra­che).

Vielen Dank allen Gratulanten beim Jubiläum gestern. Merci beaucoup auch allen Kun­den, die ich prompt bei meiner Danksagung vergessen habe, denn ohne sie hätte ich ja keine Schreibanlässe. Sie hatte ich als Adressaten gar nicht auf dem Schirm.

Küche mit Filmsichtung, Schreibzeug und Nüssen
Screening
Aus berechtigten Gründen ...
Zur Erinnerung: Alle Regeln des Kundenschutzes und der Vertraulichkeit wahre ich beim Schrei­ben, das ist mein höchstes Anliegen. Solange es sich nicht um Stars handelt, die mitten in der PR stecken, schreibe ich über den Be­rufs­all­tag in all­ge­mei­ner Form, fasse schon mal zwei Einsätze zusammen, ver­än­de­re den Ort oder die Jah­res­zeit.

Der Blog ist eine Autobiofiktion, alles ist wahrhaftig und beruht auf Tatsachen. Ja, ich wer­de wohl weitermachen, suche aber auch (wie die Produzenten, Sender und Geldgeber auf dem Europäischen Filmmarkt) nach neuen Formaten. Zunächst wäh­le ich mir einen festen Tag in der Woche aus für ein Hintergrundstück. Die an­de­ren Einträge werden dann wohl kürzer, mehr Gedankennotizen. Vielleicht gibt's bei Blogspot.com auch die Möglichkeit, nur einen Beitrag die Woche zu abon­nie­ren, das wäre sicher ein gutes Angebot an die Stammleser. Irgendwann wird vermutlich der Umzug auf eine eigene Domain unausweichlich werden. Ich scheue noch den damit zusammenhängenden Aufwand.

Worauf ich Lust habe sind Kollegenportraits, ggf. auch als geschnittene Tondateien im Interviewformat. Ich komme ja schließlich vom Radio und Ton liebe ich wei­ter­hin.

NEUE WELT im Schäfchenwolkenmeer
Mittagessensort
Das (späte) Blog­ge­burts­tags­mit­tag­es­sen jedenfalls fand bei vorfrühlingshaftem Wetter im Freien und anfangs sogar in der Sonne statt.

Gesprächsthema war die Gold­locke im Weißen Haus, passenderweise wünsche ich der "Neuen Welt" dazu sehr bald einen großen Lichtstreif am Horizont.


Das Motto kennen wir Spracharbeiter
Vorschau: Gestern war ich auf einer Ver­an­stal­tung des Film­fes­ti­vals für den Krea­tiv­nach­wuchs, "Talents" genannt. Es ging um Untertitel und Voice-over/Einsprechen im Kino. Einen Bericht darüber werde ich zu Ende kommender Woche schreiben, wenn ich wieder Zeit habe (und erholt bin).

Heute: Berlinale/NoBerlinale
⊗ Eilige Übersetzung eines Treat­ments für eine Serie
⊗ Filmsichtung in der Küche
⊗ Einlesen für den Samstagstermin
⊗ Kinobesuch aus Eigeninteresse
Absolutely no Parties, die Ar­beit geht vor

Pressespiegel
Der Tagesspiegel hat Spracharbeiter auf der Berlinale portraitiert, hübsches Stück, das aber kaum weiter führt als das, was wir in den letzten Jahren an Be­richt­er­stat­tung schon hatten. Der Klassiker: Die Berufe Übersetzer und Dol­met­scher werden synonymal verwendet. Die eigentliche Problematik, dass das meiste auf Globish stattfindet, wurde hier nicht mal angedeutet. Link hier: "Mit anderen Worten", Tagesspiegel vom 15.2.2017, Autor: Christian Vooren.

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Foto: C.E.

Donnerstag, 16. Februar 2017

Berlinalefrage: Hilft das?

So, heute seit exakt zehn Jahren blogge ich hier über Sprache und Film, Dol­met­schen und Übersetzen, kulturelle Eigenheiten und unsere Zeit. Die Bilder waren damals kleiner oder fehlten ganz, der Vorspann war noch nicht da und der Artikel des komischen Worts "Weblog" stand nicht fest: "der" oder "das"?

Und nun? Die Leserzahlen gehen leicht zurück, es gibt inzwischen etliche Über­set­zer- und Dolmetscherblogs; der hier war (meines Wissens) der erste in deutscher Sprache. Der Beruf wird leider gerade heftig runtergewirtschaftet von den ver­schie­dens­ten Akteuren, er büßt an Attraktivität ein. Auch da­her ver­mut­lich we­ni­ger Zugriffe.

Was nun? Weitermachen? Neues Konzept? Die Grafik lässt sich nicht mehr ändern, zumindest nicht bei blogspot.de, sie ist eingefroren, eine solche Nutzung ist mög­li­cher­wei­se nicht geplant gewesen. Oder aufhören? Nicht mehr zeitgemäß? Das Bloggen, der Beruf oder gar beides? Darüber denke ich ab morgen nach.

Ein herzliches Dankeschön möchte ich meinen zahlreichen treuen Leserinnen und lesern sagen, auch für Ihre/Eure Zuschriften, Vorschläge und Hinweise! Einen Tusch aufs hauseigene Lektorat und die Gastfotografen! Heute feiern wir erstmal mit einer stilechten mise en abyme sowie einer heißen Schokolade. Hoch die Tassen!



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Foto: Dolmetscherblog/Berlinale

Mittwoch, 15. Februar 2017

Berlinalewohnen

Im zehnten Jahr führe ich hier mein öffentliches Arbeitstagebuch als Dol­met­scherin und Über­setzerin. Als frei­be­ruf­li­che Sprach­mitt­lerin ar­bei­te ich in Paris, Berlin, Heidelberg und Marseille — und (fast) überall dort, wo Sie mich brauchen.­

Gerade klinge ich älter als meine "Omma" aus Unna, denn die hat sowas nie ge­sagt. Oder klinge ich ähnlich jung wie das Käthchen von Schluppen­burg, die einst mit gerade mal acht Lenzen, du haut de ses huit ans, gerne ihre Frau Groß­ma­ma nach­ge­macht hat, und das auch noch in bestem Bayrisch: Frrrühah, ja, frrrühah, da woa ois bessah! (Gerne folgte darauf eine Einlage rustikalen Schenkelklopfens.)

Hände, zwei Computer, ein Tablet, Wassergläser, Teebecher, Pfeffermühle, Salz, Kerze, Vitamine, Visitenkarten, Stühle (angeschnitten), Kataloge auf Bank und Boden
Vogel- oder Küchenlampenperspektive
Noch nie hatte ich bei ei­ner Ber­li­nale so viele Ver­gan­gen­heits­be­züge wie dieses Mal. Das liegt an den vielen Ver­än­de­run­gen, die mir plötzlich ins Auge stechen, denn so ein Zehn­jäh­riges ver­lei­tet na­tür­lich zum Bi­lanz­zie­hen. Man­ches, das seit Jahren schon anders ist, fällt erst jetzt auf, siehe frühere Posts. Und ich bin's leid, Verschlech­terungen fest­stel­len zu müssen.

Denn auch schöne Konstanten gibt es in diesen Jahren. Die Berlinale-WG ist eine davon. In Zeiten, in denen ich 30 bis 50 Einsätze pro Filmfestival hatte, war ich abends ein­fach durch. Extreme Müdigkeit wirkt sich auf den Bewusstseins­zu­stand wie Al­ko­hol­kon­sum aus, also war es der Job der Mitbewohner von Rhein und Ruhr, mich vom letzten "Gig" abzuholen und heil wie­der nach Hause zu ge­lei­ten. Au­ßer­dem erfuhr ich von ihnen, was ich in der Einsamkeit der Dol­met­scher­ka­bi­ne sonst nicht erfahren hätte: Wer, was, wie, wo, warum und wann.

Jetzt, wo die Berlinaleleitung auf Globish setzt und sehr viele Dolmetscher nichts mehr zu tun haben, ist meine Berlinale weitaus entspannter: Es gibt weniger Ein­sätze, die dafür besser bezahlt werden. (Wo es drauf ankommt, ist plötzlich wie­der Geld da.) Der nächt­li­che Escort-Service entfällt damit.

Nach dem Nachhausekommen, jeder disponiert selbst, sitzen wir nachts meist noch in unseren WG-ei­ge­nen Programmkonferenz zusammen, die Abteilungen und Fachrichtungen Filmton, -mi­schung, Aus­bil­dung, Jazz, Fes­ti­val­lei­tung, Programm­ma­nagement, Saalleitung, Sprache (und zunehmend auch Dramaturgie), IT und stra­te­gi­sche Planung, Ver­zah­nung von Geistes- zu Natur­wissen­schaften. Viele Ge­wer­ke und Gebiete, dabei sind wir nur zu viert, gendermäßig einigermaßen pa­ri­tä­tisch besetzt — und ge­ne­ra­tio­nen­über­grei­fend so­wie­so, denn zwischen dem Jüngsten und dem Ältesten liegen vier Jahrzehnte.

In der zweiten Berlinalehälfte wird es ruhiger. Die Kölner Tonkollegin ist schon wie­der abgereist, Moonboots und "Plümmoh", wie sie ihre daunengefüllte Jacke freund­lich nennt, sind am frühlings­haften Rhein, wo es dem Vernehmen nach heu­te 16° C. warm war, wieder im Schrank verstaut. Auch in Berlin ist der Frühling schon zu spüren. Der Winter (und auch die Zukunft) waren früher auch besser! (Danke, Karl Valentin.) So, ab mit mir ins Kino!

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Foto: C.E.

Dienstag, 14. Februar 2017

Berlinalekilometer

Hallo, hier bloggt eine Spracharbeiterin (Französisch und Englisch). Nor­ma­ler­wei­se beschreibe ich typische Alltagsmomente (anonymisiert) oder denke über Wör­ter nach. Wirtschaft, Politik und derzeit die Berlinale sind dabei die Hin­ter­grund­mu­sik.

Brandenburger Tor - bunt
Brandenburger Multicolor
So ein Festival setzt viel Ener­­gie, Leidensfähigkeit und bes­tes Schuhwerk vor­aus. Vie­le Film­ki­lo­me­ter fallen an, wie das früher geheißen hät­te, als das Sil­ber­ge­la­ti­ne­ma­te­rial noch in me­tri­schen Ein­hei­ten  gemessen wurde: Von den Kar­ten­bü­ros zu den Spiel­or­ten, über den Filmmarkt hin zu diversen Bars und Sa­lons, Aus­­tra­­gungs­­or­­te illustrer Em­­pfän­­ge.

Eigentlich geht es morgens in der Früh mit Schlangestehen los, um Tickets zu be­kom­men. Für mich als Dolmetscherin haut das nicht hin, weil ich oft noch abends ar­bei­te und ohnehin oft erst einen Tag im Voraus weiß, was mich bald beschäftigen wird. Schneller Wechsel ist in unserem Gewerbe ein Grundthema. Der wäre auch in der Kleidung angeraten. In Zeiten, in de­nen ich als Kinoleiterin beschäftigt war, vor bald zwanzig Jahren, hatten wir Spinde zumindest für Wechselschuhe zur Ver­fü­gung (und einen Auf­ent­halts­raum mit Bröt­chen, Wasser, Kaffee und Obst). Das war sehr men­schen­freund­lich. Heute muss ich meine Pausenorte selbst suchen. Es gibt Cafés, in die es sich ver­zie­hen lässt ... nur keine gemütlichen am Pots­da­mer Platz. Dort ist es an allen Or­ten irgendwie zugig und ungemütlich und so gebaut, dass man bitte schnell wie­der gehen soll.

Also treffen wir uns zum Essen außerhalb der "Zone". Der Ruheeffekt ist großartig. Filme sind für viele, die hier zur Arbeit gekommen sind, die schönste Nebensache der Welt. Und fertige Filme, die nicht selbstgemacht sind, scheinen irgendwie eine quantité négligeable zu sein. So sagt auch Christophe aus Paris: Je ne vois pas de films, je vois des gens ("... ich sehe Leute"). — Ich freu mich auf die Tage nach der Berlinale. Endlich in Ruhe ohne störende Termine Filme sehen können ... bei den Mitarbeiter­screenings, die zum Troste für jene, die im Schatten tätig sind, aus­ge­rich­tet werden. Nach dem Essen heißt es zurückeilen. Manchmal mit den falschen Schuhen Richtung Hal­te­stel­le rennen, wenn der Bus gerade ankommt ...

Meine Feststellungen sind aber gar nichts im Vergleich zu den leichten Roben, in die sich die Schauspielerinnen hüllen, wenn sie über den roten Teppich schreiten. Derzeit herrschen in der deutschen Hauptstadt einstellige Minusgrade. Da fällt mir die Nachwuchsschauspielerin ein, die auch ohne darstellerische Beteiligung vor Jahren ihre Chance, gesehen zu werden, genutzt hatte und am Ende, wenn die abendlichen Filmempfänge zu Ende gegangen waren, von Produzenten in ein Taxi gesetzt wurde. Sie hat den Wagen dann um die Ecke fahren lassen und ist außer Sichtweite gleich wieder ausgestiegen, um dann bibbernd die nächsten Meter bis Kilometer (manche Partylocation ist j.w.d.) zur Station von Bus oder Bahn zu eilen. Sie hatte schlicht und ergreifend kein Geld für ein Taxi, dafür eine BVG-Wo­chen­kar­te, die sie auch jeden Tag für den Robentausch zum Kostümverleih gebracht hat. Dazu trug sie im Wech­sel drei Paar Hochhackiger. Ihre Stra­te­gie hat­te übrigens Erfolg, weil sie darüber hinaus sehr talentiert ist.

Zwischendurch sitze ich mit einem Arte-Granden im Foyer der französischen Bot­schaft. Die Zugangskriterien zu den Salons der Ambassade sind nicht immer nach­voll­zieh­bar, wir warten auf eine Entscheidung in Sachen Nacheinlass, auch wenn die Zeiten von On ne demande pas les laquais à sa table — man bittet seine La­kai­en nicht zu Tisch, der Satz wurde einem früheren Botschafter zugeschrieben, überwunden schienen. Zwei schlechtgelaunte Filmarbeiter sind wir, die gerade an der Be­rufs­aus­übung gehindert werden: Hier dominiert der müde Rücken, dort klopft der Puls im Zeh, die Pumps sind zu elegant. Es ziept und es liegt nicht am Alter.

Das beste spontane Abendessen, Pitches und Verbrüderungen dieser Berlinale wird prompt nicht die Soirée française du cinéma, ich erlebe diesen Höhepunkt an­schlie­ßend einige Kilometer vom vermeintlichen Gravitätszentrum entfernt im aus der Situation resultierenden Salon des refusés, wie die Kunstausstellungen der einst im Louvre Abgelehnten geheißen haben. Den Pro­du­zen­ten, für die ich ei­gent­lich spon­­tan dolmetschen sollte, hatte ich per Textnachricht aus dem Foyer ab­ge­sagt. Die Antwort-SMS kommt umgehend: Er und andere Betreffende verlassen vor der Zeit den Ort des Geschehens und ergänzen das spontane Kreativgelage aufs Schönste.

Hallo, Taxi!

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Collage: C.E.

Montag, 13. Februar 2017

Berlinaleterminrettung

Bonjour, hello, guten Tag! Hier bloggt seit bald zehn Jahren eine Kon­fe­renz­dol­met­sche­rin, die daneben das Fach­gebiet anbietet. Meine Sprachen sind Fran­zö­sisch (aktiv und passiv) und Englisch (passiv). Hier beschreibe ich, was ich im 20. Berlinalejahr in den Kulissen erlebe ... keine Namen, nur die Vor­komm­nis­se.

Der Job war längst abgesagt. Die Antwort der Presseagentur, die den Film betreut, war eindeutig gewesen: "Wir haben uns für eine günstigeres Angebot entschieden." (Über die leidige Preisthematik schrieb ich hier.) Als das günstigere Angebot die Arbeit aufnimmt, habe ich nicht viel zu tun, ein schöner Nachmittag, ich chille mit einer Freundin aus Paris im Café. Da ruft die PR-Dame an: "Kön­nen Sie bitte sofort ins Hotel XYZ kommen?" Das Haus hat fünf Sterne. Der Taxistand ist gleich um die Ecke, ich eile ...

Claude Chabrol und die Autorin (2009)
Als ich ankomme, kann ich den Temperaturen im Raum beim Fallen zusehen. Sitzen um einen Tisch herum: Fünf Journalisten plus Star, der Wand entlang aufgereiht wie die Hühner auf der Stange: die PR-Dame, ihr Chef und ein Assistent. Alle im Salon mit dem hochflorigen Tep­pich­bo­den und den hauch­dün­nen Tee­tas­sen schau­en grim­mig drein, aus­nahms­los alle.

Wer mein Vorgänger/meine Vorgängerin war, die hier die Stimmung verhagelt hat, weiß ich nicht, ich bin der Person nicht begegnet. Ist mir auch egal. Ich denke mir: Auf die ersten Minuten kommt es an. Händedruck des Regisseurs: fest. Meiner: fester. Zwerchfellatmung, meine Glieder sind schwer, die Stimme kommt tief aus dem Oberkörper, ich gebe ihr Raum. Der Salon Großer Kurfürst ist meine Bühne. Alle sind vom Fach.

Ich setze mich hin, frage die Journalisten, ob der Dolmetschmodus genehm ist (Fra­gen simultan, Antworten konsekutiv), erkläre rasch dem Regisseur diese Prä­li­mi­na­rien. Dann kommt die erste Frage, ich mache meinen Job. Nur das, ruhig und mit fester, tiefer Stimme.

Die Spannung der Anwesenden fällt ab, ihre Mienen hellen sich auf ... und so, wie die Küken der Henne folgen, so folgen jetzt die Zuschauer dem PR-Chef. Man zieht sich ins Nebenzimmer zurück. Der Regisseur fängt an zu strahlen, die Interviews nehmen ihren Lauf. Stunden später werde ich mit Handkuss verabschiedet.


Linktipp: Michael Streck vom Stern schreibt höchst passend über die PR-Dame.
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Foto: C.E. (Archiv, ein entspannteres Interview)

Samstag, 11. Februar 2017

Berlinalehektik

Im zehnten Jahr führe ich hier mein öffentliches Arbeitstagebuch als Dol­met­scherin und Über­setzerin. Als frei­be­ruf­li­che Sprach­mitt­lerin ar­bei­te ich in Paris, Heidelberg und Marseille — und schreibe derzeit aus Berlin.

Blick durch die Glasfront auf den roten Teppich
Im Festivalpalast
Früher wurden die Aufträge fürs In­ter­view­dol­metschen in den Wochen vor Be­ginn der Berlinale vergeben. Die Ein­satz­pla­nung ging Ende Januar los, am ersten Tag des Film­fes­ti­vals stand der eigene Ter­min­plan. Fünf bis zehn Prozent ergaben sich dann spon­tan.

Heute ist der Montag vor Berlinalestart als erster Planungstag offenbar die Regel. Und die gleichen fünf bis zehn Prozent, die frü­her die Ausreißer waren, sind heute die länger vorab geplanten Termine.

Das Internet scheint viele in der trü­ge­ri­schen Annahme zu wiegen, dass jederzeit jemand zu finden ist ...

Einschub: Noch ein Aspekt, denn Qualitätsunterschiede scheinen als Kriterium bei der Buchung nicht mehr im Vordergrund zu stehen, vermutlich, weil die Pres­se­be­richt­er­stat­tung insgesamt an Bedeutung verloren hat. Auch das hängt mit dem Netz zusammen: Die Internetwirtschaft hat viel Geld aus den Printmedien ab­ge­zo­gen, infolgedessen wurde auch der Filmberichterstattung weniger Platz ein­ge­räumt und ih­re Bezahlung nicht mehr an den Kaufkraftverlust angepasst. Weniger Kri­ti­ker­per­sön­lich­kei­ten, auf deren Meinung über den Film die Leser einst ge­war­tet haben, konnten sich äußern bzw. neue Stimmen herausbilden. Einschubende.

So eine Last Minute-Buchung hindert mich als Profi alter Prägung schlimmstenfalls daran, von den Regisseuren, für die ich arbeite, noch andere Filme zu sehen, so­fern ich sie noch nicht kenne. Vorbereitung ist wichtig. Früher, als Filme des Wett­be­werbs noch simultan verdolmetscht wurden, waren viel mehr Sprachprofis ak­kre­di­tiert. Mit diesen Mitarbeiterausweisen kamen wir überall rein. Es war normal, dass wir als Dolmetscherinnen und Dolmetscher uns neben den Ein­sät­zen wei­ter­bil­den, die Regisseurinnen/-eure und anderen Talente be­ob­ach­ten. Mag er oder sie auch die­ses Jahr nicht relevant sein, nächstes Jahr kann's anders sein.

Grundsätzlich muss ich einen Fim gesehen haben, bevor ich ein Gespräch dazu dol­met­sche, sonst sage ich ab. Heute bekomme ich leider nicht mehr nur von Platz­an­wei­sern Sätze zu hören wie: "Sie müssen den Film nicht kennen, Sie müssen ja nur die Wörter dolmetschen."

Im Weißen Haus sitzt ein kulturferner ("Ich hasse Bücher"), verhaltensauffälliger Opa, der vom Politgeschäft keinen blassen Schimmer hat. Er ist die Spitze des Eis­bergs. Wieso sind Bildungsverachtung und mangelnder Professionalismus ei­gent­lich gerade so groß in Mode? Ist es eine irrationale Anbiederung an die Bildungsfernen, vor de­nen zugleich die Angst immer mehr wächst?

Liegt es daran, dass viele Kulturverwalter insgeheim davon träumen, selbst Kul­tur­schaf­fen­de zu sein, sich das aber nicht zugetraut haben und nun von untergründig wirksamen Rachegefühlen bewegt sind? Und warum wirkt sich das erst jetzt aus? Vielleicht sind diese Menschen früher viel eher von den normalen Wirt­schafts­be­trie­ben aufgesogen worden. Ganz sicher gibt es jetzt in Zeiten, in denen nur noch wenige Industriearbeitsplätze in Deutschland übriggeblieben sind, viel mehr dieser Kulturverwalter.

Menge und Hintergrund dieser Entscheider sagt nichts über ihre Richtung aus.
Die Frage ist alles andere als rhetorisch gemeint. Ich verstehe das wirklich nicht.

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Foto: C.E.

Freitag, 10. Februar 2017

Berlinalesplitter 1

Im Februar steppt in Berlin wieder der Berlinalebär. Viel Holz, das Festival: Of­fi­ziell um die 400 Filme, dazu mindestens weitere 200 auf dem Markt ... und jeder Kreative, das ist gefühlt jeder Zweite, hat mindestens drei Filmideen im Gepäck. Wo gehobelt wird, fallen Späne, manchmal splittert das Holz. Hier werde ich ab und zu (und natürlich völlig subjektiv) abends einige davon zusammentragen.

Babylon-Mitte
Es geht los mit zwei Em­pfän­gen und einem Film mit Dis­kus­sion. Ist das Ver­schwin­den der deutschen Sprache (und etlicher anderer Idiome) von der Berlinale nur unter uns Sprach­ar­bei­tern ein The­ma? 

Ein älterer Regisseur aus der "ehemaligen Ex-DDR" bei ei­nem Filmgespräch in einer Off-Vorführung. Er nennt sich selbst eine "Runzelfresse". 

Er spricht sehr wenig Englisch, weswegen ich später im Foyer kurz für ihn dol­met­sche. Hätte das Gespräch auf Englisch stattgefunden, wäre die Radi­kalität seiner Selbst­be­trach­tung, aus der sich die zweite Hälfte der Diskus­sion gespeist hat, nicht zum Ausdruck gelangt. 

Wie hätte ich das übertragen, wenn ich als Dolmet
­scherin dabei gewesen wäre (irgendwo in Frankreich)? Mit Nils Aguilar, dem man am Namen nicht anhört, dass Französisch seine Mutter­sprache ist, einige ich mich später auf gueule fripée.

Jan, Praktikant der Saalleitung in einer Berlinale-Nebensektion, über den ersten Abend: "500 Men
­schen kommen mit Tickets ins Kino, Kaufkarten und Tickets über die Fach­­be­­su­cher- und Pres­se­ak­kre­di­tie­run­gen. 100 Plätze haben wir für Buyer und Jury re­ser­viert. So­weit Platz ver­füg­bar ist, las­sen wir kurz vor Film­start noch wei­te­re Jou­rna­lis­ten und Fach­be­sucher rein. Von diesen 100 waren etwa die Hälfte en­g­lisch­­spra­­chig. Die Diskussion fand auch auf Englisch statt. Drei Men­schen haben Fragen gestellt, von denen zwei sehr flüssig Englisch gesprochen haben, die ha­ben in­ter­na­tio­nal ver­siert geklungen, au­ßer­dem eine deutsche Person, die auch auf Eng­lisch gefragt hat."

Und weiter: "Die Fragen fand ich alle ziemlich flach. Drei Fragen sind super wenig, obwohl der Film welche aufgeworfen hat. Ich habe mir über­legt, was ich gefragt hätte. Dabei fiel mir auf, dass ich das auf Eng
­lisch nicht gekonnt hätte. — Wir ha­ben einen syrischen Refugee im Team, der sehr gut Englisch spricht, mit ihm quat­schen wir zwischendurch viel, das macht Spaß."

Elsa, eine amerikanische Filmproduzentin, die schon lange in Berlin lebt, kom­men­tiert süf­fi­sant ihre Sprach
­erlebnisse in der nicht mehr ganz so neuen Heimat: "In Mitte antworten alle im­mer gleich auf Englisch, wenn sie meinen Akzent hören. Da kann ich mich überhaupt nicht mehr auf Deutsch unterhalten. Ich mag die deut­sche Sprache, die englische auch, aber komisch ist es schon. Alle müssen immer gleich beweisen, wie welt­läu­fig sie sind."

Iacovos, ein griechischer Jour
­nalist, findet es großartig, dass die Berlinale alles auch auf Englisch anbietet. Ich hake nach. "Auch" auf Englisch? Im Wettbewerb, aus dem er gerade kommt, spielt auch Deutsch noch eine gewisse Rolle. Aber es stimme, woanders sei Deutsch nicht mehr vorhanden. Er habe gerade den Film "Django" gesehen, über den berühmten Musiker und Komponisten Django Rein­hardt, in Frank­reich geborener Sinto. Der Film, die Kritik dazu bei critic.de, spiele zum Teil in der deutschen Besat­zungszeit. Er habe es komisch gefunden, dass ein festliches Ereignis in der deutschen Hauptstadt mit einem Film aufgemacht werde, in dem Deutsche die Bösen seien, die z.B. ein Sintilager mit Flammen­werfer nie­der­bren­nen würden. Würden sich die Deutschen gerne so sehen? 

Der Journalist, der seit neun Jahren zur Berlinale kommt, meint, dass den Deut
­schen der Film unmöglich gefallen könne. Ich erkläre ihm die Sache mit der Ver­gan­­genheit, die nicht vergehen will, den selbstkritischen Umgang der Deut­schen in den letzten Jahrzehnten ... nach Jahrzehnten der Ver­drän­­gung. Wir ver­ab­re­den uns auf ein längeres Gespräch.

Die Frau eines Theater- und Filmkritikers, ihren Vornamen werde ich nachtragen, hält die Abschaffung der deutschen Sprache für schiere Selbst­ver­leugnung. "Die Deutschen und die Spätfolgen des 'Dritten Reichs'", sagt sie und verdreht dabei die Augen. "Englisch-Muttersprachler haben damit überall einen Sprach­vorteil, das ist ein hochpolitisches Thema, denn Sprache ist Macht."

In der U-Bahn hängt unter der Decke ein kleiner Monitor, dort wirbt die BZ: "Ber­li­na­le eröffnet! Holly­wood ist zurück in Berlin." Das Ausbluten des deutschen Kultur
­betriebs in den braunen Jahren einschließlich der Film­produktion ist noch heute zu spüren. Talente, die Talente heran­ziehen, die wiederum ... ergibt zu viele Men­schen, die heute fehlen. Die Wahrnehmung der Berlinale durch die Bou­le­vard­pres­se spricht da Bände. 

Dann höre ich, wie Pas
­sa­gie­re von Mitreisenden mitten in der Nacht auf Englisch wissen möchten, ob ein Platz verfügbar sei. Nicht erst auf Deutsch, sondern gleich auf Englisch. Weder Sprecher noch Angesprochene sahen irgendwie fremd aus.

Die Frage der kulturellen Identität, der mangelnden Pflege auch eines positiver besetzten historischen Bewusstseins, die deutsche Ge
­schichte lässt sich nicht auf die Nazizeit reduzieren, wird derzeit nur von rechtsextremer Seite gestellt. Links, in einfachen Milieus und in der bürgerlichen Mitte dominiert das Schweigen. War­um eigentlich sollten wir den AfDlern und "Identitären" dieses Feld überlassen?

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Foto: C.E. (zum geringsten Teil der Ort 

des beschriebenen Geschehens)

Donnerstag, 9. Februar 2017

Berlinalerechnen

Bonjour and hello! Sie haben die Seiten eines Berliner Blogs angesteuert (oder die Postings abonniert). Hier schreibt eine Dolmetscherin ... über Sprache und den Arbeits­all­tag. Die Berlinale wirft dieses Jahr komische Schatten voraus.

Heute Abend geht's los. Die ersten Gespräche waren schon gestern, schön im Hin­ter­grund, hier geht's um künftige Filme. Jetzt kommt der Bericht über einen Fall, der absurd ist, aber leider einen Trend anzeigt, der dringend kritisiert gehört, weil er die Qualität der Ergebnisse weiter stark gefährdet.

Interviews im Hotel-Séparé
Anfrage einer eingeführten Me­dien­pres­se­agentur: Eine Stunde lang das Interview mit ein­em französischen Star dol­met­schen an demunddem Tag, ob ich Lust hätte?

Lust habe ich schon, aber noch ehe ich meinen Preis sagen kann, bietet mir die Agen­tur­da­me 50 Euro an (in Worten: fünfzig).
Dann entsteht eine Pause.

Zum Glück breche ich kurz darauf in schallendes Gelächter aus. Ich hätte auch zutiefst er­schüt­tert sein können. Ich frage sie, wie lange sie ihren Job schon mache. "Acht Jahre", lautet die Antwort.

Unerfahrenheit kann es also nicht sein. Ich rechne vor:

  90 Minuten Filmdauer, zu sehen am Vorabend im Kino
  60 Minuten Vorbereitung, Recherche und Ausdruck von Hintergrundmaterial
120 Minuten An- und Abreise an zwei Tagen, im Zug lese ich weiter
  60 Minuten Zeitpuffer (bei der BVG ist nur Verlass darauf, dass kein Verlass ist)
  60 Minuten Interview
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390 Minuten = 6,5 Stunden.

50 Euro / 6,5 Stunden = 7,69 Euro pro Stunde.

Ich habe die Dame darüber informiert, dass es in Deutschland einen Mindestlohn gibt. Eine Putzhilfe kostet in Berlin ca. 13 Euro die Stunde. Und den Profi­dol­met­scher­preis genannt, 775 Euro für einen Tag ...

Dann kommt über mein Afrika-Netzwerk die Frage eines Übersetzerkollegen aus Ma­roc­co in meinen Briefkasten. Ein deutscher Motorhersteller möchte 50 Seiten tech­ni­sche Anleitung ins Französische übertragen lassen ... 500 Euro sind im Ge­spräch, der Kollege möchte sich vergewissern, ob der Preis in Ordnung sei. Den genauen Preis je Zeile, der in Deutschland für das Dokument üblich wäre, kann ich nicht nennen, ich habe es nie gesehen, weiß auch nicht, wie viele tech­ni­sche Ab­bil­dun­gen das Konvolut enthält. Aber ich schätze, der Preis dürfte auch eher beim Zehn­fa­chen liegen ... Eine solche Vertragsvergabe könnte am Ende Men­schen­le­ben in Gefahr bringen.

