Mittwoch, 30. Dezember 2015

Floskelsprech

Bonjour! Sie haben eine Seite meines digitalen Arbeitstagebuchs angesteuert. Als Dolmetscherin und Übersetzerin bin ich in Berlin, Paris und überall dort tätig, wo ich gebraucht werde. Ich arbeite für die Politik, Medien, Wirtschaft und in der Kult­ur. Heute hören wir wieder etwas aufmerksamer hin.

Eine üble Art jeder Form von Neusprech ist der geballte Gebrauch von Floskeln. Ich habe über solche Hohlworte schon geschrieben. Es ist schwer, derlei zu über­set­zen oder zu verdolmetschen, denn da ist immer Ärger "vor­pro­gram­miert".

Zwei Journalisten haben sich des Themas in kreativer Art und Weise angenommen. Sie haben eine Wortwolke programmiert, die täglich die Medien auswertet und sich dabei selbst aktualisiert. Bravo!

Die Beschreibungen der Floskeln sind äußerst unterhaltsam, über den Reiter "Flos­keln" (rechts oben auf der Webseite) lassen sie sich aufrufen. Nur ein Beispiel, die Erklärung zu "am Ende des Tages": Am Ende des Tages wird es dunkel. „At the end of the day“ bedeutet übersetzt „schließlich“ oder „letzten Endes“. Wer seine Worte gern mit Anglizismen schmückt, ist hier gut aufgehoben. Zusätzlichen Sinn trägt die Wendung zur Sprache nicht bei. Auch am Ende des Tages nicht.

Die Begriffe haben mich angeregt, sogar eine politisch korrekte Floskelwelle aus einigen von ihnen zu bilden, etwa so: Mit Nachdruck sollten wir Pass-, Rucksack- oder Biodeutsche uns dagegen wehren, von den Asylgegnern auseinanderdividiert zu werden, die von Asylantentsunami und Spirale der Gewalt sprechen.

Dass Menschen in Not in Deutschland Zuflucht suchen, ist keine Gewalt, son­dern die Folge von Gewalt. Dass aber in Deutschland täglich Not­un­ter­künf­te angegrifen und/oder in Brand gesetzt werden, ist eindeutig Gewalt und ein Zuviel an kriminellen Taten, die von den Behörden nicht ausreichend aufgeklärt werden.

Am 1. März erscheint das Buch der Autoren zur Floskelwolke, es heißt tref­fen­der­wei­se "Ihr An­lie­gen ist uns wichtig!!", Untertitel: "So lügt man mit Sprache", für knapp zehn Euro bei Piper.

______________________________
Illustration: Floskelwolke.de,
Udo Stiehl und Sebastian Pertsch

Keine Kommentare: