Mittwoch, 2. Juli 2014

Och nö!

Bienvenue! Sie haben die Arbeitstagebuchseiten einer Übersetzerin angeklickt, die daneben in Berlin und anderswo für Politik und Wirtschaft, Kino und Kultur als Französischdolmetscherin tätig ist. Hier denke ich regelmäßig über meine Arbeit und ihre Grundlagen nach.

Sich für sein Einkommen rechtfertigen zu müssen, macht keinen Spaß. Gerade rief die dritte Agentur binnen Wochenfrist an und möchte mich für Ge­richts­dol­met­schen anwerben. Das mache ich im Notfall direkt für die Justiz, die ihre Honorare gerade "angepasst" hat. Das ergab eine Erhöhung für die Dolmetscher und eine Sen­kung für die Übersetzer, nachdem die Sätze seit Jahren bis Jahrzehnten un­ver­än­dert ge­­blie­­ben wa­ren. (Genauere Recherche folgt nächste Woche.) Kurz: Das neue Justiz­ver­gü­tungs- und -entschädigungsgesetz (JVEG) hat den Kaufkraftverlust nicht aus­ge­gli­chen. Ergebnis: Ich arbeite ab und zu zu diesen Sätzen, aber be­wer­be mich nicht groß darum.

Korb mit ausländischer Währung, zum Teil von vor der Euro-Einführung
klingende Münzen und mehr
Beim letzten Einsatz bekam ich für simultanes Dolmetschen 75 Euro die angefangene Stunde. Die Chose dauerte 75 Minuten plus 67 Minuten Weg­stecke (nach BVG-Planer), Fahrt­zei­ten werden auch vergütet. Bezahlt wurde ich für zwei Stunden.

Da muss ich nochmal nach­ha­ken. Denn das wirt­schaft­li­che Risiko für den Job lag allein auf meiner Seite.

Sollte ich nach einer Buchung fürs Gericht eine Anfrage für einen vollbezahlten Dol­met­scher­job bekommen, gebietet die Redlichkeit, diesen weiterzugeben. Mög­li­cher­weise verzichte ich dann aber auf 750 Euro Tagesgage, um bei Gericht 150 Eu­ro Umsatz zu generieren.

Die Agentur von heute hat mir pro Stunde übrigens 35 Euro angeboten und für Hin- und Rückweg eine Pauschalvergütung von insgesamt 20 Euro. Meine Antwort war kurz und eindeutig: "Die Sätze sind indiskutabel, rufen Sie mich bitte nicht mehr an!" Dann kamen die Einwände der Agenturdame. Sie zielte auf ein schlechtes Ge­wissen, aber nur bei mir. Warum haben solche Menschen eigentlich kein schlechtes Ge­wis­sen?

Auch bei wohlhabenden Privatkunden rufe ich höhere Sätze auf. Gespräch mit ei­nem (potentiellen)  Privatkunden: "Sie müssen ja nicht so genau dolmetschen wie bei einer Konferenz!" Darauf ich: "Was soll ich weglassen? Die Artikel, Adjektive, al­le Nebensätze oder wie hätten Sie's denn gern?"

Die Gerichte haben übrigens auch ihre Auftragsvergabebüros und müssten die Auf­trä­ge nicht an Agenturen vergeben. Ein Kollege mutmaßte auf den Seiten eines so­zialen Netzwerks, dass diese Weitervergabe gar nicht rechtens sei. Muss ich kom­men­de Woche auch mal recherchieren.

P.S.: Einer Kollegin wurden von einer Agentur sogar 15 Euro die Stunde angeboten, die Reisezeiten würden dabei wohl auch "vergütet". Was für ein Witz!


Vokabelnotiz
Klingende Münze — monnaie sonnante et trébuchante
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Foto: C.E. (Archiv)

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