Zurück zur Berlinale: Dem Vernehmen nach, der "Kunde" musste mir eine Ätschi­bätschi-Mail senden, macht den Job jetzt die Praktikantin einer befreundeten Firma, die nach einem Französischabitur ein Jahr als Au Pair-Girl in Paris war. Die Leute wollen's nicht kapieren!

Wechseln wir den Bereich: Ein Kilogramm zartes Rinderfilet vom Wagyu-Rind kostet 150 € oder mehr. Dazu Spargel von der anderen Seite der Welt, feinstes, ar­beits­in­ten­si­ves Kartoffelgratin, Kaviar vorab und ... ich glaube, Sie wissen, was ich mei­ne. Und das Ganze dann in billigstem Öl braten und anrichten, das heiß ge­presst, un­­kon­­trol­­liert eingeführt worden ist und möglicherweise nicht ganz sauber ... Dieser Essensvergleich dürfte Dieter Kosslick gefallen. Ob er weiß, dass wir freien Spracharbeiter keine Akkreditierung mehr bekommen?
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Foto: C.E. (Archiv)

Mittwoch, 8. Februar 2017

Museum der Wörter 16

Hallo, hier bloggt eine Spracharbeiterin. Heute im Wörtermuseum: Begriffe, die für nicht mehr ganz junge Erwachsene nach Jugend klingen.
            
                M
ixtape, Cassetti, Toncassette

   
Als es noch Cassettenrecorder gab, hat jeder von uns von einem Doppeldeck oder dem Zugang zu einem zweiten Gerät geträumt, damit konnten wir unsere Lieb­lings­mu­sik auf ein "Mix Tape" überspielen und der besten Freundin oder dem An­ge­be­te­ten verehren.

Diese Tage im Büro sind in Sachen Vielfalt wie ein solches Mix Tape. Wir haben heute die Kühe vom Eis geholt, dann Terminplanung die Fünfte für die Berlinale sowie für ein Groß­event im März, die Buchübersetzung läuft weiter, die Nach­be­rei­tung eines Bau­stel­len­ter­mins auch. Das ist ein Privatkunde.

Aquarellfarbkasten und -stifte
Draufsicht: am Kreativarbeitsplatz
Französische Medien interessieren sich für eine Meldung des Instituts der deut­schen Wirtschaft (IW), auch hier war etwas zu tun. Der Wohnungsbau gehe am Bedarf vorbei, besagt diese, es werde zu wenig gebaut ... und davon zu viele große (Lu­xus)Wohnungen. Aus einer aktuellen Stu­die gehe wei­ter her­vor, dass dies nicht zum hohen Zuzug in den Städten und zur al­tern­den Gesellschaft passen würde. Familien- und kleine Wohnungen seien rar.

Warum wundert mich, dass das als "News" verkauft wird? In Berlin weiß das jedes Schulkind. Und wir Spracharbeiter, die wir ab und zu auch "Newcomer" betreuen, allemal.

Zwischendurch übe ich mich im Pinselschwung zur Synapsenentwirrung. Das ist einer meiner Lerntipps: Regelmäßig etwas Neues lernen!

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Idee: H.F. / Foto: C.E.

Dienstag, 7. Februar 2017

Der Balkonvogel

Zu­fäl­lig oder ab­sicht­lich sind Sie auf den Sei­ten ei­ner Dol­met­sche­rin und Über­set­ze­rin gelandet. Hier bloggt eine Übersetzerin und Dolmetscherin (DE und FR). Englisch ist nur die Ausgangssprache, die sogenannte passive Sprache — und das auch nicht in allen Themen, die ich als Dolmetscherin sonst bediene. 

Aus Metall mit Stab daran
Den Balkonvogel habe ich vor Jahren mal auf einem S-Bahn­hof im Berliner Westen ge­schenkt bekommen. An einem kühlen Herbsttag sah und fo­to­gra­fie­rte ich einen alten Mann dis­kret beim Fla­schen­sam­meln. Ich finde, es ist ein Skandal, dass es hierzulande Menschen gibt, die ohne das Sammeln von Pfand nicht gesund essen können, von ge­sell­schaft­li­cher Teilhabe ganz zu schwei­gen.

Ein asiatischer Blumenhändler hat mir den Vogel überreicht.

Er hat mein Fotografieren beobachtet. Ansonsten war der Bahnsteig leer. Ich habe den alten Mann unbemerkt und schnell fotografiert, die Knipse immer gleich wie­der im Ärmel ver­schwin­den lassen und mich langsam weggedreht, weil ich dem Be­tref­fen­den nicht auch die Würde nehmen möchte, wie es in Deutschland die Ar­muts­ver­wal­tung tagtäglich macht. Deshalb habe ich am Ende die Bilder nie ver­öf­fent­licht, auf denen der Mann übrigens maximal an Mantel, Schal und Ort zu er­ken­nen ist.

Er war eine elegante Erscheinung, den Bewegungen nach ein Herr. Er ging see­len­ruhig zur Sache und würdigte nichts und niemanden eines Blickes. Dann betrat er die Roll­trep­pe, die zum Gleis auf der Brücke führt. Sie liegt ebenfalls in der Sicht­ach­se des Blumen­ladens. Ich gemächlich hinterher, möglicher Fotos we­gen; mein Zug kam noch lange nicht, Berliner S-Bahn halt. Als der alte Mann etwa auf der Hälfte der Roll­treppe war, fing er an zu schwanken, erst leicht, dann stark. Ich hatte gerade noch Zeit, hochzurennen und ihn auf­zu­fan­gen, stemmte mich mit aller Wucht gegen ihn in Sorge, mit­ge­ris­sen zu werden. Da spürte ich im Rücken, wie der Blumen­händler vom unteren Gleis mit anpackte.

Darauf folgte der Klassiker: Stabile Seitenlage, Foliendecke, Kranken­wagen, An­ga­be der Personalien. Der asiatische Blumen­händler hat uns in der Zwischen­zeit mit heißem Tee versorgt. Und mir zum Abschied den Vogel geschenkt.

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Illustration: C.E.

Montag, 6. Februar 2017

FGM

Will­­kom­­men beim ersten Blog Deutschlands aus der Dol­­met­­scher­­ka­­bi­ne. Ich ar­bei­te in den Be­­rei­­chen Wirt­­schaft und Po­li­tik, So­ziales und Kul­tur. Manch­e Jobs sind nicht einfach, weil die Themen belastend sind. Heute: Rückblick auf einen Termin vor mehr als drei Jahren.

Heute ist der internationale Tag gegen Genitalverstümmelung (FGM). Es ist mir un­ver­ständ­lich, dass diese grau­same Praxis nicht längst überwunden ist. Alle elf Se­kun­den wird irgendwo auf der ein Mädchen beschnitten, jedes dritte stirbt nach dem Eingriff, viele leiden lebens­länglich an den Folgen. 2013 schrieb ich hier und hier darüber.

Damals habe ich für eine junge Patientin aus Afrika ge­dol­metscht, die in Berlin be­han­delt worden ist.
Die damals 19-jährige Inab war eine der ersten Patientin­nen des von Waris Dirie in Berlin gegründeten Desert Flower-Center. Dank Spenden wird hier auch mittellosen ge­ni­tal­ver­stümmelten Frauen ge­hol­fen.

Hier wurde ein TV-Beitrag über die junge Frau produziert. Wichtig war, dass ich sehr schnell eine gemeinsame Basis mit Inab finden konnte.

Dolmet­schen ist in solchen Momenten auch kul­tu­rel­le Vermittlungs­arbeit zwischen den Ge­schlech­tern und den Kulturen, zwischen einem jungen Menschen mit trau­ma­ti­schen Erfahrungen und nicht mehr ganz so jun­gen, ohne le­bens­be­droh­li­che Erleb­nisse auf­ge­wach­sen­en West­eu­ro­päern.

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Fotos: C.E.
Wie Sie spenden können, steht hier.

Sonntag, 5. Februar 2017

Wasserfarben

Bon­jour, hello, guten Tag! Hier bloggt ei­ne Fran­zö­sisch­dol­met­sche­rin und -über­set­ze­rin über ihren Alltag (Ich übersetze auch aus dem Englischen). Ich arbeite in Berlin, Paris, Köln, Lyon, Saarbrücken und dort, wo Sie mich brauchen. Sonntags werde ich privat.

Um den Kopf zu entspannen, mache ich gerne neue Sachen. Oder aber ich übe mich weiter in Dingen, die ich vor vielen Jahren mal einigermaßen gekonnt habe. Ich habe großen Spaß dabei und das Gehirn entspannt es auch. Die Fische von heu­te sind klassischer als die von vor etwas mehr als einem Jahr.  Nächstes Motiv: Der Me­tall­vo­gel vom Balkon am langen Stab, der mir die Saatgutfresser fernhält.

Fische, vorgezeichnet, coloriert
Dankbares Bildmotiv: Fische
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Illustration: C.E.

Freitag, 3. Februar 2017

Kopfnüsse

Guten Tag oder guten Abend! Sie sind mit­ten in ein Ar­beits­ta­ge­buch hinein­ge­ra­ten, in dem sich al­les um Spra­che, Dol­met­schen, Über­setzen und Kult­uren dreht. Als frei­be­ruf­li­che Sprach­mitt­lerin ar­bei­te ich in Pa­ris, Berlin, Marseille, Hei­del­berg und dort, wo man mich braucht.

Die Ebenen sind durcheinander: Ablauf, Zeit, Rede, Taktik
Rückblick auf einen typischen Donnerstag. Morgens: Weiter mit der Buchüber­setzung. Ich arbeite am liebsten ungestört morgens einen Schwung, wenn der Tag noch frisch ist. Am späten Vormittag: Mühe für die Kühe, Teil drei. Der Sohn des Unternehmers, der sowohl in Berlin als auch in der türkischen Heimat tätig ist, hat die Fakten für mich notiert.
Wer errät, wie alt das Kind ist, dem schenke ich ei­nen Text. (Der erste richtige Kommentar gewinnt.)

Der Zettel bestätigt mich in meiner Forderung nach Ganztagsschulen, nach mehr Schulpaten und mehr Stadt in den Schulen.

Ab dem Mittag: Berlinale­buchungen und Frühjahrs­planung. Abends: Kongress dol­met­schen. Vorher erinnern wir die Veran­stalter wiederholt an Vor­be­rei­tungs­ma­te­rial. Aber nichts. Das hatte ich gerade erst, das wird langweilig! Es geht um die Rolle der Kultur in unseren krisen­behafteten Gesellschaften. Das sollte aus dem Stand zu machen sein. Aber es wird ein Einführungs­vortrag gehalten werden. Den hätte die Routine­abteilung dann doch gerne.

Zwischendurch Stilüberlegungen, denn der Hinterkopf arbeitet weiter am Buch.

Oder hilft eine Excel-Tabelle? Brüssel im Kleinen
Schreiben und Übersetzen bedeutet Schleifen und Schnit­zen. Sorry für den Beinahe-Kalauer, denn ich komme auf Schnitzler. Zitat: "Jedes Wort hat fließende Grenzen. Diese Tatsache zu ästhetischer Wirkung aus­zu­nüt­zen ist das Ge­heim­nis des Stils."
Und eine Malübung, das hier ist der Anfang: Im März ha­ben wir zwei bis fünf Aus­gangs­spra­chen und fünf Ziel­spra­chen. Wie viele Dol­met­scher wer­den insgesamt in wie­vie­len Kabinen sitzen?

Kurz nachdem ich das Haus verlassen habe, landet der Text des Ein­füh­rungs­vor­trags im Mailbriefkasten. Zum Glück hat uns am Zielort jemand Ausdrucke in die Kabine gelegt: Fünf Minuten Vorbereitung für neun Seiten geisteswissenschaftliche Rede, gespickt mit schönen, wohlüberlegten Formulierungen. Die Höflichkeit ver­bie­tet mir jeden Kommentar. Und wäre das nicht genug, wird die Rednerin die­sen in dop­pelter Sprech­geschwindig­keit verlesen.

Der Kollege, dem die Aufgabe der Verdol­metschung zukommt, leistet ganze Arbeit. Er hat mir 30 Berufsjahre Erfahrung voraus (wenn das mal reicht) und ist auf geis­tes­wis­sen­schaft­li­che Fachtexte spezialisiert. Auch wenn in der französischen Sprech­fassung etliche fließende Grenzen verwischen, die ästhetische Wirkung des Ausgangstexts schafft er rüberzubringen, es grenzt an ein Wunder. Hab ich ein Glück mit meinem Kabinen­doppel! Anschließend Adrenalin­abbau im Restaurant.

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Fotos: C.E.

Donnerstag, 2. Februar 2017

Goldener Saal

Bon­jour, hello, guten Tag! Hier bloggt seit fast zehn Jah­ren eine Über­set­ze­rin und Dol­met­sche­rin. Die Vielfalt meiner Arbeit ist immer wieder schön.

Es gibt Einsätze, die sind so nur in Berlin möglich. Ich liebe meine Stadt dafür. Und lerne fleißig neue Vokabeln dafür. Der Donaudampfschiffartskapitänshosenknopf ist gar nichts. Ich sage nur:

Ehe­fä­hig­keits­zeug­nis­bei­brin­gungs­be­frei­ungs­an­trags­kos­ten­zah­lungsfor­mu­lar­dop­pel.

Hand/Rose und Hand/Kuli: Beim Unterschreiben
Und noch eine Unterschrift ...
Berlin-Schöneberg: Ich dol­met­sche bei einer LGBT*-Ehe­schlie­ßung im Goldenen Saal, in dem ich schon für die Schöneberger Erklärung für Vielfalt und Respekt tätig war. Am Ende verabschiede ich mich bei der Braut: "Au re­voir, junge Frau !" Selbige darauf mit strengem Ton: "Aber Ca­ro, ich bin doch kei­ne Frau!" Ich muss mich da­ran erst gewöhnen.

LGBT* ist die englische Abkürzung für Lesbian, Gay, Bisexual and Transgender. Das Sternchen steht für die unbekannten Auslassungen. Gesprochen wird das Sternchen meines Wissens nicht. Zwei LGBT*ler ergeben gelegentlich vor dem deutschen Staat ein ehefähiges Paar, sofern sie dieses wünschen.

Die Kinder aus dem früheren Leben der Braut, die keine ist, sie sind im Rathaus mit rumgesprungen, zwei süße Mäuse im Grundschulalter, sahen aus wie Kästners Emil und Pony Hütchen (von den Detektiven): Er in zu großer Anzugjacke mit Flie­ge und Schiebermütze, sie im rosafarbenen Kleidchen, dazu Zopf und kecker Blick unter dem Schopf. Zu meiner Überraschung kannten die Kinder diesen Autor nicht. Das darf natürlich nicht so bleiben. Ich weiß, was die Gören demnächst be­kom­men. Und so lernen wir alle hinzu, die Kinder was über die Zeit und die Li­te­ra­tur­ge­schichte ihres Wohnviertels und ich Vokabeln und Situationen.

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Foto: C.E.

Mittwoch, 1. Februar 2017

Fahrt ins Blaue

Bonjour, hello, guten Tag. Hier bloggt eine Übersetzerin und Dolmetscherin (DE und FR). Englisch ist nur die Ausgangssprache, die sogenannte passive Sprache — und das auch nicht in allen Themen. Ich ar­bei­te in Berlin, Paris, Hei­del­berg, Mün­chen, Marseille und (fast) überall dort, wo Sie mich brauchen.

Vorgestern: Gepaukt, ins Blaue hinein, eine Tagung steht an und wir kennen das The­ma, die Namen der Redner, die Titel ihrer Beiträge. Wir erinnern die geneigten Tagungs­teilnehmer erneut schriftlich daran, uns doch bitte Informationsmaterial zur Ver­fü­gung zu stel­len. Bei der Arbeit ins Blaue hinein, zum Glück war ich im ersten Berufsleben Journalistin und kann recherchieren, landen wir bei ca. 50 A-4-Seiten Dokumen­tation und etwas mehr als 200 Fachbegriffen.

Alexanderplatz im Nebel
Suchbild mit Fernsehturm
Gestern: In einer anderen Sache bei der Behörde gewesen, mit schwarzem Ku­­­gel­schrei­ber geschrieben (dokumentenecht), es ging einige Stunden. Hinterher ein leich­ter Migräne­anfall. Kopf im Schraub­stock. Der Geruch von Kuli­tinte ist bei mir Mi­grä­ne­trig­ger. Der mö­blier­te Herr (*) in meiner Woh­nung hält das übrigens für Ko­ko­lo­res. Hat noch jemand davon gehört? Auf dem Rück­weg dann: Suchbild mit Fernseh­turm. Am Milchsuppenblick ist die Migräne nicht schuld. Später bei der Siesta wirkt das Schmerzmittel.
Anschließend weiter mit der Buch­über­setzung. Vor dem Schla­fen­ge­hen über­flie­ge ich nochmal das Re­cher­che­ma­te­rial für die Tagung.

Heute früh: Vorbereitung eines hohen Tages für eine Freundin, die morgen ihren Liebsten heiraten wird. Anruf beim Rathaus, in der Abteilung Ringe und Herzen bin ich inzwischen bekannt wie ein bunter Hund. Ich muss anmelden, dass das For­mu­lar zur Beeidigung rausgelegt wird, denn ich bin nicht gerichtlich beeidigt. Den Schnack: "In der Verordnung zur Ausführung des Personenstandsgesetzes, § 2, Ab­satz 2, wird die Beeidigung als Regelfall an erster Stelle genannt, die Hin­zu­zie­hung ei­nes nach den landesrecht­li­chen Vor­schriften allgemein beeidigten Kollegen wird nur ergänzend erwähnt, kann also keinesfalls als Regel gefordert werden" kann ich inzwischen im Schlaf runterbeten und komme meistens nur noch bis "Absatz 2".

Dann loseilen zur Tagung, der möblierte Herr hat Home office-Tag. Kurz bevor ich gehe, landen noch zwei Reden für den Vormittag in meinem digitalen Brief­kas­ten, zwei Reden von sechs erwarteten Papieren. Um's genau zu sagen: zwei Stun­den vor der Veranstaltung. Ich rechne: Eine Stunde Fahrtzeit inklusive Puffer, 30 Minuten vor­her da sein, ich kann also ein Drittel Tagung in 30 Minuten vorbereiten. Liebe Kun­den, bezahlt uns künftig bitte den doppelten Satz als Stresszulage und auch die Sänf­te mit Multimediaanschluss, die uns zum Tagungsort bringt. Ich verstehe nicht, was sich die Leute dabei denken. Und ich will es auch gar nicht verstehen müssen. Die Gesellschaft ist von Egozentrik und Kurzzeitdenken geprägt. Auch hier kann ich es ablesen.

Wir haben ins Blaue hineingearbeitet und haben den Kopf nachher hoffentlich nicht in der Milchsuppe, nur im ganz normalen Schraubstock.


Vokabelnotiz
Eine Fahrt ins Blaue lässt mich an Sommer denken ... es könnte auch eine Fahrt ins Grüne sein. Der blaue Himmel jedenfalls kontrastiert mit der Redensart "ins Blaue hinein", was "auf Verdacht", "aufs Geratewohl", "der Nase nach" bedeutet.
(*) "Möblierter Herr" ist ein etwas altertümlicher Ausdruck für Untermieter.
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Foto: C.E.