Donnerstag, 30. Juli 2015

Ansichtssachen

Geplant oder ungeplant sind Sie hergekommen und lesen jetzt Seiten meines di­gi­ta­len Ar­beits­ta­ge­buchs aus dem Inneren der Dolmetscherkabine! Bonjour! Hier schreibe ich über kleine Beobachtungen des Alltags, kulturelle Hin­ter­grün­de — und darüber, wie sich die Sprache verändert.

Vor dem Sohn meines Frankreichbesuchs oute ich mich mit mancher Redewendung als Oldie. Zu meiner Zeit (hüstel) haben wir gelernt, dass jemanden anzurufen don­ner un coup de fil heißt. Das klingt zwar etwas umständlich, der fil ist die Schnur, die Telefonschnur, der coup wörtlich der Schlag, hier die Aktion, naja, aber das war eben so. Immer stärker kam dann appeler auf, anklingeln, schön und gut, als Synonym prima einsetzbar.

Die jungen Leute sagen nur noch téléphoner. Das Wort telefonieren schockiert mich auf Deutsch überhaupt nicht, weil ich es immer so gesagt habe, und auf Fran­zö­sisch klingt es für mich derzeit noch hart, gerade weil das Verb von der All­ge­mein­heit lange vermieden worden war. Lag diese Vermeidung an der auch von der französischen Regierung in Gesetze gegossenen Haltung, keine Anglizismen über­neh­men zu wollen? Lag es an der inzwischen höchst relativen Neuartigkeit der Appparatur? (Man zeige einem Grundschüler heute ein Wählscheibentelefon oder eine Telefonzelle, es wird nicht sofort wissen, was das ist.)

Blick durch ein Opernglas auf Redner an einer PowerPointPräsentation
Blick aus der Kabine auf den Redner
Genauso gehört: visiter. Wir haben gelernt: visiter une vil­le, eine Stadt be­sich­ti­gen, aber rendre visite à un ami, einen Freund besuchen ... und visiter un malade, hier ist ein Arzt bei einer Visite. Diese Un­ter­schei­dun­gen fal­len beim Youngster weg.
Im politischen Feld, für das ich oft arbeite, ist immer häufiger von mission die Rede.

Damit ist eine Aufgabe gemeint, la tâche. Ebenso wird recht fröhlich mit Op­ti­schem herumgewirbelt, da sehen die Leute perspectives, ouvertures und auch vi­sions. Das ist alles sehr nah am englischen Sprachgebrauch und verdrängt die unsprünglich ver­wen­de­ten idiomatisch typischen Begriffe. Über die Vi­sio­nen hat sich Altkanzler Schmidt ja mal dahingehend geäußert, wer Visionen habe, solle zum Augenarzt gehen.

______________________________
Foto: C.E. (Archiv)

Keine Kommentare: